FORVM, No. 235/236
Juli
1973

Subimperialist Israel

1 Zionistische Bevölkerungspolitik

Die gegenwärtige Repressionswelle, die vor allem linke antizionistische Organisationen trifft und schon zu Gefängnisstrafen bis zu 17 Jahren geführt hat (für Daud Turki und Ehud Adiv als Führer eines angeblichen „Spionage- und Sabotagenetzes“), das Bekanntwerden von Folterungen an arabischen und jüdischen Gefangenen, Aburteilungen vor dem Militärgericht wegen „Gefährdung der Sicherheitsinteressen des Staates“ und die ganze hysterische Kampagne, welche diese Ereignisse begleitete, zeigen, wie sehr sich das zionistische Regime bedroht fühlt, wenn sich Juden und Araber entschließen, gemeinsam Widerstand zu leisten.

Die zionistische Ideologie behauptet die nationale Einheit der Juden nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt. Dieser totale Anspruch möchte aus allen Juden Zionisten machen. Die zionistische Politik ist brennend daran interessiert, die Juden aus ihrer sozialen Umgebung zu lösen und sie für die Zwecke der zionistischen Organisationen und des Staates Israel einzusetzen. In Wirklichkeit wurden und werden durch die Besiedlungspolitik die Probleme der Juden nicht gelöst, sondern nur neue hinzugefügt. Greift man also die Auswirkungen des Zionismus in Palästina an, so stellt man gleichzeitig die Gesamtkonzeption des Zionismus in Frage.

Das Streben nach der Besiedlung Palästinas, der Erlangung und Erhaltung einer jüdischen Mehrheit auf Kosten der einheimischen Bevölkerung ist heute so rege wie je. Ein wesentliches Moment bei der Forçierung der Immigration nach Israel ist die Angst der Regierung, daß die arabische Bevölkerung infolge ihrer hohen Geburtenrate die jüdische in absehbarer Zeit überwiegen wird. 1966 kamen 8.515 Neueinwanderer, 1972 waren es 55.856. [1] Aber auch eine hohe Einwanderungsrate kann das Problem der „arabischen Übermacht“ nicht lösen. Deshalb auch die Bereitschaft eines Teils der Regierung, einige der besetzten Gebiete zurückzugeben, und zwar nach dem Allon-Plan — die am dichtesten besiedelten Regionen Westjordaniens. Finanzminister Sapir erklärt in einer Parlamentsdebatte über die besetzten Gebiete, [2] alle seine Besorgnis und Bemühungen gingen dahin, den jüdischen Charakter des Staates zu bewahren. Seine „Sorge“ ist berechtigt, wenn man die Berechnungen der demographischen Entwicklung [3] vor Augen hat. Wenn nämlich die jüdische Immigration den durchschnittlichen Wert der Jahre 1952-1971 beibehält, also jährlich 28.000, und die Zuwachsraten der arabischen und jüdischen Bevölkerung gleich bleiben, dann werden in einem „Groß-Israel“ von 1997 mehr als 4 Millionen Araber leben, bei einer Gesamtbevölkerung von 8 bis 9 Millionen. Sogar wenn die Immigration im Jahresdurchschnitt 70.000 betragen sollte, würden die Araber dann 41% der Bevölkerung stellen. „Wird ein solcher ‚jüdischer‘ Staat dann noch attraktiv für jüdische Einwanderer sein?“, fragt Sapir.

Die Zahlen von 1971 lauten: Groß-Israel: 2.560.000 Juden, 1.400.000 Araber. Innerhalb der Grenzen von vor 1967 (allerdings mit Ost-Jerusalem [4]): Juden 2.561.400, Araber 440.000. Araber in den besetzten Gebieten: 1 Million.

