FORVM, No. 263/264
November
1975

Vier Jahre bedingt

Tausche Lohnerhöhung gegen Reform in der Krise

I. Blankoscheck für Kreisky

Im Juli-August-FORVM schrieb ich:

Nur keine Experimente. Wir bleiben bei Kreisky. Angstwähler sind konservativ.

Außerdem haben sie recht, wenn sie der Meinung sind, daß die Sozialdemokratie besseren Schutz bietet vor Arbeitslosigkeit als die bürgerliche Großpartei. Die Sozialdemokratie hat ein direktes Interesse am Schutz ihrer Massenbasis, der Arbeiter und Angestellten. Die ÖVP hat ein gespaltenes Interesse ...

Dieser Unterschied zwischen SPÖ und ÖVP wird bewirken, daß die Sozialdemokratie die kommenden Wahlen gewinnt.

Das reicht fürs erste.

Es hat gereicht. Sie hat gewonnen.

Nach 5½ Jahren Kreisky nochmals 4 Jahre Kreisky, insgesamt 9½. Gratulation. Was nun?

Vier Jahre Bewährungsfrist.

Die vorangegangenen Wahlen gewann die Sozialdemokratie mit einem ausformulierten Regierungsprogramm. Diesmal hatte sie kein solches Programm, wohlweislich. Es ist also jetzt der Weg frei: einerseits zum sozialdemokratischen Weiterwursteln, anderseits zu konsequenter sozialistischer Politik einer sozialdemokratischen Partei.

Von diesen Alternativen, die einander logisch ausschließen, wird Kreisky die einzige für ihn logische wählen, nämlich beide. Die Ära Kreisky geht weiter, es wird sowohl fortgewurstelt wie fortkonsequentelt werden.

Die Kreiskysche Königsstraße zum Erfolg, der Boulevard Kreisky verläuft genau dort, wo auf der politischen Landkarte nichts eingezeichnet ist, und auf dieser nicht vorhandenen Prachtstraße wird er unbeirrbar weiterschreiten.

Und genau dafür, und für nichts sonst, hat er den Wählerauftrag.

Nach den Wahlen im Frühjahr 1970 und Herbst 1971 wurde gesagt: Wir haben ein Parteiprogramm, das ist gut sozialistisch, und wir haben ein Regierungsprogramm, das ist gut demokratisch; den Wählerauftrag haben wir für das Regierungs-, nicht für das Parteiprogramm. Jetzt gibt es nur einen einzigen Wählerauftrag: den Blankoscheck auf Kreisky.

Das Wahlresultat vom 5. Oktober 1975

&nbsp Stimmen Prozente Mandate
SPÖ 2.324.309 (+44.141) 50,41 (+0,37) 93 (+0)
ÖVP 1.980.374 (415.661) 42,95 (-0,16) 80 (+0)
FPÖ 249.317 (+ 844) 5,41 (-0,04) 10 (+0)
KPÖ 54.971(- 6791) 1,19 (-0,17) — (—)
GRM 5 1.022 (—) 0,02 (—) — (—)

Die Zahlen in Klammer geben die Veränderungen zu den Nationalratswahlen 1971 an.

II. Dumme Fachleute, kluge Wähler

Kreisky hat freie Hand, mit solchen Erfolgen im Rücken braucht er sich zu nichts zwingen zu lassen — auf der Spielwiese der Demokratie, ein paar Quadratmeter im Ozean der ökonomischen „Sachzwänge“ des Kapitalismus, speziell in Zeiten der Krise, noch spezieller für ein winziges Land im unentrinnbaren Verbund mit ökonomischen Giganten (EG, US). Die vier Jahre, die Kreisky bekam, sind vier Jahre bedingt.

