FORVM, No. 138-139
Juni
1965

Von Kellnern, Hoteliers und Parkplätzen

Erlebnisse eines reisenden Israeli

Mit seinen beiden Satirensammlungen „Drehn Sie sich um, Frau Lot“ und „Arche Noah, Touristenklasse“ hat Ephraim Kishon, der erste Humorist des jungen Staates Israel, das Lesepublikum dreier Kontinente erobert (und die amerikanische Kritik ließ ihm das höchste Lob zuteil werden, das sie zu vergeben hat: einen Vergleich mit Mark Twain). Unter dem Titel „Der seekranke Walfisch oder Ein Israeli auf Reisen“ erscheint demnächst bei Langen-Müller sein neuestes, abermals von Friedrich Torberg ins Deutsche übersetztes Buch, aus dem wir einige Proben zum Vorabdruck bringen.

Über die Korrektheit schweizerischer Hotelmanager

Die Schweizer Hotels halten den höchsten Standard. Es gibt kein Feilschen, keine unangenehmen Überraschungen, kein Straucheln über die Trinkgeldfrage. In jedem Hotel hängt eine deutlich sichtbare Tafel mit Hausregeln und Preislisten, und weder von den einen noch von den anderen wird auch nur im mindesten abgewichen. Unser Hotel in Zürich informierte uns beispielsweise über die folgende Tarifbesonderheit:

„Klimaanlage im Zimmer: 10% des Tagespreises.“

Mit Recht. Klimaanlagen sind das Nonplusultra an modernem Komfort. Durch einen kleinen, in unerreichbarer Höhe angebrachten Apparat wird die ozonreiche Schweizer Luft, sorgfältig temperiert und gefiltert, in das geschmackvoll eingerichtete Zimmer geleitet. Jeder Atemzug trägt zum Wohlbefinden des Gastes bei. Mag draußen ein noch so heißer Schirokko das Leben unerträglich machen — das Zimmer bleibt erfrischend kühl. Leider kann es manchmal geschehen, daß es keinen Schirokko gibt und daß, im Gegenteil, die Luft draußen erfrischend kühl ist. Dann allerdings verwandelt sich das geschmackvoll eingerichtete Zimmer in eine Eisgrube.

Infolgedessen ging ich zum Hotelmanager und sprach zu ihm wie folgt:

„Exzellenz! In unstem Zimmer ist es kalt. Mörderisch kalt. Bitte stellen Sie die Klimaanlage ab!“

Exzellenz zogen die Hausregeln zu Rate und antworteten freundlich:

„Mein Herr, Sie haben ein Zimmer mit Klimaanlage genommen.“

„Gewiß. Aber jetzt herrscht draußen Kälte, und ich möchte, daß Sie dieses verdammte Ding abstellen.“

„Das geht leider nicht. Unsere Klimaanlage ist zentral betrieben.“

„Ich bin anfällig für Lungenentzündungen.“

„Dann müssen Sie wärmere Kleider anziehen“, sagte der Manager und war mir sichtlich böse, daß ich ihn zu einem Bruch der Hausregeln verleiten wollte.

Ich machte einen letzten Versuch:

„Stellen Sie die Klimaanlage ab — und ich zahle Ihnen trotzdem die 10% Aufschlag. Einverstanden?“

Nun war es mit der Selbstbeherrschung des Managers zu Ende. Für derlei levantinische Sitten hatte er nichts übrig. Sein Gesicht lief rot an.

„Mein Herr“, sagte er eisig, „für nicht geleistete Dienste können wir unseren Gästen nichts berechnen. Wenn Sie für etwas zahlen, dann bekommen Sie es auch. Das ischt alles.“ Und mit einer unwidersprechlichen Handbewegung scheuchte er mich von seinem Antlitz hinweg.

Ich kehrte in unsre Tiefkühlanlage zurück und beriet mit meiner Gattin, wie wir dem Tod durch Erfrieren vielleicht doch noch entgehen könnten. Schließlich kauerten wir uns eng umschlungen hinter einen Mauervorsprung, der uns Schutz gegen die unablässig eindringenden Kaltluftströmungen verhieß.