2 Gut und Boden

Eine klare Linie der jüdischen Siedlerexpansion führt von der organisierten Einwanderung seit Beginn des Jahrhunderts, dem systematischen Bodenerwerb durch die Jewish Agency, der Verdrängung von Arabern aus Eigentum und Existenzmöglichkeit durch die Politik der „Eroberung des hebräischen Bodens durch hebräische Arbeit“, der Errichtung und Entwicklung der zionistischen Militärorganisationen und dem Aufbau quasi-staatlicher Einrichtungen, bis zur Erlangung der territorialen Souveränität, der Dezimierung der arabischen Bevölkerung und der Bildung einer kompakten jüdischen Majorität durch den Krieg von 1948. Durch zwei weitere Kriege konnte 1956 und 1967 dieses „Werk“ gezielt weiterentwickelt werden. Die Vertreibung des arabischen Volkes aus Palästina wurde fortgesetzt, Boden und Eigentum beschlagnahmt und für israelische Zwecke verwendet. Ganz Palästina ist okkupiert. Die Beute des Krieges von 1967 wurde durch 45 zum größten Teil dauerhafte militärische und zivile Stützpunkte abgesichert.

Aus der „Alternative“, vor die die jüdischen Massen von der herrschenden Klasse gestellt werden — „entweder bedingungslos mit dem zionistischen Staat oder Vernichtung durch die Araber“ —, wird von den Revolutionären der einzig mögliche Ausweg gewiesen, der auch den Interessen der jüdischen Minderheit im ganzen Nahen Osten entspricht und langfristig die einzige Integrationsmöglichkeit in diesem Raum darstellt: Mit den Arbeitern und Bauern, mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten des ganzen arabischen Ostens gegen Zionismus, Imperialismus und arabische Reaktion. Diese Perspektive mußte die zionistische Führung von Anfang an bekämpfen, und so führt ein roter Faden vom Ausschluß der Kommunisten aus der Histadrut (Zionistische Gewerkschaft) im Jahr 1924 bis zur jüngsten antisozialistischen Hexenjagd.

3 Bauer im geopolitischen Spiel

Das ganze zionistische Unternehmen wäre ohne imperialistische Unterstützung unmöglich. Die Gründe für die mit unterschiedlicher Intensität geleistete Förderung des zionistischen Unternehmens durch die britische Kolonialmacht während der Mandatszeit und die Unterstützung durch die USA seit mehr als 20 Jahren sind in der Rolle zu suchen, die das zionistische Werk im arabischen Osten für den Imperialismus erfüllte und weiterhin wahrnimmt. Palästina wurde aus dem einheitlichen Zusammenhang mit seinen Nachbarländern gelöst. Die unmittelbaren wirtschaftspolitischen und militärstrategischen Hintergründe (Sykes-Picot-Abkommen und Balfour-Deklaration gegen Ende des Ersten Weltkrieges) waren:

  1. die Lage Palästinass am Landweg nach Indien und seine Nähe zum Suez-Kanal,
  2. die Unterstützung des Zionismus als Gegengewicht zur arabischen Nationalbewegung,
  3. eine Provokation von Auseinandersetzungen zwischen ethnischen oder religiösen Gruppen (Drusen und Moslems in Syrien, Moslems und Kopten in Ägypten, Araber und Kurden im Irak usw.) zwecks divide et impera.

4 Öl und Rüstung

Der Zionismus war also ein Vorposten gegen die antiimperialistische Wut der arabischen Massen. Diese Rolle erfüllt Israel heute im Dienste des US-Imperialismus, für den die Bedeutung des arabischen Ostens angesichts der Energiekrise ständig zunimmt. Diese Region ist noch immer das Operationsgebiet des westlichen Öl-Imperialismus par excellence. Mehr als 50% der Welterdölreserven liegen dort, die Produktionskosten sind lächerlich gering: während sie sich für ein Barrel in den USA auf durchschnittlich 151 Cents belaufen, in Venezuela noch 62 betragen — kostet ein Barrel in Saudi-Arabien 9 und in Kuweit 6 Cents.

Israel als solches war für die westlichen Kapitalisten nie eine ergiebige Profitquelle, und die Abstützung seiner künstlichen Wirtschaftsstruktur war von Anfang an kostspielig. Zu unvergleichlich guten Bedingungen, zum Teil als Schenkungen, zum Teil als bequeme Anleihen, wurden und werden Gelder nach Israel! hineingepumpt. In der Finanzstruktur hat sich allerdings mit der Okkupation und zunehmenden Militarisierung der israelischen Wirtschaft ein Wandel ergeben. In den fünfziger Jahren hielten die unilateralen Überweisungen (die Israel zu nichts verpflichteten) zusammen mit den Exporterlösen das Außenhandelsdefizit relativ niedrig. In den sechziger Jahren und besonders nach 1967 nahmen die Importe rapid zu, übertrafen die Einnahmen bei weitem und erhöhten die Auslandsschulden und die ökonomische Abhängigkeit vom Imperialismus gewaltig.