Kaum etwas verschafft mehr Zutrauen in die Widerstandsfähigkeit der menschlichen Vernunft als so eine demokratische Wahl. Da werden die Leute wochenlang nach allen Regeln der Kunst und von allen denkbaren Seiten eingenebelt und eingeblödelt (130 Millionen Schilling kostete der Wahlkampf diesmal), und dann geht eine ausreichende Anzahl von ihnen hin und besteht glänzend die Prüfung im demokratischen Hauptfach „Kritik der Politischen Ökonomie“, ein Fach, von dem die meisten Fachleute keine Ahnung haben, sehr viele einfache Leute aber schon.

Zum Unterschied von den Fachsimplern spüren sie die politische Dimension der Ökonomie. Sie spüren: so egal ist es schon nicht, wer in dem Freiraum agiert, den die ökonomischen „Sachzwänge“ übriglassen: Weiterwursteln durch die Sozialdemokratie bringt immer noch mehr für sie als jede denkbare ÖVP-Politik.

Denn für die SP geht es schlechthin um ihre Existenz, sie lebt und stirbt mit ihrer Massenbasis unter den Arbeitern und Angestellten. Dementsprechend verzweifelt wird sie sich abstrampeln, um deren unmittelbare Lebensinteressen halbwegs zu wahren, mit Arbeitslosigkeit und Inflation fertigzuwerden.

Drum ist die Sozialdemokratie einfach verläßlicher für die Masse der Bevölkerung als die ÖVP, die sicher auch gern Massengunst gewinnt, wenn aber nicht, so geht sie dran nicht ein — ihre eigentliche Existenz hängt nicht an den Massen, sondern am Kapitalismus. Der aber lebt fröhlich weiter auch bei Arbeitslosigkeit und Inflation — fröhlicher sogar, denn diese beiden bringen ihm, eine gewisse Zeit lang und innerhalb gewisser Grenzen, ganz erhebliche Vorteile.

Kurz: weil eine ausreichende Zahl von Wählern die Prüfung im Hauptfach Politische Ökonomie bestanden hat, wird die Sozialdemokratie Gelegenheit haben, dem Kapitalismus eine unheimliche Menge Geld in den Rachen oder sonstwohin zu schieben — Budgetgeld, also hauptsächlich Geld der kleinen Leute; und vom Staat bei den Banken geliehenes Geld, also Geld, das die kleinen Leute entweder direkt dort hingetragen haben oder ihnen vom Kapitalismus beim Lohn oder beim Einkaufen abgezwackt wurde. Mit diesem unserem Geld gefüttert, wird der Kapitalismus geruhen, wieder halbwegs zu funktionieren, das heißt a) ordentlich Profit zu machen, b) vom Tisch, der ihm reichlich gedeckt wurde, größere Brosamen fallen zu lassen für die Arbeiter und Angestellten, bei erträglicher Arbeitslosen- und Inflationsrate.

Ist es Wahnwitz, so hat es doch Methode. Was ich nicht umbringen kann, mit dem muß ich Kompromisse schließen. Und auch darin haben die Kreisky-Wähler ihre Prüfung in Politischer Ökonomie bestanden, daß sie die Machtverhältnisse in diesem Land richtig einschätzten. Leider steht es zwischen Gesamtarbeiter und Gesamtkapitalist bestenfalls fifty fifty. Daher muß man die Sozialdemokratie wählen, die mit dem Kapitalismus, weil man ihn derzeit und bis auf weiteres nicht umbringen kann, politische und ökonomische Zusammenarbeit übt, um auf diese Weise das realistisch Mögliche herauszuholen für die Lebensinteressen der Masse der Bevölkerung.

Andernfalls hätte man die „Gruppe Revolutionäre Marxisten“ (GRM) wählen müssen, die in Wien kandidierte, 1.022 Stimmen erhielt und durchaus imstande ist, den Kapitalismus jetzt schon zu vernichten, aber nur auf dem Papier. Oder durch Steinwürfe auf Polizisten, wie sie dies hinter der Wiener Spaniendemonstration betrieb, zwei Tage vor der Wahl, als Gipfel raffinierter Wahlwerbung.