Einige Minuten später klopfte es diskret an der Türe. Nein, die Schweizer sind keine Unmenschen. Ein Zimmermädchen brachte uns einen elektrischen Heizstrahler und zwei Decken.

Nach und nach gestalteten sich meine Beziehungen zum Manager etwas freundlicher. Er entpuppte sich — wie alle Schweizer, wenn man sie näher kennenlernt — als ein sehr netter Kerl, nur in Fragen der Haus- und sonstigen Ordnung verstand er keinen Spaß. Und wie sich zeigte, war das nicht einmal der einzige Spaß, den er nicht verstand.

Eines Abends unterhielten wir uns über die Weltlage. Nachdem er mir die schweizerische Neutralität und ich ihm die bedrohte Lage Israels erklärt hatte, sah ich den Zeitpunkt gekommen, ihm einen jüdischen Witz zu erzählen:

„Kennen Sie diesen?“ begann ich. „Zwei Juden fahren in der Eisenbahn —“

„Entschuldigen Sie“, unterbrach mich der Manager und rückte seine Brille zurecht. „Was für Juden: Ich meine: woher kamen die beiden Herren:“

„Von irgendwoher. Es ist gleichgültig.“

„Von Palästina?“

„Spielt keine Rolle. Schön, von Palästina. Oder sagen wir besser Israel. Und —“

„Ich verstehe. Sie wollen andeuten, daß die Geschichte bald nach der Gründung Ihres Staates spielt.“

„Richtig. Aber es hat eigentlich nichts mit der Geschichte zu tun. Zwei Juden fahren in der Eisenbahn —“

„Wohin?“

„Egal. Nach Haifa. Es ist wirklich ganz unwichtig. Der Zug fährt plötzlich in einen langen Tunnel ein, und da —“

„Einen Augenblick. Gibt es denn auf der Strecke nach Haifa einen Tunnel?“

„Dann fahren sie eben nach Jerusalem. Gut: Also der Zug —“

„Entschuldigen Sie, mein Herr. Ich fürchte, daß es auch auf der Strecke nach Jerusalem keine Tunnels gibt. Mein Bruder war mit einer Roten-Kreuz-Mission in Palästina, als es noch unter britischem Mandat stand, und er hat mir nie etwas von Tunnels erzählt.“

„Es spielt ja auch gar keine Rolle. Das sagte ich Ihnen doch schon. Es ist für meine Geschichte ganz gleichgültig, wo die beiden im Zug fahren. Nehmen wir an, sie fahren in der Schweiz. Und —“

„Ah, in der Schweiz! Und um welchen Tunnel, wenn ich fragen darf, handelt es sich? Um den Simplon: Um den St. Gotthard: Oder vielleicht um den Arlbergtunnel: Der liegt allerdings zum Teil —“

Jetzt war es an mir, zu unterbrechen:

„Es ist vollkommen unwichtig, was für ein Tunnel es war!“ rief ich. „Meinetwegen kann es auch der Schlesinger gewesen sein!“

„Der Schlesinger-Tunnel?!“ Der Manager brach in dröhnendes Gelächter aus. „Hervorragend! Ein hervorragender Witz! Entschuldigen Sie — das muß ich sofort unsrem Chefportier erzählen! Der Schlesinger-Tunnel! Hahahaha ...“

Bald darauf schüttelte sich das ganze Hotel vor Lachen. Ich schlich auf die Toilette, ließ es mir angelegen sein, jedes Aufsehen zu vermeiden, und erhängte mich still an einer garantiert unzerreißbaren Schweizer Krawatte.