Der steigende Influx ausländischen Kapitals hängt auch damit zusammen, daß bestimmte expandierende Teile der israelischen Wirtschaft eine hohe Produktivität und Profitrate aufweisen und für den Imperialismus jetzt auch ökonomisch interessant werden (er findet dort nunmehr hochqualifizierte Arbeitskraft vor). Vor allem auf dem Rüstungssektor, der seit dem französischen Embargo stark ausgebaut wurde. Einerseits investieren internationale Rüstungskonzerne, um am gestiegenen Bedarf des zionistischen Staates zu verdienen, anderseits um Israel als Schleuse für ihre Waffenexporte zu benützen. Die über 100 Fabriken der israelischen Rüstungsindustrie, darunter der „Israel Aircraft Industries Ltd.“, das größte Industrieunternehmen des Landes überhaupt (15.000 Beschäftigte), erzeugen 600 verschiedene Waffen- und Munitionsgattungen. [5] Im April 1973 wurde gemeldet, [6] daß in fünf Jahre langer Arbeit das „beste Gewehr der Welt“, die ‚„Galil“, entwickelt worden sei, Israel verfügt auch über das Know how und die erforderlichen Rohstoffe, um Atombomben zu erzeugen. Neben dem Ziel der Autarkie auf dem Waffensektor spielt der Export eine immer größere Rolle. Für das Jahr 1971 wurde eine Produktionssteigerung der Rüstungsindustrie von 80% erreicht, der Export stieg um 300 Millionen Schilling. Sollte der Waffenstillstand andauern, so wird man der steigenden Nachfrage des Auslandes nach israelischen Rüstungsprodukten Rechnung tragen können.

Israel fungiert als subimperialistische Macht, welche einerseits die Märkte halbkolonialer Länder durchdringt, anderseits aber völlig vom europäischen und amerikanischen Kapital abhängig bleibt. Der Staat fördert ausländische Investitionen durch erhebliche Vergünstigungen. In einer Gesetzesnovelle des Jahres 1968 wurde beschlossen: Zuschüsse an exportierende Industriebetriebe bis zu 33% des in den Maschinen investierten Kapitals, Steuerermäßigungen, Befreiung von Zollgebühren usw. „Ein nicht im Lande ansässiger Investor darf seine gesamten Gewinne ins Ausland überweisen.“ [7]

Diese ökonomische Konstellation bildet den materiellen Hintergrund für den spektakulären Aufstieg der israelischen Bourgeoisie und ihre Radikalisierung. Solange noch keine wirklich profitablen Sektoren der israelischen Industrie vorhanden waren, überließ sie deren Verwaltung dem Staatsapparat oder der Histadrut-Bürokratie. Klassisch-kapitalistische Erwägungen bestimmen immer mehr die Politik und überwuchern die traditionellen zionistischen Konzeptionen.

Ein weiteres Moment für die relative Stärkung der israelischen Bourgeoisie liegt in der ökonomischen Funktion der besetzten Gebiete. Durch die Offenhaltung der Jordanbrücken konnte der Export des landwirtschaftlichen Surplus der besetzten Gebiete fortgesetzt werden, was die Konkurrenzierung am israelischen Binnenmarkt verhindert, und außerdem erweiterte die israelische Bourgeoisie den Markt für ihre Waren auch auf arabische Nachbarländer. Die Landwirtschaft der besetzten Gebiete wird für die Bedürfnisse der israelischen Wirtschaft umstrukturiert („Integration“), der Anbau von Industriepflanzen besonders gefördert. Weiters verschafft der Import billiger Arbeitskräfte der israelischen Bourgeoisie zusätzliche Vorteile.

