FORVM, No. 456
Dezember
1991

Stasi in Österreich

So modern wie das rückständige Zonen-Regime sind wir noch lange. Wetten, daß?

Kaum ein Thema erregt die deutschen Gemüter so sehr wie die Stasi. Zwar bleibt rätselhaft, wie dieser schlampige, technisch rückständige Betrieb seine unzähligen, in ihrem Informationsgehalt oft lächerlichen Meldungen und Aufzeichnungen überhaupt aufarbeiten konnte. Feststeht jedenfalls, daß ein Staat, der seine Bürger derart bespitzelt, kein Rechtsstaat ist, daß seine Kollaborateure zu bestrafen, zumindest aber gesellschaftlich zu ächten sind. In einer Demokratie ist alles anders. In Österreich, zum Beispiel.

Das Bundesministerium für Inneres der Republik Österreich teilt mir mit, „daß die Aufzeichnungen in den Evidenzen des Bundesministeriums für Inneres sowie bei der Sicherheitsdirektion/Bundespolizeidirektion“, die für meine „Postanschrift zuständig ist“, nachfolgende staatspolizeiliche Vormerkungen betreffen:

Sie nahmen im Jahre 1955 an einem Kinderlager in Vesielach/Kärnten teil.

Damals war ich gerade dreizehn Jahre alt.

Ein österreichischer Hochschullehrer, dem ich davon erzhle, meint: „Wahrscheinlich kommen Sie aus einer belasteten Familie.“ Will sagen: bereits 1955 war nicht belastet, wer aus einer Nazifamilie kam, sondern dessen Eltern Emigranten waren. Dem entspricht es, daß ich, wenige Jahre nach meiner Promotion, Studienkolleginnen und -kollegen, die als RFS-Mitglieder aus ihren deutschnationalen und antisemitischen Überzeugungen kein Hehl gemacht hatten, als leitende Mitarbeiter österreichischer Ministerien wiedertraf.

Im Jahr 1957 waren Sie zu den Weltjugendfestspielen in Moskau.

Sie reisten im August 1958 als Mitglied der Freien Österreichischen Jugend nach Ungarn.

1960 wurde Ihre KP-Mitgliedschaft vermerkt.

Ich war zwar weder 1960 noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt Mitglied der KP, aber in den „Vormerkungen“ der staatlichen Evidenzen ist eine Mitgliedschaft vermerkt, und da steht sie nun seit dreißig Jahren.

Sie wurden im Jahre 1961 als Kandidat der ‚Vereinigung demokratischer Studenten (VDS)‘ für den Zentralausschuß der Österreichischen Hochschülerschaft nominiert.

1961 nahmen Sie an einer KP-Schulung in Mauerbach teil.

Im Jahr 1970 verlief eine Überprüfung Ihrer Person negativ. Dies geht aus einem Karteivermerk hervor. Der bezughabende Akt wurde damals vernichtet.

Negativ für wen? Eine Kopie meiner Karteikarte, die mir acht Monate, nachdem ich Einsicht in meine Akten beantragt hatte, zuging, enthält unter dem Datum 26.6.1970 den lakonischen Vermerk: „Industrieanfrage“. Auf meine Anfrage, was sıch hinter diesem geheimnisvollen Begriff verberge, wer da angefragt habe, und wem auf welcher rechtlichen Grundlage welche Auskunft gegeben worden sei, teilte mir der zuständige Ministerialrat lediglich mit, da „alle im ho. Bundesministerium für Inneres angelegten Karteikarten unter Verschluß gelagert werden, hatten aussenstehende Personen niemals Möglichkeit Einsicht zu nehmen“. Der Direktion, die für meine Postanschrift zuständig ist, war es übrigens seinerzeit wohl entgangen, daß ich 1970 bereits zwei Jahre in der Bundesrepublik Deutschland lebte. Worauf aber hatte der vernichtete Akt Bezug, und warum wurden nicht die gesamten „Vormerkungen“, aus denen das Bundesministerium zitiert, damals oder später vernichtet? Warum wurden die Akten überhaupt angelegt?

Einer Kartei-Vormerkung zufolge sollen Sie im Sommersemester 1961 die Ostakademie Linz in Unterweissenbach besucht haben. Der bezughabende Akt und das beiliegende Foto wurden ebenfalls vernichtet.

Gemeint ist ein von der Linzer Ostakademie in Unterweissenbach kommerziell veranstalteter Russischkurs. Zwar wurde die Ostakademie von einem russischen Emigranten und deklarierten Antikommunisten geleitet, der mich, als mein Universitätslehrer, auf eine Exkursion nach Moskau wegen meiner politischen Ansichten, wie mir hinterbracht wurde, nicht mitgenommen hatte. Aber was tut’s. Der Jude wird vermerkt. Mit Foto, aber immerhin als relativiertes Gerücht. Man weiß ja nie bei denen. Bleibt festzuhalten, daß ein Mitarbeiter der Staatspolizei bei einem österreichischen Russischkurs Fotos macht oder sich besorgt und an die Zentrale liefert.

Mir ist kaum zum Lachen zumute. Ob es mit den Vormerkungen in den Aufzeichnungen in den Evidenzen, richtig oder falsch, verleumderisch oder bloß denunziatorisch, zu tun hat, daß alle meine Versuche, in Österreich eine Stelle (im öffentlichen Dienst) zu erhalten, ergebnislos verliefen, werde ich wohl nie erfahren. Tatsache ist zumindest dies: Als ich mich, noch als Student, um ein Lektorat am österreichischen Kulturinstitut in Warschau bewarb, fragte mich ein Wiener Universitätsprofessor auf den Kopf zu nach einigen der Angaben, die sich, wie ich jetzt erfahre, in meinem Akt befinden. Ich antwortete wahrheitsgemäß. Ich habe die Stelle nie erhalten.

Als es die DDR noch gab, verlangten die Behörden für Dissidenten, die sie ausreisen ließen, große Summen mit der Begründung, der Staat müsse zurückerhalten, was er für deren Ausbildung investiert habe. Österreich ist großzügiger. Es leistet akademische Entwicklungshilfe für die Bundesrepublik und ähnlich bedürftige Länder. Es entläßt seine „Dissidenten“ — und ich bin nur einer von sehr vielen — mit Kußhand ins Ausland, schenkt diesem, was deren Studium gekostet hat.

Ich lese die täglichen Berichte über die Stasi in der DDR. Welcher Informant und Verleumder im Dienste der österreichischen Stasi wurde verurteilt? Was geschieht mit jenem Spitzel, der sich nicht entblödete, mich in Unterweissenbach zu fotografieren und das Foto für einen Akt zur Verfügung zu stellen?

Ich möchte das wissen. Genau, mit Namensnennung. Solange das nicht geschieht, erlaube ich mir, daran zu zweifeln, daß Österreich eine Demokratie ist.

Symbolum arcanum
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