Anleitung zum Verhungern in einem echt französischen Restaurant

An der Kreuzung zweier unzugänglicher Seitenwege im Bois de Boulogne liegt ein echt französisches Restaurant, das nur von Einheimischen frequentiert wird. An jenem Sonntag barst es schier von Gästen, und am Eingang wartete eine Schlange eßlustiger Franzosen auf das Freiwerden von Plätzen. Zwischen den dichtbesetzten Tischen eilten zwei schwitzende, unter der Last ihrer Arbeit tief gebückte Kellner hin und her und bestätigten aufs neue die alte Regel, daß es in den französischen Restaurants entweder zu viel oder zu wenig Kellner gibt, aber nie die richtige Anzahl. So unverkennbar echt war die Atmosphäre, mit so authentischem Zauber nahm sie mich gefangen, daß ich in sträflichem Leichtsinn aller Warnungen vergaß und mich an einen Tisch setzte, der wunderbarerweise vollkommen leer inmitten des Lokals stand. Lässig ließ ich mich auf den freien Stuhl nieder (es war nur ein einziger vorhanden), räkelte meine drahtigen Glieder und stellte nicht ohne Befriedigung fest, daß ich mich in verhältnismäßig kurzer Zeit bereits völlig dem Lebensstil der Franzosen angeglichen hatte. Dann griff ich nach der Karte, überflog sie geübten Blicks und entschied mich für ein Entrecôte.

„Garçon!“ rief ich in bestem Französisch. „Un entrecôte!“

Der Kellner, einen Ausdruck aristokratischer Unnahbarkeit im Gesicht und sieben hochgetürmte Teller in den Händen, wischte an mir vorbei, ohne mich auch nur anzusehen. Ich wartete, bis er aus der Gegenrichtung wieder den Tisch passierte:

„Garçon! Un entrecôte!“

Diesmal würdigte mich der Aristokrat wenigstens eines flüchtigen Blicks, aber das war auch alles. Ich strich ihn aus der Liste meiner Bekannten. Ohnehin sah sein Kollege, der einen buschigen Schnurrbart trug, aussichtsreicher aus:

„Garçon! Un entrecôte!“

Der Angeredete — er trug außer dem Schnurrbart eine noch größere Anzahl von Tellern als sein Vorgänger — verschwand wortlos in der Menge. Jetzt wurde ich doch ein wenig unruhig und fragte mich, ob ich nicht vielleicht in die Stoßzeit geraten wäre. Rings um mich löste der größere Teil der Pariser Bevölkerung mit hörbarem Vergnügen das sonntägliche Ernährungsproblem. Und mir als einzigem sollte diese Lösung versagt bleiben: Als ich den Aristokraten wieder herannahen sah, sprang ich auf und verstellte ihm den Weg:

„Garçon! Un entrecôte!“

Er rannte mich nieder. Er stieg über mich hinweg, als ob er mich nicht gesehen hätte. War ich unsichtbar geworden?

Mühsam erhob ich mich vom Boden. Als der Schnurrbart wieder vorbeikam, erwischte ich ihn an den Frackschößen:

„Garçon! Un entrecôte!“

„Sofort“, antwortete er und suchte sich verzweifelt aus meinem Doppelnelson herauszuwinden. Aber ich ließ nicht locker. Ich stellte ihm die Frage, die mich schon seit einiger Zeit beschäftigte:

„Warum geben Sie mir nichts zu essen?“

„Das ist nicht mein Tisch!“ Er begleitete diese Auskunft mit einigen heftigen Tritten gegen mein Schienbein.

Ich ließ ihn los. Wenn das nicht sein Tisch war, dann hatte ich kein Recht, ihn zurückzuhalten.

Mit erneuter Inbrunst wandte ich mich dem Aristokraten zu, suchte durch lautes Klatschen seine Aufmerksamkeit zu erregen und durch körperliches Dazwischentreten seinen Weg zu blockieren. Er ging abermals durch mich hindurch.