5 Annexionen

Die reale Einverleibung der besetzten Gebiete wurde erst kürzlich anläßlich des Streits innerhalb der regierenden „Arbeiter“-Partei um die Gestattung privater Landkäufe deutlich. Tatsache ist, daß keines der Regierungsmitglieder daran denkt, auf Annexionen zu verzichten. Schon am 17. Oktober 1968 erklärte Dajan: „Wir müssen, ohne formell die Annexion der besetzten Gebiete zu proklamieren, in diesen befreiten Gebieten vollendete Tatsachen schaffen.“ [8] Und weiter: „Durch unsere Taten wird der neue Grenzverlauf des Landes festgelegt werden.“ [9] Unter Berufung auf „sichere Grenzen“, auf Geschichte und Religion steht für die Regierung bereits fest, daß Ostjerusalem (dessen Annexion noch im Juni 1967 proklamiert wurde), Gaza, die Golan-Höhen, Charm-el-Scheich, Teile Westjordaniens und der östlichen Sinai-Halbinsel nicht zurückgegeben werden. Golda Meir: „Heute, nach 6 Jahren Erfahrung ..., sind wir zu weniger Konzessionen bereit.“ [10] Dajan: „Es gibt Territorien, wie die Golan-Höhen, Gaza, Jerusalem, Charm-el-Scheich, die Israel nie mehr den Arabern zurückgeben wird“; Hebron (Stadt in Westjordanien) sei nicht eine „Frage der Außenpolitik, sondern die des Vaterlandes“, da König David an diesem Ort gekrönt worden sei. [11]

„Tatsachen“ werden geschaffen einerseits durch die Errichtung ziviler und militärisch-landwirtschaftlicher Siedlungen, anderseits durch Maßnahmen zur ökonomischen Intergration der Gebiete.

In Westjordanien werden 20% des Bodens von der israelischen Regierung als „Nachfolger“ der jordanischen Regierung oder als „Verwalter“ des von seinen Besitzern „verlassenen“ Landes kontrolliert. Im Jordantal, dessen Annexion der Allon-Plan bis auf einen Korridor vorsieht, existieren bereits 9 Wehrdörfer, 5 weitere sind geplant. Im März 1970 wurde die Ansiedlung von 1000 Israelis in Hebron vom Kabinett beschlossen (zu den Protesten vgl. NF Juni/Juli 1970). Dajan gab in einem US-TV-Interview an, daß die Araber in Hebron mit der Errichtung von „Kiriat Arba“ einverstanden seien, da sie nicht protestiert hätten. Der Bürgermeister von Hebron, Scheich Mohammed Jabari, dazu: „Wir haben protestiert, und wenn wir es nicht gewaltsamer taten, dann deshalb, weil wir die Zerstörung eines Viertel unserer Stadt befürchteten.“ [12] 18 Kilometer östlich von Jerusalem ist eine zweite jüdische Stadt geplant. In Ostjerusalem wurde die ‚„Israelisierung“ durch den Aufbau eines jüdischen Zentrums von 2000 Wohnungen begonnen. Zu diesem Zweck gab der Finanzminister die Ermächtigung zur Enteignung von mehreren Quadratkilometern Land. Am 25. September 1971 hatte der UN-Sicherheitsrat Israel aufgefordert, alle Maßnahmen zu annullieren, die den Status von Jerusalem zu verändern suchen ...

Im Gazastreifen, dessen Rückgabe nun sogar von der Mapam (linkszionistische Partei) abgelehnt wird, wurde schon etwa die Hälfte der Bodenfläche (150 bis 200 qkm) von der israelischen Landverwaltung eingezäunt. Auf den Golanhöhen bestehen heute 14 Wehrdörfer, bis 1975 sollen etwa 3500 weitere Israelis in 17 Dörfern angesiedelt werden.

Sinai hat für die israelische Bourgeoisie auf Grund seiner Ölvorkommen eine besondere Bedeutung. Die Produktionskapazität der Quellen von El Belayne und Ras El Soudi wird auf mindestens 4,7 Millionen Tonnen jährlich geschätzt, während die Kapazität der zwischen Askalon und Beerscheba liegenden Erdölquellen nur ca. 188.000 Tonnen beträgt. 80% des israelischen Erdölbedarfs wird durch die Importe aus Sinai gedeckt. In diesem Zusammenhang bekommt die neue Pipeline Elat-Askalon (angesichts der Blockade des Suez Kanals) eine große Bedeutung als Devisenbringer.

