FORVM, No. 174-175
Juni
1968

Väter und Söhne

Eine sozialistische Tragödie

Der Verband Sozialistischer Studenten Österreichs kann die nachfolgende Dokumentation derzeit nirgends publizieren, insbesondere nicht in der sozialistischen Presse. FORVM hat daher seinen Raum der nachstehenden Dokumentation zur Verfügung gestellt.

Worte des Vorsitzenden Mao

Probleme ideologischen Charakters oder Streitfragen, die im Volke entstehen, können nur mit der Methode der Demokratie, mit der Methode der Diskussion, Kritik, Überzeugung und Erziehung, nicht aber durch Zwangs- und Unterdrückungsmaßnahmen gelöst werden.

(Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk.)

Worte des Vorsitzenden Kreisky

Ich habe immer wieder erklärt, daß man die studentische Opposition nicht ignorieren darf.

Ich kann verstehen, daß die Erregung der Studenten groß war, als man Rudi Dutschke niederschoß.

Aber eines muß ich — auch den eigenen Studenten — mit aller Deutlichkeit sagen: Wir werden uns die Vernichtung der Demokratie durch eine Handvoll Menschen, die nicht wissen, was aus dem allen werden kann, nicht gefallen lassen.

Mit den Methoden des Terrors kann man keine Politik machen.

Die Politisierung der Studentenschaft kann in ihrer Bedeutung durchaus mit den Ereignissen des Jahres 1848 verglichen werden.

Wenn die Studenten jetzt wehleidig schreien, daß alle anderen schuld seien, nur sie nicht, die selbst Steine geworfen, Benzinkanister angezündet und Gewalt angewendet haben, so kann ich das nicht tolerieren.

Zur Dutschke-Demonstration des VSStÖ, 12.4.1968, auf einer Konferenz sozialistischer Betriebsräte in Favoriten, 18.4.1968, lt. „Arbeiter-Zeitung“, 20.4.1968.

Worte der Studenten

Wir haben immer wieder erklärt, daß man etablierte Herrschaft nicht ignorieren darf.

Wir können verstehen, daß die Erregung unter verschiedenen Politikern groß war, als es zu studentischen Aktionen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke kam.

Aber eines müssen wir — auch dem eigenen Parteivorsitzenden — mit aller Deutlichkeit sagen: Wir werden uns die Vernichtung der Demokratie durch eine Handvoll Funktionäre und Journalisten, die sehr wohl wissen, was aus dem allen werden kann, nicht gefallen lassen.

Mit den Methoden des publizistischen und Polizeiterrors kann man keine Politik machen.

Die brutale Reaktion der Obrigkeit kann in ihrer Bedeutung durchaus mit den Ereignissen des Jahres 1848 verglichen werden.

Wenn Politiker und Zeitungsherausgeber jetzt wehleidig schreien, daß alle anderen schuld seien, nur sie nicht, die zum „Ausmerzen von Störenfrieden“ aufgefordert haben, berittene Polizei in friedliche Demonstranten reiten ließen, völlig unnötig Gewalt angewendet und zu ihrer Anwendung aufgerufen haben („Bild“-Zeitung, Regierender Bürgermeister Schütz), so können wir das nicht tolerieren.

Stellungnahme der Mitgliedervollversammlung der Sektion Wien des Verbandes Sozialistischer Studenten Österreichs, 23.4.1968.

Protest gegen den Vorsitzenden Kreisky

Der Verbandsvorstand protestiert gegen den Gebrauch der Bezeichnung „Terrororganisation“ im Zusammenhang mit Stellungnahmen und Aktionen des VSStÖ und VSM durch Parteivorsitzenden Dr. Kreisky. (Einstimmig, zwei Enthaltungen.)

Beschluß des Verbandsvorstandes des Verbandes Sozialistischer Studenten Österreichs, 27.4.1968.

Ultimatum des Vorsitzenden Kreisky

Wien, 2. Mai 1968

Werte Genossen!