Jetzt begann mein Erfindungsgeist zu arbeiten. Ich konstruierte eine — wenn auch primitive — Falle. Als er das nächste Mal, bepackt mit einer enormen Ladung Desserts, den an meinem Tisch vorüberführenden Engpaß durchbrechen wollte, sprang ich auf, schob meinen Stuhl hinter ihn und schnitt ihm mit einem blitzschnellen Umgehungsmanöver von vorne den Weg ab. Jetzt gab es kein Entrinnen für ihn:

„Garçon! Un entrecôte!“

Er versuchte einen strategischen Rückzug, fand aber die Ausfallstraße durch meine Barrikade unpassierbar gemacht.

„Monsieur“, sagte er und maß mich mit einem mörderischen Blick. „Das ist nicht mein Tisch.“

Ich verstand. Endlich verstand ich. Das also war der Grund, warum dieser Tisch so wunderbarerweise leerstand. Es war ein Niemandstisch im Grenzgebiet zwischen zwei Großmächten, ein verlassener Vorposten am Rand der Wüste, wo nachts die Schakale heulen und höchstens dann und wann ein Atomphysiker auftaucht. Ich war verloren. Ich war ein Ausgestoßener. Was sollte aus mir werden? Mit elementarer Gewalt ergriff mich das dem Psychologen so wohlbekannte, urmenschliche Bedürfnis, zu irgend jemandem zu gehören.

„Dein bin ich, dein mit Leib und Seele“, wisperte ich ins Ohr des Aristokraten, der zufällig in meiner Nähe eine kleine Schnaufpause machte. „Ich gehöre dir, ich schare mich um dein Banner, ich —“

„Lassen Sie mich in Ruh oder ich hole die Polizei“, zischte der Aristokrat und brach in westlicher Richtung aus.

Ich begann zu weinen. Nichts ist schlimmer als Einsamkeit. „Ephraim“, sagte ich zu mir selbst, „du mußt etwas tun. Du mußt bei einem Kellner deine De-facto-Anerkennung durchsetzen, sonst hast du zu existieren aufgehört!“

Mit letzter Kraft sprang ich auf und winkte dem Schnurrbart, der mit einer Lieferung angenehm duftenden Geflügels unterwegs war: „Garçon! L’addition!“

Der Schnurrbart warf mir einen Blick zu, aus dem klar hervorging, daß er auf diesen schäbigen Trick nicht hereinzufallen gedächte, und setzte seinen Weg fort.

In diesem Augenblick trat eine unvorhergesehene Wendung der Dinge ein, und zwar in Gestalt eines vierschrötigen, glatzköpfigen Mannes, der sich in der Küchentüre aufpflanzte und einen selbstbewußten Feldherrnblick über das Terrain schweifen ließ. Der Chef!

Ich stürzte auf ihn zu und schilderte ihm mit bitteren Worten, wie seine Kellner mich behandelten.

„Hm“, machte der Chef. „Haben Sie hier unter den Gästen vielleicht einen Bekannten, der für Sie bestellen könnte:“

Einen Bekannten: Ich? Hier, mitten im Urwald? Ich schüttelte den Kopf.

Der Chef tat ein gleiches und zog sich in die Küche zurück, während ich meinen hoffnungslosen Platz im Niemandsland wieder einnahm.

Der Hunger trieb mich zur Verzweiflung. Ich mußte über die Grenze gelangen, koste es was es wolle. Unauffällig, in kleinen, sorgfältig berechneten Rucken, begann ich den Tisch im Sitzen aus dem Niemandsland hinauszuschieben. Zoll um Zoll, langsam, aber unaufhaltsam, kämpfte ich mich zum Territorium des Schnurrbarts durch, von jeder Deckung Gebrauch machend, die sich unterwegs bot. „Bald“, so ermunterte ich mich, „bald bin ich unter Menschen ... die Rettung ist nahe ...“

Nichts da. Die Grenzpolizei schnappte mich.

„Schieben Sie den Tisch sofort zurück!“ herrschte der Schnurrbart mich an.

