MOZ, Nummer 43
Juli
1989

Warum ich trotzdem für die Freiheit des Wortes bin

Vor einigen Jahren habe ich in der Grazer Autorenversammlung einen Tag der Freiheit des Wortes initiiert, der seither auch jedes Jahr stattfand. Die Idee dazu stammt nicht von mir, sondern vom österreichisch-tschechoslowakischen Schriftsteller Hugo Sonnenschein, der, angesichts der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten, den 10. Mai als internationalen Tag der Freiheit des Wortes proklamierte — wenn auch mit sehr spätem und bescheidenem Erfolg. Ich habe diese Idee deshalb aufgegriffen, weil ich zur restlosen Abschaffung der Zensur (aus welchen Gründen auch immer sie ausgeübt wird) keine Alternative sehe.

Reden wir einmal nicht von Salman Rushdie. Bekanntlich findet man da in der FPÖ einen eigenartigen Bündnispartner, der einem zu denken geben sollte — aber weniger über Salman Rushdie als vielmehr über die FPÖ. Dieser Bündnispartner springt sofort ab, wenn ich für die Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen im österreichischen Strafgesetz plädiere. Die islamische Religion darf man heruntermachen, die katholische nicht. Über solche Ungereimtheiten werde ich mich mit MOZ-Lesern vermutlich schnell einigen können, weshalb es sinnlos ist, hier über Achternbusch, Bernhard, Nitsch oder wie immer die bekannten Zensurfälle der letzten Jahre hießen, Vorträge zu halten. Hingegen ist es angebracht, die auf den ersten Blick so schön klingende Idee einer prinzipiellen Freiheit des Wortes mit jenem Fall zu konfrontieren, an dem sich sofort die Geister scheiden und der mir in der Sache die denkbar unerfreulichste Bündnispartnerschaft (von der FPÖ bis zur NDP) einbringen wird.

In Düsseldorf treffen regelmäßig führende Vertreter der Finanzwirtschaft und mittelständische Unternehmer zu einer sogenannten „Herrenrunde“ zusammen. Es ist bekannt, daß ein Herr Schönhuber dort Referate hält und daß dessen Partei, die Republikaner, von der „Herrenrunde“ in Millionenhöhe finanziell unterstützt wird. Zu einem dieser Treffen vor einigen Wochen war auch Jörg Haider geladen. Die Teilnehmer der „Herrenrunde“ haben sich zu strikter Vertraulichkeit verpflichtet. Wir wissen nicht, worüber sie gesprochen haben, aber vielleicht können wir den ideologischen Rahmen, den Geist dieser Gespräche, im Kärntner Grenzland-Jahrbuch 1989 nachlesen. Könnten das Kärntner Grenzland-Jahrbuch und ähnliche Publikationen wegen Wiederbetätigung im Sinne des Verbotsgesetzes nicht erscheinen, würde das den Wünschen der „Herrenrunde“ auf vertrauliche Behandlung ihrer politischen Interessen nur entgegenkommen. Denn die „Kronenzeitung“, das Zentralorgan der österreichischen Herrenrunden, würde ja weiter erscheinen, und die weiß zwischen simpler Wiederbetätigung und populärer Anfeuerung einer seit Nazitagen verhetzten Öffentlichkeit zumindest im großen und ganzen zu unterscheiden. Machen wir uns doch nichts vor. Diese Herrenrunde gibt es auch in Österreich und ihr gehört die Medienmacht. Sie verfolgen ihre Interessen auch dann, wenn ihnen eine Zensur das offene Altvokabular verbietet. Wer sich von einem flotten rechten Aufräumen im korrupten Staat wirtschaftliche Vorteile verspricht, wird Haider unterstützen, ob offen oder verdeckt. Das Geld, mit dem FPÖ bei ihren Wahlkämpfen um sich wirft, kann sie, laut Finanzbescheid ihres Vorsitzenden, ja schwerlich aus dem Bärental erwirtschaftet haben.

Wir hätten es gerne etwas bequemer: Wenn bestimmte Interessen keinen öffentlichen Ausdruck finden, brauchen wir uns auch nicht um sie zu kümmern. Den Zusammenhang zwischen rechter Ideologie und privaten Wirtschaftsinteressen handeln wir als historisches Phänomen ab, für die Gegenwart scheint er niemanden so recht zu interessieren. Ein Verbot rechtsradikaler Schriften ist dazu geeignet, diese Realität noch weiter zu kaschieren, keinesfalls aber, sie zu erhellen, gar zu ändern.

Wer rechtsradikale politische Interessen bekämpfen will, kann das zunächst einmal nur dann, wenn sie sich öffentlich artikulieren. Aber in welchen Medien? In dieser Frage steckt die Problematik meines Standpunktes der Abschaffung aller Zensurparagraphen (aber selbstverständlich nicht des Persönlichkeitsschutzes und aller übrigen Bestimmungen des Straf- und Medienrechts). Tatsächlich gibt es keinen Grund, auf eine ideologische Selbstregulation der sogenannten liberalen Öffentlichkeit zu vertrauen. Gegen die nationalen und internationalen Wirtschaftsmächte, die sie dirigieren, werden wir mit unseren paar kritischen Gazetten nicht ankommen. Aber der Staat auch nicht, indem er die deutliche Artikulation einer bestimmten Gesinnung untersagt. Gefährlich ist heute weniger die hirnrissige Rede von der Auschwitz-Lüge als viel mehr die subtile Minderheitenhetze, die jede deutliche Aussage im Sinne der Wiederbetätigung vermeidet, dabei aber genau diesen Boden kräftig beackert.

Wer dem Gegner die Worte verbietet, nimmt in Kauf, daß er ihn nicht mehr einschätzen kann. Er zwingt den Wolf in den Schafspelz und beginnt in seiner Arglosigkeit, aus dessen Wolle bald die eigenen Westen zu stricken.

Auch wenn Hitlers „Mein Kampf“ im österreichischen Buchhandel nicht vertrieben werden darf — in den Köpfen spukt der Geist dieses Buches ja herum. Das Verbot bewirkt vor allem, daß keiner mehr sieht, in welchem ideologischen Rahmen sich ein Gutteil der österreichischen Medien — und wohl auch der Gesinnung ihrer Käufer — bewegt. Folgten wir den in bester Absicht vorgetragenen Ratschlägen, das Publikationsverbot rechtsextremer Ansichten nicht nur beizubehalten, sondern noch zu verschärfen, würden wir die Bekämpfung des Rechtsextremismus endgültig den Wirtshaustischen überlassen, wo sie bekanntlich schon bisher enorm erfolgreich war. Faschistische Ideologien verschwinden nicht, indem man sie verbietet, ihre sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen jedoch unangetastet läßt.

Der Staat soll die Menschen schützen, um deren Denken und Sprache müssen wir uns selbst kümmern.

Josef Haslinger ist Literat und lebt in Wien.
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