Die gestrigen Vorfälle auf dem Rathausplatz, die Störung einer Maiveranstaltung der Sozialistischen Partei und die Behinderung des Wiener Bürgermeisters, seine Rede zu halten, durch Teilnehmer der kommunistischen Maiveranstaltung und einer Veranstaltung des sogenannten Aktionskomitees angeblicher sozialistischer Studenten und Arbeiter, stellen eine so krasse Verletzung demokratischer Grundsätze dar, daß ich mich unter Berufung auf den letzten Beschluß des Parteivorstandes und der seinerzeitigen Vereinbarung zwischen uns, wonach Veranstaltungen und Demonstrationen des Verbandes Sozialistischer Studenten Österreichs an solchen Veranstaltungen anderer Organisationen nur einvernehmlich erfolgen können, veranlaßt sehe, von Euch zu nachfolgenden Punkten eine klare und eindeutige Stellungnahme zu verlangen:

  1. Es entsteht der Eindruck und er muß entstehen, wenn Mitglieder Eurer Organisation — auch nur vereinzelt — sich an unsere Vereinbarung nicht halten, daß zwar der VSStÖ derartige Demonstrationen nicht arrangiert, aber nichts dagegen unternimmt, daß seine Mitglieder an ihnen teilnehmen. Um eine ironische Bemerkung Friedrich Engels’ über die Anarchisten zu variieren, scheint es so zu sein, daß manche derartige Dinge „reine Bourgeoisvorurteile sind, die der wahre Revolutionär im Interesse der Sache stets mit Mißachtung behandeln muß“.

    So wie seinerzeit die Vorkämpfer unserer Bewegung diese hinterhältige Art abgelehnt haben, tun wir es auch heute. Ich muß also verlangen, daß Ihr zu der seinerzeitigen Vereinbarung zwischen der Partei und dem VSStÖ eine eindeutige Stellungnahme bezieht, wobei der Verbandsvorstand, respektive das Verbandspräsidium die volle politische Verantwortung für seine Mitglieder trägt.

  2. Es ist dringend erforderlich, daß der Verband Sozialistischer Studenten Österreichs eine eindeutige Stellungnahme zu den gestrigen Vorfällen abgibt — so eindeutig und so uneingeschränkt, daß keinerlei Zweifel über die Aufrichtigkeit dieser Erklärung aufkommen können.
  3. Der Verband Sozialistischer Studenten muß als eine der Sozialistischen Partei Österreichs angeschlossene Organisation unverzüglich jene Maßnahmen gegen diejenigen unter seinen Mitgliedern treffen, die geeignet sind, zu verhindern, daß sich solche Vorfälle wiederholen. Ich verstehe darunter, daß die Mitglieder Eures Verbandes, die an den gestrigen Störaktionen gegen unsere Veranstaltung am Rathausplatz und an der Kundgebung mit den Kommunisten teilnahmen, damit ihre Mitgliedschaft im VSStÖ verwirkt haben. Sollten Maßnahmen aus statutarischen Gründen im Augenblick nicht endgültig getroffen werden können, so wären jedenfalls solche präliminärer Art unverzüglich zu beschließen. Auch diese Schritte sind erforderlich, um weitere Mißverständnisse über die Haltung des VSStÖ auszuschließen.
  4. Alle erforderlichen Beschlüsse wären so rechtzeitig zu treffen, daß darüber der am Montag, den 6. Mai d.J., zusammentretende Wiener Vorstand und Wiener Ausschuß informiert werden kann.
  5. Seit dem 15. Juli 1927 ist kein demokratisch gewählter Wiener Bürgermeister behindert worden, in Wien zu sprechen. Es erscheint mir also im höchsten Maße notwendig, daß der VSStÖ geeignete Schritte unternimmt, den Wiener Bürgermeister, Genossen Bruno Marek, direkt darüber zu informieren, daß Ihr Euch von diesen Vorfällen nicht nur distanziert, sondern auch diese dort angewendeten Methoden ablehnt.

Ich muß Euch in Anbetracht des Ernstes der Situation bitten, mir Eure Antwort bis spätestens Freitag, den 3. Mai d.J., 12.00 Uhr vormittag im Zentralsekretariat schriftlich zuzustellen.

Mit Parteigruß

Bruno Kreisky

Fähnlein der Aufrechten

Noch am selben 2. Mai gaben 13 sozialistische Studenten, darunter die Vorstandsmitglieder der Sektion Wien, Michael Genner und Hermann Dworczak, ihren Austritt aus dem VSStÖ bekannt und gründeten den SÖS (Sozialistischer Österreichischer Studentenbund).