Was jetzt über mich kam, läßt sich rationell nicht erklären. Es wurzelt tief in archaischen Trieben. Mit einem heiseren Aufschrei warf ich mich über den Kellner, riß vom obersten Teller eine halbe Ente an mich und schob sie in den Mund. Sie schmeckte betörend. Schon streckte ich die Hand nach den Petersiliekartoffeln aus — aber da hatte der Kellner sich aus seiner Starre gelöst und begann zurückzuweichen:

„Monsieur ...“, stammelte er. „Monsieur, was tun Sie da ...“

„Ich esse“, antwortete ich bereitwillig. „Das wundert Sie, was?“

Aller Augen waren auf mich gerichtet. Das ganze Restaurant verfolgte atemlos den tatsächlich ein wenig ungewöhnlichen Vorgang. Leider kam der Aristokrat dem Schnurrbart zu Hilfe, und der Chef schämte sich nicht, mit den beiden gemeinsame Sache zu machen. Ihren vereinten Anstrengungen gelang es, den Rest der Ente aus meinen Händen zu winden. Dann, unter den Hochrufen der Zuschauer, hoben Sie mich auf und trugen mich zur Türe. Unterwegs entschloß ich mich, kein Trinkgeld zu geben.

„Hunger!“ brüllte ich. „Hunger! Ich will essen!“

„Warten Sie, bis Sie bedient werden“, sagte der Schnurrbart.

„Sie sind hier nicht im Ritz“, fügte der Aristokrat hinzu.

„Engagieren Sie mich als Kellner!“ beschwor ich den Chef.

Es war zu spät. In weitem Bogen flog ich durch die Türe, kam nach einer glatten Bauchlandung auf die Füße und wandte mich um. Der Chef stand da und sah mich mit einem beinahe teilnahmsvollen Gesichtsausdruck an:

„Monsieur — gehen Sie in irgendein Restaurant auf den Champs Elysées. Das ist das richtige für Touristen.“

Die einzige Art, in Amerika zu parken

In New York erwachte ich eines Morgens mit Zahnschmerzen. Mit ganz gewöhnlichen, ungemein schmerzhaften Zahnschmerzen. Irgend etwas in meinem linken Unterkiefer war nicht in Ordnung, schwoll an und schmerzte.

Ich fragte Tante Trude, ob es hier in der Gegend einen guten Zahnarzt gäbe. Tante Trude kannte ihrer drei, alle in nächster Nähe, was in New York ungefähr soviel bedeutet wie 25 Kilometer Luftlinie.

Ich wollte wissen, welcher von den drei Zahnärzten der beste sei.

„Das hängt davon ab“, sagte Tante Trude. „Der erste hat seine Ordination in der Wall Street. Dort wimmelt es von Zeitungsreportern, und wenn jemand einen Parkplatz findet, wird er sofort von ihnen interviewt. Ich weiß nicht, ob du das mit deinen Zahnschmerzen riskieren willst. Der zweite hat eine direkte Autobusverbindung von seinem Haus zum nächsten bewachten Parkplatz, aber er ist kein sehr angenehmer Arzt. Ich würde dir zu Dr. Blumenfeld raten. Er wohnt in einem ähnlichen Cottage-Viertel wie wir und inseriert, daß man dort manchmal in einer nicht allzuweit entfernten Seitenstraße Platz zum Parken findet.“

Das war entscheidend. Und mein Unterkiefer war um diese Zeit schon so angeschwollen, daß es keine Zeit mehr zu verlieren gab. Ich nahm den Wagen und sauste los.

Es dauerte nicht lange, bis ich Dr. Blumenfelds Haus gefunden hatte. Auch die im Inserat angekündigten Seitenstraßen waren da, nicht aber der im Inserat angekündigte Platz zum Parken. An beiden Straßenseiten standen die geparkten Wagen so dicht hintereinander daß nicht einmal die berühmte Stecknadel hätte zu Boden fallen können; sie wäre auf den fugenlos aneinandergereihten Stoßstangen liegen geblieben.

Eine Zeitlang kreuzte ich durch die Gegend wie ein aus seiner Flugbahn geratener Satellit.