Die Unterdrückungsmaßnahmen der israelischen Militärbehörden in den besetzten Gebieten umfassen die Mittel der Vertreibung, Ausweisung, Häusersprengung, Inhaftierung, gewaltsamen Enteignung. Die Enteignung der arabischen Bauern wird entweder von der Regierung direkt durchgeführt oder es werden indirekte Methoden verwendet:

  • Vernichtung der Ernte durch das Militär, begleitet von Vorschlägen, die zerstörte Ernte zu kaufen,
  • Errichtung von Trainingscamps des Militärs, um die Einwohner zu vertreiben (Akraba),
  • Aufforderungen, das Land zu verkaufen, die an die arabische Bevölkerung in der Gegenwart eines Militärgouverneurs, dessen Autorität und Sanktionsmöglichkeit bekannt sind, gerichtet werden und die häufig von Drohungen begleitet sind.

Bei Widerstand wird die Methode der sogenannten Nachbarschaftsbestrafung angewendet, d.h. es werden Häuser oder ganze Straßenzüge zerstört. „Rädelsführer“ (meist intellektuelle Sprecher der Palästinenser) wurden und werden zu Hunderten nach Jordanien deportiert.

6 Ausbeutung der Araber

Die wirtschaftliche Integration der be setzten Gebiete ist so weit gediehen, daß eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Israel und den Gebieten entstanden ist. „Statistiken zeigen, daß Israels wirtschaftliches Wachstum wesentlich von den produktiven Ressourcen der besetzten Gebiete abhängt und daß diese nicht länger lebensfähig sind ohne die Beziehung zu Israel. Wie auch immer letztlich ihr politischer Status sein wird, so muß diese praktische Tatsache in Betracht gezogen werden.“ [13] Während 1968 das Bruttonationalprodukt der besetzten Gebiete (außer Sinai und Golan) 4,3% des israelischen ausmachte, sind es heute (für die gesamten Gebiete) mindestens 8%. Vier Fünftel des Außenhandeis der besetzten Gebiete werden heute mit Israel abgewickelt.

Ein immer größerer Prozentsatz der Palästinenser werden Arbeiter und überschreiten die „grüne Linie“ (ehemalige Grenze), um für die israelische Wirtschaft, vor allem im Baugewerbe (etwa 70% der Bauarbeiter sind Araber), in der Landwirtschaft und jetzt auch in Dienstleistungsbetrieben und in der Industrie zu wesentlich niedrigeren Löhnen als die „Einheimischen“ zu arbeiten. Im Jahre 1972 stellten die ‚„Israelpendler“ 45% der gesamten Lohnempfänger der besetzten Gebiete, heuer werden sie vermutlich 55% ausmachen.

Um Arbeit zu finden, müssen sich die Araber zum Teil den ärgsten Erniedrigungen aussetzen. Nach einem Bericht in der Zeitung des liberalen Abgeordneten Uri Avneri [14] geht es am „Sklavenmarkt von Jaffo“ folgendermaßen zu: „Um 4 Uhr früh kommen die Arbeiter aus Gaza zum illegalen Arbeitsmarkt, der unter den Auspizien der Polizei wächst und gedeiht; um 6 Uhr fahren die israelischen Unternehmer in ihren Wagen an, und die Araber laufen auf sie zu. Die Israelis wählen gut, sie betasten die Muskel und nehmen die Opfer.“ Die älteren Araber verdienen den Gegenwert von etwa 150 öst. Schilling pro Tag und arbeiten als Bauarbeiter, Straßenreiniger oder Fensterputzer. Von den 150 Schilling zahlen sie dem Taxichauffeur für die Fahrt Gaza-Tel Aviv-Gaza während der Woche 50 Schilling, am Freitag 60 und am Samstag 70 Schilling. Ein 14jähriger Arabersklave verdient für Nachtarbeit 9 Schilling brutto pro Stunde ...

Die israelische Besetzung fördert das Entstehen einer palästinensisch-arabischen Arbeiterklasse durch Proletarisierung vormals selbständiger Kleinproduzenten. Sie behindert durch ihre marktbeherrschende Rolle die Herausbildung und Konsolidierung einer nationalen arabisch-palästinensischen Bourgeoisie. Die politische Führung bleibt deshalb in den besetzten Gebieten hauptsächlich bei den halbfeudalen Notablen, den Spitzen der ehemaligen jordanischen Verwaltung.