III. Kein Spielraum für Reformen?

In Fortsetzung der Ära Kreisky wird es also Fortsetzung des Fortwurstelns geben, Geldspritzen für die kapitalistische Wirtschaft in irgendwelcher Abwandlung des Rezeptes des guten alten Keynes, „Mut zum Geldausgeben“ nannte es Kreisky. Das wird den unmittelbaren Lebensinteressen der Arbeiter und Angestellten dienlich sein, jedenfalls dienlicher als ÖVP-Wirtschaftspolitik. Da Handfesteres bei gegebenem Stärkeverhältnis der Klassen nicht möglich ist, kann man dazu sagen: gut — aber was noch?

Abgesehen von diesem zum Löschen der ärgsten Brandherde der Krise bestimmten „Feuerwehrreformismus“ (Blechschmidt, NF Juli/August) muß es eine Fortsetzung der sonstigen, konsequenten sozialdemokratischen Reformpolitik geben. Auf sanften Sohlen, höflich, aber bestimmt.

In Westdeutschland ist die sozialdemokratische Reformpolitik, ehe sie noch angefangen hat, schon steckengeblieben. Kommt das in Österreich auch, wegen Krise?

Kreisky war in seiner Wahlplattform überaus unbestimmt, auf koordinierte große Reformvorhaben hat er sich nicht festlegen lassen (auch nicht in den „Ressortprogrammen“, die seine Minister vorlegten). Am Abend des Wahlsiegs meinte er, souverän geheimnisvoll: Wenn Reformen notwendig sind, müssen sie gemacht werden.

Aber gibt es in der kapitalistischen Krise überhaupt Spielraum für sozialdemokratische Reformen? Österreich ist nicht Deutschland. In der BRD ist die Sozialdemokratie schwächer, der Kapitalismus ungleich stärker; die Sozialdemokratie steht dort gegen die kapitalistische Hauptmacht in Europa, Nr. 3 in der Welt (hinter USA und Japan). Die österreichische Sozialdemokratie übertrifft die deutsche hinsichtlich relativer Wähler- und Mandatszahl, gewerkschaftlichem Organisationsgrad, ununterbrochener intensiver Machtteilhabe seit 1945, dementsprechend dichter Besetzung politischer, staatlicher und wirtschaftlicher Schlüsselpositionen.

Wir können unserem „Wirtschaftspartner“, einem viel schwächeren Kapitalismus, als es der deutsche ist (kleines Land, großer verstaatlichter Sektor), mit viel mehr Nachdruck sagen: Gut, in der Krise lassen wir über Lohnprozente mit uns reden, halten wir sie jetzt niedriger, dafür aber wollen wir ein entsprechend großes Paket sozialer Reformen.

Hier hat schon im September der 8. Bundeskongreß des ÖGB die Signale gesetzt: Benya empfahl Zurückhaltung bei Lohnforderungen, Häuser präsentierte dafür ein relativ kühnes Reformpaket (mehr Urlaub für Arbeiter, Abfertigung bei jedem Betriebswechsel u.a.m.).

Überhaupt ist die „links“ beliebte These: Ätsch, jetzt ist Krise, da gibt’s keine sozialdemokratischen Reformen mehr! ein bloßer Kurzschluß, die ungehörige Übertragung der „revolutionären Ungeduld“ auf den sozialdemokratischen Reformismus. Die Umwälzung einer Gesellschaftsordnung in die nächste ist ein historischer Job, für den „revolutionäre“ Erwartungsneurose keinen geeigneten Maßstab liefert.

Sozialdemokratie hat einen langen Atem. Hinter der Krise kommt wieder die Konjunktur (unter anderem durch sozialdemokratische Beihilfe), und was in der Krise nicht hineingeht an Reformen, wird dann eben in der Konjunktur aufgeholt.