Dann geschah ein Wunder. Ich sah es mit meinen eigenen Augen. Das heißt: ich sah ein Wunder im Anfangsstadium. Ich sah einen amerikanischen Bürger, der sich an der Türe seines geparkten Wagens zu schaffen machte.

Schon hielt ich an seiner Seite:

„Fahren Sie weg:“

„Ob ich — was? Ob ich wegfahre?“ Er wollte seinen Ohren nicht trauen. „Herr, ich habe auf diesen Parkplatz zwei Jahre lang gewartet und habe ihn erst im vorigen Herbst erobert. Damals nach dem Hurrikan, der alle hier geparkten Wagen weggefegt hat ...“

Jetzt fiel mir auf, daß das Dach seines Wagens, genau wie das der anderen, mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Da gab es also nichts zu hoffen.

Wo ich denn möglicherweise einen Parkplatz finden könnte, fragte ich.

Die Antwort, nach längerem Nachdenken und Hinterkopfkratzen erteilt, verhieß wenig Gutes:

„Einen Parkplatz finden ... Sie meinen: einen freien Parkplatz? In Texas soll es angeblich noch einige geben. Vergessen Sie nicht, daß sich die Zahl der Autos in Amerika jedes Jahr um ungefähr fünfzehn Millionen vermehrt. Und die Länge der Autos jedes Jahr um ungefähr zehn Inch. Der letzte Gallup-Poll hat ergeben, daß 83% der Bevölkerung das Parkproblem für die gefährlichste Bedrohung ihres Lebens halten. Nur 11% haben Angst vor dem Atomkrieg.“

Mit diesen Worten zog er einen Roller aus dem Fond seines Wagens, stieg mit einem Fuß darauf und ließ den Wagen unverschlossen stehen.

„He! Sie haben nicht abgesperrt!“ rief ich ihm nach.

„Wozu?“ rief er zurück. „Niemand stiehlt mehr ein Auto. Wo sollte er es denn parken?“

Mein Zahn trieb mich weiter. Aber es war ganz offenbar sinnlos. Wohin man blickte, stand geparktes Auto an geparktem Auto, und wo kein Auto stand, stand ein Pfosten mit einer Tafel, und auf der Tafel stand die Inschrift: „Von Anfang Juli bis Ende Juni Parken verboten“, oder: „Parkverbot von 0 bis 24 Uhr, Sonn- und Feiertag von 24 bis 0 Uhr.“ War aber irgendwo kein Wagen und keine Tafel zu sehen, so stand dort todsicher ein Feuerhydrant, dem man in Amerika unter Androhung schwerster Geld- und Freiheitsstrafen nicht in die Nähe kommen darf, nicht einmal wenn es brennt.

In einer schon etwas weiter entfernten Straße fand ich eine Affiche, aus der hervorging, daß hier am 7. August zwischen 3 und 4 Uhr nachmittag geparkt werden durfte. Ich erwog ernsthaft, so lange zu warten, aber mein Zahn war dagegen.

Endlich schien mir das Glück zu lächeln. Vor einem großen Gebäude sah ich einen leeren, deutlich für Parkzwecke reservierten Raum mit der Aufschrift: „Kostenloses Parken für unsere Kunden.“ Rasch wie der Blitz hatte ich meinen Wagen abgestellt, stieg aus, fand mich im nächsten Augenblick von hinten an beiden Schultern gepackt und im übernächsten auf einen Stuhl gedrückt, der im Büro einer Versicherungsgesellschaft stand.

„Guten Morgen, mein Herr“, begrüßte mich der Mann hinterm Schreibtisch. „Wie lange?“

„Ungefähr eineinhalb Stunden.“

Der Versicherungsagent blätterte in seiner Tarifliste:

„Das Minimum für neunzig Minuten ist eine Feuer- und Hagelversicherung auf 10.000 Dollar.“

Ich erklärte ihm, daß mein Wagen bereits versichert war.