Nach den letzten Statistiken der Nationalen Versicherungsbehörde (Bituach Leumi) haben rund die Hälfte aller Fulltime-Lohnarbeiter Israels ein Einkommen, das unter dem liegt, das als unerläßlich angesehen wird. Nach derselben Regierungsstelle lebten 519.200 jüdische städtische Lohnabhängige (1971) unter dem Existenzminimum. 70% dieser Lohnabhängigen sind ganztags beschäftigt. Wenn man zu dieser Zahl noch die Araber hinzufügt, die in dieselbe Kategorie fallen, erhöht sich die Zahl beträchtlich. 1971 zählte dieselbe Behörde 240.000 Kinder unter 14 Jahren, die ständig unterernährt sind (bezogen auf 3,000.000 Einwohner vor 1967).

Die Hauptopfer der Verelendung unter der jüdischen Bevölkerung sind die kinderreichen orientalischen Einwanderer, welche auch den Großteil der unteren Arbeiterschichten bilden. Sie sind sowohl hinsichtlich ihrer Wohnsituation als auch im Hinblick auf ihre Bildungschancen stark benachteiligt. Dajan betonte, daß sich diese Situation auch nicht ändern könnte, solange die militärischen Ziele Vorrang hätten.

Dem Imperialismus liegt daran, die Kontinuität der militärstrategischen Dienste zu wahren, innere Konflikte zu Israel zu verhindern, bei denen die ideologisch gegenwärtig noch weitgehend vom Zionismus beeinflußte Arbeiterklasse antikapitalistisch und antizionistisch handeln könnte. Deshalb die Versuche der materiellen Korrumpierung und Privilegierung bestimmter Schichten des israelischen Proletariats. Dennoch ist jeder konsequent geführte Arbeitskampf in Israel tendenziell antizionistisch. Die hohe Streikquote kann nicht als Vorzeichen einer Art syndikalistischen Sprengung des zionistischen Staates von innen verstanden werden. Die Arbeitskämpfe stellen ein wichtiges Moment in der Herausbildung von Klassenbewußtsein, von Überwindung zionistischer Deformationen dar.

7 Linke schwach

Es gelingt immer wieder, durch Befriedung von Teilkonflikten das Funktionieren des Ganzen aufrechtzuerhalten. Solange Israel vom Imperialismus gebraucht wird, wird dieser seinen Teil beitragen, eine Schwächung Israels (sei es nun eine innere oder eine äußere) auszugleichen.

Die einzige revolutionäre Perspektive des israelischen Proletariats besteht darin, seine Kämpfe mit den anti-imperialistischen Kämpfen in der arabischen Welt zu verbinden, und das können die israelischen Arbeiter nur, wenn sie den Gegensatz erkennen, der zwischen ihren eigenen Interessen und jenen des Zionismus besteht.

Die Rakach, die streng moskautreue KP, in der vor allem Araber organisiert sind, hat drei Abgeordnete im Parlament. Rakach propagiert die Anerkennung der bekannten UNO-Sicherheitsresolution von 1967.

Maki, die jüdische KP, hat sich zu einer linkszionistischen Partei entwickelt und ist völlig unbedeutend.

In der außerparlamentarischen Linken gibt es zwei Strömungen. Die eine (SIACH — Neue Israelische Linke) ist das Resultat von Abspaltungen linker zionistischer Parteien. Sie entfaltet eine beträchtliche Aktivität und plädiert für einen eigenen palästinensischen Staat in Westjordanien. Sie tritt gegen die Verletzung demokratischer Rechte in Israel auf.

Die andere Strömung wird repräsentiert durch die Israelische Sozialistische Organisation (Matzpen) und Gruppen, die aus ihr hervorgegangen sind. Sie betrachten den Kampf gegen Zionismus, Imperialismus und arabische Reaktion gemeinsam mit den revolutionären Kräften der gesamten Region als ihre Hauptaufgabe.

Die Streikhäufigkeit erklärt sich aus dem Widerstand gegen eine verspätete Industrialisierung mittels staatsmonopolistischer Rüstungswirtschaft, gegen die Aufwälzung der Kosten der ursprünglichen Akkumulation auf den Rücken der Arbeiterklasse.

8 Israelischer Rassismus

Vor einigen Monaten ermordeten fünf georgische Einwanderer einen Araber deshalb, weil er mit einer Israelin in einem Auto gesessen hatte. [15] Sie wurde kahl geschoren. Zwei der Täter wurden freigesprochen, die anderen erhielten Strafen von fünf, vier und eineinhalb Jahren.