Die Sozialdemokratie gibt es, solange es den Kapitalismus gibt; ihr langer Marsch auf sanften Reformsohlen ist genauso lang wie die Übergangszeit zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

IV. Sozialistische „Bewußtseinsbildung“ und bürgerliche Medienzensur

Für dieses ewige sozialdemokratische Herumreformieren braucht man kein besonderes sozialistisches Bewußtsein. Es genügt der aufgeklärte Reformwille einer emanzipatorischen Bürokratie an der Spitze und ein vages trade-unionistisches Bewußtsein in der Massenbasis („Alle sollen besser leben“ heißt das z.B. im Regierungsprogramm der KPF, Paris 1972, S. 35).

Der Schrei nach sozialistischem Bewußtsein ist meist eine typisch intellektuelle, dementsprechend schiefe Angelegenheit. In aller bisherigen Geschichte entwickelt sich eine Gesellschaftsformation, ohne daß die ihr zugehörige Masse von Menschen ein spezielles „Bewußtsein“ vom Ziel hat. (Die zugehörigen Intellektuellen haben eine solche Zielvorstellung, aber es kommt dann ganz anderes, als sie denken. Statt „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der Monopolkapitalismus, statt der freien Assoziation der Produzenten die Sowjetunion usw. usf.).

Im geschichtlichen Ablauf geht es nicht um das intellektuell vorgestellte und den „Massen“ vermittelte Ziel, nicht um sozialistische Intellektuelle als Oberlehrer des Proletariats:

Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eigenen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet.

(Marx/Engels, Die Heilige Familie, MEW 2/38)

Das also heißt sozialistisches Bewußtsein: nicht irgendwelche intellektuelle Vorstellung über die künftigen Schönheiten des Sozialismus oder über den „revolutionären“ Weg dorthin, sondern Bewußtsein dessen, was ist, Bewußtsein über den wirklichen Weg des Sozialismus quer durch die Geschichte. Die Aufgabe für die Jahre 1975 bis 1979 wäre jene selbe, die Victor Adler schon im Gründungsprogramm der SPÖ, 1888, formulierte:

Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewußtsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist das eigentliche Programm der sozialdemokratischen Partei in Österreich.

Dieses eigentliche Programm der SPÖ ist nicht verwirklicht. Die Arbeiter- und Angestelltenmasse, der österreichische „Gesamtarbeiter“, hat statt dieses geforderten Bewußtseins ein vages Kreisky-Bewußtsein. Das ist viel besser, als wenn er der ÖVP hereingefallen wäre, aber viel schlechter, als wenn er ein klares sozialistisches Bewußtsein hätte.

Zur Presse sagte Kreisky am Tag nach der Wahl, zur Beruhigung dieses bürgerlichsten aller Medien:

Es wird so viel und so wenig sozialdemokratische Politik geben, wie unter den gegebenen Umständen, also auf Grund des Wählerauftrags, zulässig scheint.

(Presse, 7. Oktober 1975)

Kreisky, die komplette Sphinx für den bürgerlichen Medien-IQ: zugleich enthüllend und verschleiernd, kompromisselnd und konsequentelnd.

Bruno Kreisky:
Repariert er den Kapitalismus oder reformiert er zum Sozialismus?

„Unter den gegebenen Umständen“, das sind die vernebelnden Umstände der Medienlandschaft, „Wählerauftrag“, das ist, mangels konkretem Wahlprogramm, der einzig konkretisierbare Auftrag: Papa Kreisky, du wirst es schon richten. Wer da entscheidet, wie viel oder wie wenig „sozialdemokratische Politik“, das ist Kreisky. Und die Tante „Presse“ beruhigt und ängstigt er mit ein und demselben Satz: Mach dir keine Sorgen, es wird schon nicht zuviel Sozialismus geben, mach dir keine Illusionen, es wird schon nicht zuwenig Sozialismus geben. Kreisky at his best.

Solange es keine bewußte sozialistische oder doch sozialdemokratische Öffentlichkeit in diesem Lande gibt (vgl.
G. N., Mit gekrümmtem Rückgrat, NF Juli/ August 1975), solange unterliegt die Sozialdemokratie der Zensur durch die bürgerlichen Medien. Kreisky spielt mit dieser Zensur souverän Katz und Maus. Aber daß er so spielt, spielen muß, heißt eben: es gibt diese Zensur, sie ist ein massives Stück politischer Realität. Durch sie wird die demokratisch-sozialistische Reformpartei wirksam abgebremst hinsichtlich Quantität, Qualität und Tempo ihrer Reformen.