„Das sagen alle. Darauf können wir keine Rücksicht nehmen.“

„Und ich kann keine Versicherung auf 10.000 Dollar nehmen.“

„Dann müssen Sie eben wegfahren.“

„Dann werde ich eben wegfahren.“

Bei Einbruch der Dunkelheit ging mir das Benzin aus. Ich fuhr zu einer Tankstation, und während der Tank gefüllt wurde, fragte ich nach der Toilette. Dort erkletterte ich das Fenster, durchkroch eine Art Schacht, gelangte ins Magazin, stahl mich durch die Hintertüre hinaus und befand mich in einem engen, dunklen, nach Leder riechenden Raum. Es war mein Wagen, den die erfahrenen Tankstellenwärter dort abgestellt hatten. Ihr hämisches Grinsen reizte meinen tief verwundeten orientalischen Stolz.

„Was können Sie sonst noch mit dem Wagen machen?“ fragte ich. „Lassen Sie hören!“

Das Offert kam prompt und sachlich:

„Ölwechsel — zehn Minuten. Überholen — eine halbe Stunde. Lackieren — eine Stunde.“

„Lackieren Sie ihn grasgrün und wechseln Sie das Öl.“

Ungesäumt startete ich in Richtung Blumenfeld. Ich schlug ein scharfes Tempo an, denn der Zettel, den man mir an der Tankstelle in die Hand gedrückt hatte, trug folgenden eindeutig präzisierten Text: „Wenn Sie nicht pünktlich nach der vereinbarten Zeit von 1.10h (das war handschriftlich eingetragen) Ihren Wagen holen, wird er in unserem eigens hiefür konstruierten Parkofen verbrannt.“

Da ich schon lange nicht trainiert hatte, geriet ich leider sehr bald außer Atem. Ich bestieg einen Bus und nahm an der Endstation ein Taxi zu Dr. Blumenfeld. Als ich dort anlangte, waren 42 Minuten vergangen, so daß ich sofort umkehren mußte. Ich kam gerade zurecht, wie die Tankstellenwärter sich anschickten, die erste Kanne Kerosin über meinen grasgrünen Wagen zu schütten.

Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit, und ich war entschlossen, sie auszunützen: ich fuhr mit meinem eigenen Wagen vor Dr. Blumenfelds Haus und ließ ihn krachend auf einen Laternenpfahl aufprallen. Erlöst entstieg ich dem Blechschaden und begab mich in die Ordination.

Gerade als Dr. Blumenfeld mit der Behandlung fertig war, ertönte von unten zorniges Hupen. Durchs Fenster sah ich, daß es von einem Wagen kam, der dicht hinter dem meinen stand. Ich sauste hinunter. Ein andrer von Dr. Blumenfelds Patienten empfing mich zornschnaubend:

„Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie? Glauben Sie, diese Laterne gehört nur Ihnen?“

Ich mußte ihm recht geben. Selbst in Amerika können sich nur die Reichsten der Reichen den Luxus einer eigenen Parklaterne leisten.

Wie man aus den amerikanischen Filmen zur Genüge weiß, sind alle jungen Amerikaner hochgewachsen und wohlproportioniert. Diese begrüßenswerte Entwicklung ist ohne Zweifel dem Auto zu danken. Die Väter und Großväter der heutigen Amerikaner waren jämmerliche Schwächlinge mit weichen Muskeln, die gerade noch ausreichten, um den Anforderungen des Reitens, des Überlandverkehrs im Plachenwagen und später der Untergrundbahn gewachsen zu sein. Heute, da jedermann sein eigenes Auto besitzt, haben die Amerikaner wieder das Marschieren gelernt und legen zwischen Parkplatz und Arbeitsstelle täglich mindestens eine Meile zu Fuß zurück. Die Muskeln entwickeln sich normal, die Blutzirkulation wird gefördert, der Rücken wird straff, der Gang federnd. Eine neue, gesunde, sportgestählte Generation wächst heran.

Als ich einen Freund besuchen wollte, der in Forest Hills lebt, sagte Tante Trude:

„Nimm den Wagen. Ein kleiner Spaziergang wird dir gut tun.“

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