Die jüdischen Israelis wurden nicht wegen Mordes, sondern wegen Todschlags verurteilt, obwohl offensichtlich war und auch nicht bestritten wurde, daß sie den Streit begonnen hatten und daß sie den Araber aus rassistischen Motiven ermordeten. In der Begründung des Urteils stellten die Richter fest: „Es ist zu betonen, daß dieser Fall unter keinen Umständen als symptomatisch und für die arabisch-jüdischen Beziehungen charakteristisch zu bezeichnen ist“ — obwohl die fünf Juden, die Neueinwanderer sind, während des Prozesses aussagten: „Die Sochnut (Jewish Agency) sagte uns, daß es wichtig sei, daß wir in Nazareth wohnen, damit wir die Araber davon abhalten, nach Nazareth Elit zu kommen.“ Nazareth Elit ist der jüdische Teil von Nazareth, der auf einer Anhöhe über dem arabischen Teil liegt und gebaut wurde, um die Araber in Schach zu halten.)

Ein anderer Fall: Am 19. August 1972, als Abdallah Adschibsin in Begleitung von zwei Dorfgenossen seine Herde hütete, fuhr ein Militärwagen mit israelischen Soldaten vorbei. Ohne jegliche Provokation von seiten der Schafhirten eröffnete einer der Soldaten das Feuer auf Abdallah. Er starb kurz danach. Der Militärwagen fuhr weiter. In Arad wurde der Mörder kurz von der Polizei angehalten und dann freigelassen. Appelle der Familie des Ermordeten an die Polizei und die Militärregierung wurden nicht beantwortet. [16] Gleichzeitig mit der Zunahme extrem chauvinistischer Tendenzen, die selbst nur eine Form der zionistischen Ideologie sind, kam es aber auch zu Reaktionen von Teilen der Jugend, welche von dieser Entwicklung einfach moralisch angewidert sind, was sich nicht zuletzt in Wehrdienstverweigerungen äußert. In diese Periode fällt auch das Auftreten der „Schwarzen Panther“, einer Organisation orientalischer Jugendlicher und Slumbewohner.

Selbst in Teilen der israelischen Öffentlichkeit werden die Vertreibungen und Enteignungen, das Verbrennen und Vergiften von Feldern (um palästinensische Bauern zum Verlassen zu bewegen) nicht mehr widerstandslos hingenommen. Die bekannten Dörfer von Bir Am und Ikrit, [17] aus denen die arabische Bevölkerung kurz nach 1948 vertrieben wurde und die anschließend „aus Sicherheitsgründen“ zerstört wurden, sind keine Ausnahmefälle geblieben. Vor 1948 gab es in Palästina 385 arabische Dörfer, die man heute vergeblich suchen würde. Die Bewohner von Bir Am und Ikrit blieben in anderen arabischen Dörfern und organisierten Mitte des vorigen Jahres einen Sturm auf ihre ehemaligen Dörfer, wobei sie von der Polizei ziemlich brutal behandelt wurden. Diesmal aber waren die arabischen Bauern nicht allein, sie wurden von den antizionistischen Organisationen unterstützt.

Eine ähnliche Aufrüttelung der Bevölkerung wurde auch durch die Geschehnisse in Akraba erreicht. Dort wurden vor einigen Monaten 5000 qm Boden unter dem Vorwand eingezäunt, daß man ihn für militärische Übungen benötige, obwohl zu dieser Zeit der Weizen blühte. Um die Rückkehr der enteigneten Araber zu verhindern, die vielleicht ihre Ernte hätten einbringen wollen, wurde das bepflanzte Gebiet vergiftet. Jetzt, nachdem die Araber sich bereit fanden, einen Teil ihres Landes zu verkaufen, wird dort eine jüdische Siedlung geplant, um die „Sicherheit des Staates zu stärken“. Als vor einem Monat einige Mitglieder von Siach eine Flugblattverteilung gegen die Politik der Regierung durchführen wollten, wurden sie festgenommen und der „öffentlichen Aufhetzung“ beschuldigt. Ihr Prozeß fand vor einem als reaktionär bekannten Militärrichter statt. (Normalerweise werden nur Araber und Soldaten vor Militärgerichte gestellt, die viel willkürlicher vorgehen können.) Die linken Studenten wurden zu sechs Monaten Strafe oder 15.000 S Geldstrafe verurteilt. Nach allgemeinen Protestaktionen, an denen sich auch Universitätsprofessoren beteiligten, wurde die Strafe herabgesetzt.