Und davon, daß diese Reformen in einen klaren, ausdrücklichen sozialistischen Gesamtzusammenhang gestellt werden, darf keine Rede sein, bei Strafe des Mißerfolgs bei Wahlen. Ja, es ist großartig, wie sich die österreichische Sozialdemokratie bei den jüngsten Wahlen geschlagen hat. Nach einem Trommelfeuer der miesesten antisozialistischen Propaganda, aus dem alleruntersten Ladel, Motto „Die Leut’ sind eh blöd, da geht alles hinein“ — dennoch dieser beinahe unglaubliche Erfolg. Zum zweiten Mal die absolute Mehrheit, das hat noch keine Partei zustande gebracht in der Geschichte dieses Landes; nur noch Tirol und Vorarlberg haben eine ÖVP-Mehrheit.

Aber der Sieg wurde um einen Preis erkauft.

Die Sozialdemokratie hat gewonnen trotz des konzentrierten Feuers der bürgerlichen Massenmedien. Das beweist: die Leute lassen sich nicht ganz blöd machen.

Die Sozialdemokratie hat aber auch gewonnen, weil sie die Ideologie dieser gegnerischen Massenmedien von vornherein weitgehend berücksichtigt und insoferne unterlaufen hat. Indem die SPÖ den Wahlkampf „rechts“ anlegte — mit Recht, denn sie mußte ihn gewinnen —, hatten die bürgerlichen Massenmedien keinerlei wirklichen, wirksamen Ansatzpunkt für die Angriffe auf sie. Wehe aber, wenn die SPÖ auch nur ungefähr „links“ agiert hätte.

Die Angriffe der bürgerlichen Massenmedien auf die Sozialdemokratie waren unberechtigt nach den eigenen ideologischen Maßstäben dieser Medien. Sie attackierten eine Sozialdemokratie, die sich ihren bürgerlichen Maßstäben ohnehin fügte. Dennoch taten diese Medien so, als bestünde die Sozialdemokratie plötzlich aus lauter roten Teufeln. Das ist schiefgegangen.

Die Sozialdemokratie hat gegen und trotz der bürgerlichen Massenmedien gesiegt, aber um den Preis, daß sie sich deren gesellschaftspolitischen und ideologischen Maßstäben vorgängig unterwarf. Bei jedem Propagandaschritt haben sich die SP-Wahlmacher sorgfältig gefragt: Was werden die bürgerlichen Medien dazu sagen, wie wird das „ankommen“?

V. Kreiskys Reformismus in sozialistischem Zusammenhang

Indem die Sozialdemokratie ununterbrochen den bürgerlichen Massenmedien Rechnung trägt, überträgt sie die Ideologie der bürgerlichen Massenmedien immer mehr auf sich selbst. Tendenziell verschwindet die Differenz zwischen den Vorstellungen der Sozialdemokratie und den Vorstellungen der bürgerlichen Medien. Genau diese Differenz ist aber die Summe des möglichen demokratischen Fortschritts in diesem Lande.

Diese Differenz herzustellen, abzusichern und möglichst groß zu halten — das ist z.B. ein Arbeitsfeld für die „Initiative sozialistische Politik“ (ISP; Manifest „Für eine sozialistische Politik der sozialdemokratischen Partei“), die hinter dem vorigen Parteitag steckengeblieben ist. Ihre Aufgabe kann nicht sein: selber Politik zu machen in Konkurrenz zur offiziellen Politik der SPÖ. Dazu ist sie zuschwach. Das ist schon schiefgegangen und muß jetzt erst recht schiefgehen bei gewonnener Bestätigung der offiziellen SP-Politik durch die Wähler und dementsprechend zusätzlichem Selbstbewußtsein der offiziellen SP-Politiker.