Kapitulation der Studenten

Wien, 3. Mai 1968

Werter Genosse Kreisky!

Am 1. Mai wurde um 13 Uhr vor dem Maria-Theresien-Denkmal eine Kundgebung eines „‚Aktionskomitees sozialistischer Arbeiter und Studenten“ veranstaltet. Nach der anschließenden Demonstration kam es am Rathausplatz nach 15 Uhr bei einem von der SPÖ veranstalteten Platzkonzert zu bedenklichen Zwischenfällen.

  1. Obwohl der VSStÖ weder Kundgebung noch Demonstration veranstaltet und auch nicht an diesen teilgenommen hat, sieht er sich durch irreführende und falsche Berichte und Pressemeldungen zur folgenden dezidierten Klarstellung veranlaßt:
    1. Der VSStO stellt klar, daß er in keinen wie immer gearteten Zusammenhang mit dem ‚‚Aktionskomitee sozialistischer Arbeiter und Studenten“ gebracht werden kann.
    2. Der VSStÖ bedauert die aktive Teilnahme einzelner Mitglieder seiner Organisation an den vom Verband nicht gebilligten Aktionen dieses „Aktionskomitees“. Er behält sich Sanktionen gegen diese Mitglieder vor.
    3. Der VSStO ist immer für innerparteiliche und öffentliche Diskussion und deren Aktivierung eingetreten und wird das auch in Hinkunft tun. Er distanziert sich jedoch entschieden von Vorgehensweisen, durch die Diskussion von vornherein unmöglich gemacht wird.

      Daher lehnt der VSStÖ jedwede Störung von Veranstaltungen entschieden ab. Insbesondere verurteilt er ausdrücklich die Störung der Veranstaltung am Nachmittag des 1. Mai vor dem Rathaus. Der VSStÖ bedauert besonders die Störung der Eröffnungsrede von Bürgermeister Bruno Marek und wird eine Delegation zu Bürgermeister Marek entsenden, um diesen Vorfall zu klären.

  2. Die Mitglieder des VSStÖ, die sich aktiv an den störenden Aktionen am 1. Mai vor dem Rathaus beteiligt haben, werden aufgefordert, ihre Mitgliedschaft sofort zurückzulegen. Das gleiche gilt für die Mitglieder, deren Verhalten bzw. politische Stellungnahmen in Widerspruch zum Grundsatzprogramm und zum Organisationsstatut der SPÖ sowie auch in Widerspruch zu den statutarischen Bestimmungen des VSStÖ und zu den vom Verbandstag bzw. Verbandsvorstand beschlossenen politischen Richtlinien stehen. Soweit sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, wird der Verbandsvorstand statutarische Maßnahmen zu ihrem Ausschluß ergreifen. In diesem Sinne trägt der VSStÖ die volle politische Verantwortung für seine Mitglieder.

    In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich festgestellt, daß die Mitgliedschaft bei dem in Gründung befindlichen „SÖS“ mit der Mitgliedschaft im VSStÖ unvereinbar ist.

  3. Der VSStÖ steht zu den mit dem Parteivorstand getroffenen Vereinbarungen.

    Die jüngsten Zwischenfälle in Zusammenhang mit dem VSStÖ sind nur mit der Funktion des Verbandes als Sammelbecken für alle demokratischen linken Studenten in einer durch konservative Kräfte besonders dominierten Hochschulsituation zu verstehen und mit der Einsicht in die Notwendigkeit einer progressiven Entwicklung des Hochschulbereichs als einer der Voraussetzungen für die Verwirklichung einer sozialen Demokratie in Österreich.

    Wir schließen mit der Feststellung, daß der VSStÖ klar auf dem Boden des Wiener Programms der SPÖ steht.

Lehmann, Schmidt

Nichts gegen unsere brave Polizei

In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß Funktionäre des VSStÖ versucht haben, die Versammlung des Aktionskomitees am Rathausplatz in Diskussionsgruppen aufzulösen, um Störungen wie auch Zwischenfälle zu vermeiden. Daher war auch zum Zeitpunkt des unbedachten Einschreitens der Polizei nur mehr ein kleiner Teil der ursprünglich Anwesenden in Diskussionen am Rathausplatz begriffen.

