MOZ, Nummer 48
Januar
1990
Polizeihandbuch zur Abschaffung des Müßiggangs

Von Bettlern, Landstreichern und dergleichen gefährlichem Gesindel

„Es mußte auffallen, daß nicht bloß krüppelhafte, sondern auch gesunde, zu anderem Erwerbe fähige Personen, als Bänkelsänger, Leiermänner und Musikanten, eigentlich aber als Müßiggänger und Bettler von Haus zu Haus herumziehen“ (§ 512). Von der kaiserlichen Administration als Nichtstuer entlarvt, war das fahrende Volk, um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in großer Zahl auf Österreichs Landstraßen unterwegs, seines Überlebens nicht mehr sicher. Straßenmusikanten und Wanderschauspieler, Bettelweiber und Bärenführer, Hausierer, Gelegenheitshandwerker, Prediger, Büßer und Wahrsagerinnen — sie alle, deren Sozialprestige in der mittelalterlichen Gesellschaftshierarchie der weithin verachteten Lohnarbeit gleichkam, wurden im frühen 19. Jahrhundert endgültig zu Schmarotzern erklärt. Im damaligen Amtsjargon: „unnütze und bedenkliche Verzehrer“ (§ 886). Ebenso wie jene, die ihnen Almosen, Unterstand und Schutz gewährten, fielen sie als „arbeitsscheues Gesindel“ polizeilicher Verfolgung anheim.

Systematische Abschaffung

Die Fülle von Gesetzen und Verordnungen — seit Mitte des 18. Jahrhunderts zur „Abschaffung von Müßiggängern, Landstreichern und Raubgesindel“ erlassen — begann den Kreisämtern, Herrschaften und Ortspolizisten über den Kopf zu wachsen. Als Überblick über den Paragraphendschungel wurde daher ein umfassendes vierbändiges Nachschlagwerk in Polizeiangelegenheiten in Auftrag gegeben, das im Jahr 1830 in Buchform erschien. Dem Autor des „Systems der österreichischen administrativen Polizey“, Johann Baptist Ludwig Ehrenreich Graf von Barth-Barthenheim, seit 1804 im Staatsdienst seiner Majestät Kaiser Franz I., bescheinigte die „Allgemeine deutsche Biographie“ (1875) „wohltuende Klarheit und Übersichtlichkeit“ im „Geist bürokratischer Aufgeklärtheit“.

Tatsächlich ist dem Grafen peinliche Sorgfalt in der Erfassung sämtlicher Kategorien gesellschaftlicher Außenseiter nicht abzusprechen. Er begleitet den eifrigen Staatsbeamten durch alle Schichten liederlichen Gesindels, und während er die gesetzlichen Handhaben zu dessen Aufspürung, Bestrafung, Abschiebung oder „nützlichen Beschäftigung“ aufführt, vermittelt er den heutigen LeserInnen ein farbenprächtiges Bild der vormärzlichen Landstraße.

Bild: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

An die Arbeit!

Seit dem Ende des 30jährigen Krieges war die Zahl jener Menschen, die keiner festen Haushaltsgemeinschaft angehörten und ihr Überleben im Umherziehen fristelen, ungemein angestiegen. Die Lockerung der grundherrschaftlichen Abhängigkeiten und die Wirren der napoleonischen Kriege trugen ein weiteres zur Entwurzelung der Landbevölkerung bei, die nun — stets an der Kippe vom Hungerkünsteln zum Gelegenheitsdiebstahl — die Straßen säumte und bettelnd und allerlei Waren feilbietend in die Hauptstadt strömte. Ein willkommenes Arbeitskräftepotential für die entstehenden Fabriken! Aber wie sollte dieses „arbeitsscheue, widerspenstige Gesindel“, das lieber hungerte als einer regelmäßigen Beschäftigung nachging, Fleiß, Pünktlichkeit und Arbeitsamkeit erlernen? Die biedermeierliche Polizei, deren Aufgabenbereich auch Armenwesen und Sozialdisziplinierung umfaßte, gab sich jedenfalls alle nur erdenkliche Mühe. Zum ersten galt es, die Familiengründung von Arbeitsscheuen und Arbeilsunfähigen zu verhindern. „Wenn Heirathswerber sich vom Betteln und Almosen ernähren, Krüppel oder siech sind“, sollte die damals erforderliche „Ehelichungs-Bewilligung“ versagt werden, hieß es im Abschnitt „Von der Verhinderung der Vermehrung nahrungsloser Familien“.

„Menschen-Classen, welche der Landessicherheit bereits gefährlich sind“ — nach Barth-Barthenheim waren das laut § 463 Müßiggänger, Landstreicher, Raubgesindel, Bettler, Inquisiten, Verbrecher, aus dem Arbeitshause getretene Leute sowie Ausreißer —, sollten durch gesetzliche Maßnahmen ihrer Überlebensgrundlage beraubt werden. Konkret hieß das: Betteln wurde ebenso wie das Almosengeben verboten, Bettelmönche durften nicht mehr sammeln, die Erteilung von Bettelmusiklizenzen wurde eingestellt. Bettlerhütten und Schlupfwinkel an den Haupt- und Seitenstrassen hatten bereits im Jahr 1745 verschwinden müssen, das Unterstandgeben und Beherbergen eines fremden Beltlers wurde 1815 untersagt. Wer ohne regelmäßige Beschäfligung angetroffen wurde, wurde aufgegriffen. Mehr noch, den Vagabunden der Straße und ihrem Umfeld wurde in regelrechten Streifzügen, sogenannten „Visitationen“, nachgespürt und dabei systemalisch alles ausgehoben, was sich den neuerdings propagierten industriellen Arbeitstugenden verweigerte.

Ein drittes großes Kapitel widmete sich der „Behandlung landesgefährlicher Leute“. Ohne Umschweife wird hier das taktische Vorgehen der Operation zur „Abschaffung des Müßiggangs“ offengelegt. Nach erfolgreicher Isolierung der „Arbeilsverweigerer“ wurden diese je nach Herkunft und Arbeitsfähigkeit verschiedenen Kategorien zugeordnet. Jene, die nicht nach Niederösterreich zuständig waren, wurden kurzerhand des Landes verwiesen. Das Mittel ihrer „Abschaffung“: der regelmäßig veranstaltete Schub außer Landes. Die Übrigen teilten sich in solche, die zur Arbeit fähig waren, und solche, die Unterstützung benötigten. Während erstere zur Arbeit bei Privaten, im Zwangsarbeitshaus oder zum Militär verpflichtet wurden, richtete man für die Arbeitsunfähigen staatliche Armenanstalten ein.

Die Kriminalisierung des „Müßiggangs“ und seiner vorindustriellen Existenzgrundlagen bedeutete die kontrollierte Absonderung und Versorgung der Sozialfälle, um schließlich jene, die arbeitsfähig waren, mit polizeilicher Strenge der Verwertung im industriellen Arbeitsprozeß zuzuführen. Oder wie es dazu im Polizeihandbuch von 1830 hieß: „Die Visitationen sind zur Ausrottung des schädlichen Gesindels, sowie zur Versorgung der wahrhaft würdigen Armen, mithin zur Säuberung des Landes bestimmt“ (§ 712).

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