Voraussetzung erfolgreicher Arbeit zugunsten sozialistischer Bewußtseinsbildung ist die vernünftige, loyale Rollenteilung: einerseits die offizielle Politik, „mediengerecht“, d.h. kontrolliert an den Maßstäben der bürgerlichen Medien, und das wird noch eine ganze Zeitlang so bleiben; andrerseits, parallel dazu, sozialistische Bewußtseinsbildung durch die sozialdemokratische Linke.

Es kann sich dabei nicht einfach um neulinke Importware handeln, die den offiziellen Parteigrößen in die Nase stinkt und auch objektiv schon stinkt, angefault vom Tod der Studentenbewegung, überholt und überrollt von der seitherigen Entwicklung.

Es geht vielmehr um eigene ideologische Grundlagen der Sozialdemokratie, und das sind mit Verlaub (austro)marxistische Grundlagen, in theoretischer Ausdrücklichkeit heute verschwunden, in der praktischen Politik der Partei (ansatzweise) weiterhin vorhanden.

Nur durch solche Rollenteilung kann der Kreisky-Reformismus in einen allgemein sozialistischen Zusammenhang gestellt werden. Ein Zusammenhang, an den der Praktiker Kreisky, angesichts der massenmedialen Zensoren, nicht anstreift, der aber dem Theoretiker Kreisky durchaus geläufig ist:

Kreisky setzt alles auf die Reform. Anders als sein Lehrer Otto Bauer kennt er keine Situation, in der die Sozialdemokratie zur Revolution als verzweifeltem letzten Mittel gezwungen werden könnte ... (Aber) mit André Gorz und Lucien Goldmann tritt er für systemverändernde Reformen ein, bei denen eine bestimmte Quantität dialektisch in eine neue Qualität umschlage ...

(Ossip Flechtheim über Bruno Kreisky, in: Bruno Kreisky, Aspekte des demokratischen Sozialismus, München 1974, S. 19, S. 12).

Sozialdemokratische Reformen in sozialistischem Zusammenhang. Nicht rot und romantisch: „Revolution als verzweifeltes letztes Mittel“ ; sondern rot und realistisch: Revolution, das heißt heute in den entwickelten Industriestaaten: friedlicher, gesetzlicher, schrittweiser Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus.

Langer Marsch auf rosa Pfoten.

Eine Gesellschaft ... kann ... naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann Geburtswehen abkürzen und mildern.

(Karl Marx, Vorwort zur ersten Auflage des Kapitals, MEW 23/16)

Ein Regierungsprogramm für den Rest der Ära Kreisky.

Auf daß Otto Schulmeister recht bekomme, Österreichs begabtester Spezialist für bürgerlichen Weltuntergang, wenn er anläßlich des Wahlausgangs prophezeit, es komme „das rote nach dem Kreisky-Österreich“ (Presse, 7. Oktober 1975).

PS. Für begriffsstützige „Linke“ eine Zusammenfassung: Gewonnen hat Kreisky, aber man darf nicht personalisieren, er gewann vor dem ökonomisch-psychologischen Hintergrund der Massenangst vor Arbeitslosigkeit. Nach diesem Sieg kann Kreisky machen, was er will, aber man darf nicht personalisieren, sein Spielraum ist doppelt begrenzt, einmal durch die Weltökonomie, zweitens durch die ideologische Zensur der bürgerlichen Medien. Daher muß es eine Rollenteilung zwischen etablierter Sozialdemokratie und der Linken geben. Die etablierte Partei macht praktische Politik, die aber als solche von der Linken nicht einfach hinzunehmen ist. Zwar kann die Linke, schwach wie sie derzeit ist, keine eigenständige praktische Politik als Alternative präsentieren, wohl aber kann und muß sie, als Teil einer intelligenten rot-realistischen Strategie, intensive Bewußtseinsarbeit leisten, Revolutionierung der Köpfe. Ausgehen von dem was ist, damit daraus was anderes wird.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)