  1. Der VSStÖ stellt mit Besorgnis fest, daß von seiten der Veranstalter wie auch der Polizei nicht alles getan wurde, um Zwischenfälle zu vermeiden. Insbesondere war der überstürzte und harte Einsatz der Polizei weder gerechtfertigt noch notwendig, um den Ablauf des Festkonzerts zu sichern. Durch dieses den Umständen vollkommen unangemessene Vorgehen der Polizei wurden auch Unbeteiligte gefährdet und — wie uns mitgeteilt wurde — zum Teil verletzt.

Diese Absätze mußten aus dem Brief an den Vorsitzenden Kreisky gestrichen werden.

Gummiknüppel und Wasserwerfer

In einer Dienstbesprechung, die Innenminister Soronics im Zusammenhang mit den Vorfällen auf dem Rathausplatz gestern einberufen hatte, wurde festgestellt, daß die bisher von den Sicherheitsbehörden geübte Toleranz mit Rücksicht auf die Häufung von Ruhestörungen und die zunehmende Brutalität einer Gruppe von verantwortungslosen Elementen nicht mehr länger beibehalten werden kann. Auf dem Rathausplatz sind zwölf Polizisten zum Teil erheblich verletzt worden.

Innenminister Soronics hat daher verfügt, daß ab sofort Personen, die ohne ordnungsgemäße Anmeldung Versammlungen abhalten oder abzuhalten versuchen, gesetzmäßig einberufene Versammlungen stören oder auf andere Weise die Ruhe und Ordnung gefährden, nach den gesetzlichen Bestimmungen bestraft bzw. den Gerichten angezeigt werden. Ausländer, die sich gegen diese Gesetze vergehen, haben unter Umständen mit der Ausweisung aus Österreich zu rechnen.

Der Innenminister erklärte, seine Behörde wisse sich mit dem überwiegenden Teil der Bevölkerung einer Meinung, daß Störungen des inneren Friedens und der öffentlichen Ordnung mit allen gesetzlichen Mitteln entgegengetreten werden muß, damit gefährliche Entwicklungen, wie sie sich im Ausland bereits abzeichnen, verhindert werden.

Der Minister hat zwei Beamte, die am 1. Mai erheblich verletzt wurden, im Spital besucht. Er hat überdies allen eingesetzten Polizisten den Dank und die Anerkennung ausgesprochen.

Zu den Behauptungen des Verbandes Sozialistischer Studenten, der Einsatz der Polizei sei weder gerechtfertigt noch notwendig gewesen, erklärte der Minister, die Reaktion der Polizei sei der Gefährlichkeit der Störungsversuche angemessen gewesen. Im übrigen hat Bürgermeister Marek gestern dem Minister bestätigt, daß sich die Polizei völlig korrekt verhalten hat.

„Volksblatt“, 3.5.1968.

In einer Dienstbesprechung, die am Donnerstag im Innenministerium auf Grund der Vorfälle bei einer Maiveranstaltung auf dem Wiener Rathausplatz stattfand, gab Innenminister Soronics den Sicherheitsbehörden Anweisung, ab sofort gegen Ruhestörer rigoros vorzugehen. Die Wiener Polizei erwägt auch, künftig gegen unverantwortliche Elemente gegebenenfalls Gummiknüppel und Wasserwerfer zu gebrauchen.

„Die Presse“, 3.5.1968.

Ges. Gesch., Pat. Ang.

Da bekannt geworden ist, daß Bestrebungen im Gange sind, eine Organisation mit dem Namen „Sozialistischer Österreichischer Studentenbund“ („SÖS“) ins Leben zu rufen, haben im Namen der Sozialistischen Partei Parteivorsitzender Dr. Kreisky und die Zentralsekretäre Probst und Gratz Rechtsanwalt Dr. Rosenzweig beauftragt, bei der Vereinsbehörde im Innenministerium die Untersagung des Vereinsnamens „sozialistischer Österreichischer Studentenbund“ zu beantragen, weil diese Organisation von der Sozialistischen Partei Österreichs nicht als sozialistische Organisation im Sinne ihrer Statuten anerkannt wird und die Verwendung des Wortes „sozialistisch“ im Vereinsnamen zu Verwechslungen und Irreführungen Anlaß geben kann.

„Sozialistische Korrespondenz“, 4.5.1968.
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