MOZ, Nummer 40
April
1989

Wahnsinniger Linker, der er nicht war

Selten zuvor hat das Ableben eines Politikers so viel Betroffenheit ausgelöst. Politiker aller Couleurs und die Medien waren sich einig: Österreich hat mit Alfred Dallinger einen seiner profiliertesten Sozialpolitiker verloren.

Sozialminister Alfred Dallinger bei der Feier zum 60. Geburtstag im Rathaus
Bild: GPA/Haslinger

In allen Nachrufen wurden ihm Bewunderungen zuteil, von denen er zu Lebzeiten bloß träumen konnte. In Wirklichkeit aber schieden sich am Gewerkschafter und Sozialminister die Geister. Er war stets die Zielscheibe vehementer Angriffe aus dem bürgerlichen Lager und mußte üble Pressekampagnen über sich ergehen lassen. Auch in den eigenen Reihen stieß er nicht selten auf Widerstände. Bei der letzten Regierungsumbildung hätten ihn nicht nur die Medien liebend gern in Pension geschickt. Erschreckend also die Verlogenheit, die an den Tag gelegt wird.

Ich teile die Ansicht, daß wir mit Dallinger einen Politiker verloren haben, der intelligent, qualifiziert und darüber hinaus noch anständig war. Seine persönliche Integrität hob sich wohltuend ab von jenen Politikern, mit deren Geschichten heute Gerichte, Finanzämter und Medien beschäftigt sind. Was ihn aber vor allem auszeichnete, war, daß er Sozialpolitik stets als Gesellschaftspolitik betrachtete.

Er versuchte vorauszudenken, Visionen zu entwerfen, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Seine Visionen waren nicht Phantastereien, dazu war er viel zu sehr Realist. Das, was er an Konzepten vorlegte, war durchdacht und vollziehbar. Und gerade deshalb handelte er sich viele Feindschaften ein, sei es, weil er von gewohnten Pfaden abwich, indem er lediglich Entwicklungstrends vorwegnahm, oder sei es, weil er sich nicht scheute, an vorhandenen Verteilungsstrukturen zu rütteln, wo soziale Ungerechtigkeit ihn störte. Im Zweifel stand er stets auf der Seite der sozial Schwächeren.

„Linkes Aushängeschild“

Er war ein Sozialdemokrat der alten Schule, das „linke“ Aushängeschild der bürgerlich-sozialdemokratischen Koalition. Zum radikalen, ja „wahnsinnigen“ Linken, der er nicht war, wurde er von den Medien und Vertretern der Sozialpartnerschaft gestempelt, wobei die konservative Kritik an der Sozialpolitik spätestens Mitte der 80er Jahre eine neue Qualität erlangt hat.

Die österreichischen Medien leisten seit Jahren jene ideologische Demontagearbeit, die in anderen Ländern — etwa den USA — zur tatsächlichen sozialpolitischen Demontage geführt hat. Das ergab eine Untersuchung zur sozialpolitischen Diskussion in Österreichs Medien. Demnach war Dallingers sozialpolitisches Medienimage deshalb so schlecht, weil er mit seinen Forderungen dem konservativen Dogma widersprach. Er konnte tun, was er wollte, er war der Buhmann der Nation.

Als er Anfang der 80er Jahre — gerade zum Sozialminister erkoren — die 35-Stunden-Woche als Mittel gegen die ansteigende Arbeitslosigkeit forderte, wurde er heftig attackiert und von den Partei- und Gewerkschaftsfreunden nicht unterstützt. Er wurde von den Sozialpartnern der „Brunnenvergiftung und Verunsicherungstaktik“, der „Verantwortungslosigkeit“ und des „Klassenkampfes“ bezichtigt, ein direkter „Angriff auf die Sozialpartnerschaft“ wurde geortet.

Es dauerte Jahre, bis die Forderung nach genereller Arbeitszeitverkürzung am Gewerkschaftskongreß des ÖGB als Resolution beschlossen wurde. Erst damit war das Tabu gebrochen, die Arbeitszeitverkürzung zu einem diskussionswürdigen Thema gemacht.

Auf ähnliches Unverständnis stieß er, als er aus Sorge um die Finanzierung der Pensions- und Arbeitslosenversicherung anregte, daß man eine neue Form der Einhebung der Arbeitgeberbeiträge, nämlich die Wertschöpfungsabgabe, finden müsse. Er wurde zum Maschinenstürmer, obgleich die Wertschöpfungsabgabe mit einer Maschinensteuer nichts zu tun hat. Staberl, für den Dallinger stets ein rotes Tuch war, meinte damals: „... Viel besser geht es dem Arbeitszeitverkürzer und Sozialminister Dallinger mit seiner Maschinensteuer freilich auch nicht. Da haben sich nicht nur alle Ausbeuter der werktätigen Massen, sondern immerhin auch noch der rote Finanzminister und der rote Bundeskanzler voll und ganz auf die Seite jener geschlagen, die Dallingers Maschinensteuer als einen schlichten Blödsinn ansehen.“ Finanzminister war damals Franz Vranitzky, Bundeskanzler war Fred Sinowatz. Mittlerweile wurde in roten Kreisen ein informeller Gesetzesentwurf Dallingers zur Wertschöpfungsabgabe ernsthaft diskutiert.

Mit seiner Forderung nach „Solidaritätsbeiträgen“ der BeamtInnen zur Arbeitslosenversicherung blitzte er ebenfalls ab.

Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst — mit Sommer an der Spitze — zeigte wenig Solidaritätsinteresse. Die Gelder sollten zur Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktverwaltung herangezogen werden, die, im internationalen Vergleich gesehen, in Österreich ohnehin ein Schattendasein führt.

Idee war die Schaffung eines sogenannten zweiten Arbeitsmarktes für besonders benachteiligte Menschen — wie etwa jugendliche Langzeitarbeitslose — durch die sogenannte „experimentelle Arbeitsmarktpolitik“. Ein wichtiger Teil davon war die Finanzierung von Selbstverwaltungsprojekten und die „Aktion 8000“. Nur Dallinger ist es zu verdanken, daß dieses sozialpolitische Instrument trotz heftigster Kritik — von nicht nur konservativer Seite — bis heute überlebt hat, wenngleich der Entscheidungsspielraum enger geworden ist. Viele Förderungsaktionen des Sozialministeriums wurden von der Zustimung des Finanzministeriums abhängig gemacht — eine Auswirkung der Sparpolitik.

Alfred Dallinger, 2. von links, auf dem 1. Jugendgewerkschaftstag 1948
Bild: GPA

Aus der 2/3-Gesellschaft

Dallinger war auch einer der wenigen, der sich mit der Grundfrage, was denn unsere Gesellschaft zur Absicherung des von Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt bedrohten Drittels tun könne, beschäftigte. Er hielt das garantierte Grundeinkommen für eine faszinierende Idee und beteiligte sich an Diskussionen darüber. Um aber diese Idee — so Dallinger auf einem Expertenhearing — zu einer politisch mehrheitsfähigen Frage hin zu konkretisieren, wäre noch eine langwierige Diskussion notwendig.

Man muß Dallinger attestieren, daß er ein Kämpfer war. Seinen Kampfgeist zeigte er auch in Fragen der Mitbestimmung oder durch Proteste gemeinsam mit Lanc gegen den Export von Panzern nach Chile. Im Kampf um die fünfte Urlaubswoche setzte er sich erfolgreich gegen den damaligen Bundeskanzler Kreisky und die Sozialpartner durch.

Freilich hat sich das politische Klima in unserem Land seit dem Abgang Kreiskys aus der Politik wesentlich verschlechtert. Zunächst wurde zaghaft mit der kleinen Koalition ein wirtschafts- und sozialpolitischer Kurswechsel eingeleitet, dessen Vollzug der späteren großen Koalition vorbehalten sein sollte. Der Budgetkonsolidierung wurde absoluter Vorrang eingeräumt. Die Sparpolitik machte auch vor der Sozialpolitik nicht halt. Als Einzelkämpfer in der Bundesregierung konnte sich Dallinger zunehmend weniger durchsetzen.

Auch vom ÖGB, der die ausgabenseitige Budgetsanierung voll mittrug, wurde er im Stich gelassen. So brachten die Pensionsreformen 1985 und 1988 einschneidende Pensionskürzungen mit sich und verschärften die ohnehin ungerechte Verteilung der Pensionen vor allem zu Lasten der Frauen.

Auch in der Arbeitslosenversicherung war Dallinger mit steigendem Druck konfrontiert, die Sozialschmarotzerdebatte begann, ihre Früchte zu tragen. Die Einbeziehung des Arbeitslosengeldes in die Besteuerung geht ebenso auf Dallingers Konto wie die Verschärfung in der Notstandshilfe, deren Bezug von einem nach oben limitierten Familieneinkommen abhängig gemacht wird. Damit sollten, so meinte er damals, „Signale gesetzt“ werden.

Sein „visionärer“ Eifer hatte somit in den letzten Jahren merklich nachglassen. Es gelang ihm sichtlich nicht, sich aus der offiziellen Umklammerung zu befreien. Er wurde mehr und mehr in den Sog der Wendepolitik gezogen. Durch seinen Verbleib in der Regierung wollte er das Schlimmste verhindern, dadurch mußte er aber den Sozialabbau mittragen.

Mit dem Tod Dallingers hat der ÖGB die wohl kritischste und durchschlagskräftigste Persönlichkeit verloren. Er sah die Gewerkschaft immer als eine Kampforganisation an und brachte oft genug Unruhe in die kompromißbereite Sozialpartnerschaft. Trotz aller Zwiespältigkeit ist Dallingers Tod ein schwerer Verlust für all jene in diesem Land, die Interesse an sozialen Reformen haben müssen. In der Arbeiterbewegung wird es düsterer, ja perspektivenloser werden, zunehmend gewinnen in Gewerkschaft und SPÖ farblose Technokraten und Manager die Oberhand. Das gibt Anlaß zur Befürchtung, daß viele von Dallingers Ideen mit ihm zu Grabe getragen werden ...

Mit Walter Geppert wird ein in der Öffentlichkeit bisher unbekannter Sozialversicherungsfunktionär das Amt des Sozialministers übernehmen. Bei seiner Vorstellung in der Öffentlichkeit sagte er, daß Dallingers Grundsätze auch die seinen wären. Er werde Dallingers Kurs fortsetzen und sich bemühen, Visionen, denen auch er hohen Stellenwert beimißt, und anstehenden Problemen gleichermaßen gerecht zu werden. Er ist zweifelsohne jemand, dem man viel Sachkompetenz in der Sozialpolitik zugestehen muß.

Ob allerdings der eher ruhig und besonnen wirkende Geppert, der über keinerlei Hausmacht in der Gewerkschaft verfügt, in Dallingers Fußstapfen treten könnte, wird freilich erst die Zukunft zeigen.

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