Zur gleichen Zeit machten die Mitglieder der faschistischen Bewegung „Jewish Defence Ligue“ eine Kundgebung gegen das „zu liberale“ und „milde“ Vorgehen der Behörden in den besetzten Gebieten. Von einer Bestrafung dieser Bürger war nicht die Rede.

Der bekannteste Fall ereignete sich in Pithat Rafiach:

Im Gebiet von Rafiach, das im südlichen Teil des Gazastreifens liegt, wurde ein Gebiet von 60 qkm enteignet und eingezäunt. Die dort ansässigen 1200 Beduinenfamilien wurden vertrieben. Als Kompensation für 40 Häuser, Brunnen und für die Austreibung von dem Boden, den sie seit Generationen bearbeitet hatten, wurde ihnen die lächerliche Summe von (im Gegenwert) einer Million Schilling angeboten. (Das sind bei 5000 Leuten im Durchschnitt 200 Schilling pro Person.) Am 26. März 1972 berichtete die Neue Zürcher Zeitung: „Inmitten der umzäunten Gebiete sollen israelische Ortschaften entstehen. Außerdem soll der geplante Hafen am südlichen Ende des Streifens ein israelischer Hafen werden ... Ein großes Entwicklungsgebiet im nördlichen Sinai soll sogar drei israelische Siedlungen enthalten (von denen eine bereits existiert), und der Strand an der Sinaiküste mit seinen großen Dattelpalmenhainen soll anscheinend ein neues israelisches Touristenzentrum werden.“ Der Protest gegen die Annexion desLandes und die gewaltsame Vertreibung der Beduinen nahm seinen Ausgang im Kibbutz Nir-oz (Ha Schomer Ha Zair) und wurde von der KP, Studenten der Mapam, Siach und den revolutionären Gruppen aufgegriffen. Auch liberale Organisationen wie Uri Avnerys Partei, die „Bewegung für Frieden und Sicherheit“, solidarisierten sich. Es kam zu einer gemeinsamen Demonstration beim „Zaun der Austreibung“, an der sich Hunderte Menschen beteiligten. Alle diese Proteste zeitigten aber keinen Erfolg.

Die demokratischen Forderungen der gegenwärtigen Phase orientieren sich an der Solidarität mit dem palästinensischen Volk und an der arabischen Revolution und den Interessen der Arbeiterklasse in Israel. Sie beinhalten unter anderem: sofortige Abschaffung aller Gesetze und jeder Politik, welche den Juden in Palästina Privilegien einräumt; Recht auf Repatriierung und/oder Kompensation für die vertriebenen und enteigneten Palästinenser; Aufbau einer wirklichen, unabhängigen Gewerkschaft (im Gegensatz zur zionistischen Histadrut), einer Gewerkschaft, die sich auf die spontan entstehenden Kampfkomitees stützt und ihnen einen organisatorischen Rückhalt verleiht.

[1Nach M. Dayan, Jerusalem Post, 12.4.1973.

[2Jerusalem Post, 15.4.1973.

[3New Outlook, Tel Aviv, März/April 1973 (The Arabs and Demography, S. 40).

[4In dem offiziellen Band „Tatsachen aus Israel“, 1972, aus dem unsere Zahlen stammen, wird Ostjerusalem nicht mehr zu den besetzten Gebieten gerechnet.

[5Weltwoche, 26.1.1972.

[6Jerusalem Post, 12.4.1973.

[7Tatsachen aus Israel, 1969, S. 121.

[8Le Monde, 22.12.1970.

[9Le Monde, 8.1.1971.

[10Jerusalem Post, 13.4.1973.

[11Le Monde, 15.12.1970.

[12New Outlook, Juni 1972, S. 29.

[13Jerusalem Post, 26.3.1973.

[14Haolam Hass, 28.3.1973.

[15Vgl. Neue Zeit (Graz), 18.2.1973.

[16Matzen, Jänner 1973, Nr. 67

[17Vgl. New Outlook, Sept. 1972, S. 49f.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)