FORVM, No. 191/II
November
1969

Wenig Tauben in Israel

Besuch im Jahre 3 nach dem Blitzsieg

Bei Parlamentswahlen in Israel verlor die Koalition der Arbeiterparteien 5 Sitze (58 statt 63); sie gingen an die Koalition der Rechten („Gahal“, „Heruth“ plus Liberale: 27 statt 22). Über den Hintergrund berichtet E. R., Nahostspezialist von „Le Monde“, in der folgenden Serie, welche FORVM in Zusammenarbeit mit „Le Monde“ und Opera Mundi, Paris, publiziert.

„Der Krieg hat uns Sicherheit und Wohlstand gebracht; er hat gleichermaßen unsere Kompromißbereitschaft eingeschränkt.“ Mein Gesprächspartner — Oppositioneller in einer der Regierungsparteien — hat aber die Hoffnung auf Frieden nicht aufgegeben. Er stellt bloß fest, daß die Konjunktur, die aus dem Sechstagekrieg hervorging, seine Mitbürger nicht zur Versöhnlichkeit drängt.

Der Durchschnittsisraeli ist überzeugt, daß eine „vierteRunde“ — nach den Kriegen 1948, 1956, 1967 — unabwendbar ist. Die letzten Siege haben die Oberfläche seines Staates vervierfacht, er hat das Gefühl, praktisch außer Reichweite der ihn umgebenden arabischen Armeen zu sein. Nun sind seine Streitkräfte näher an die neuralgischen Zentren Ägyptens gerückt als jene Nassers in die Nähe von Tel Aviv oder Jerusalem. Die „neuen Grenzen“ sind um ein Drittel kürzer als die früheren, es sind „natürliche“, das heißt besser zu verteidigende Grenzen.

Das Vertrauen des Durchschnittsisraelis in die „Tsahal“ (Verteidigungskräfte Israels) ist riesengroß. Am Vorabend des letzten Konfliktes hat übrigens kein militärischer Fachmann am vollständigen Sieg Israels gezweifelt. Das in der öffentlichen Meinung, besonders im Ausland, sehr verbreitete Bild Davids im verzweifelten Kampf gegen Goliath war nicht das der Strategen des Sechstagekrieges. Die Elemente ihrer Rechnung waren vielmehr: ein Spionagedienst, der zu den besten der Welt gehört; perfektioniertes Kriegsmaterial; eine militärisch und psychologisch gekonnt mobilisierte Bevölkerung; der Überraschungseffekt.

Die Macht der „Tsahal“ beruht nicht allein auf Technologie und Moral, sondern auch auf Zahl: Israel hat bei voller Mobilisierung etwa ebensoviel Soldaten wie die drei wichtigsten Armeen der angrenzenden Länder. [1] „Die erdrückende zahlenmäßige Überlegenheit der arabischen Bevölkerung“, erklärte der israelische Generalstabschef General Haim Bar Lev, „spielt keine Rolle; Israel hat mehr Flugzeuge, Tanks und Wissenschafter als die arabischen Länder mit ihrer zehnmal so großen Bevölkerung.“

In gewissen israelischen Kreisen hört man jetzt oft: „Die Zeit arbeitet für uns.“ Es wird behauptet, daß die machtpolitische Differenz zwischen dem jüdischen Staat und seinen Feinden, auf militärischem wie auf wirtschaftlichem Gebiet, nur noch größer werden kann, und zwar nach denselben Gesetzen, nach denen die industrialisierten Länder immer reicher und die Entwicklungsländer relativ immer ärmer werden. Auf diese These gestützt, weist General Bar Lev darauf hin, daß, im Verhältnis zu den von der „Tsahal“ realisierten Fortschritten, „die Armee Faruks vor zwanzig Jahren der Armee Nassers überlegen war“. Ich hörte dasselbe Urteil nach dem Zusammenbruch 1967 von manchen ägyptischen Politikern.

Seit dem Junikrieg wurden für die israelische Armee etwa eineinhalb Milliarden Dollar ausgegeben. Hierzu kommt Material im Wert von zwei Milliarden Dollar, das den Ägyptern im Verlauf des Sechstagekrieges in tadellosem Zustand abgenommen wurde. [2] Das französische Embargo — für gewisse Waffen ohnehin nur lax angewendet — hat den Prozeß der Vervielfältigung der israelischen Versorgungsquellen beschleunigt und insbesondere einen noch nie dagewesenen Aufschwung der Rüstungsindustrie in Israel selbst mit sich gebracht. Heute erzeugt Israel die ganze Zusatzausrüstung, einschließlich der Waffen, für seine Luftstreitkräfte, Artillerie- und Panzereinheiten. „Wir nähern uns dem Tag, an dem Israel für seine militärische Versorgung nicht mehr vom Ausland abhängig sein wird“, versicherte Ytshak Ironi, Organisator der Rüstungsindustrie.

In den zwei dem Sechstagekrieg vorangegangenen Jahren hat der israelische Staat eine der tiefsten Krisen seiner Geschichte durchgemacht. Das Defizit der Zahlungsbilanz erreichte 455 Millionen Dollar; der aus dem Ausland kommende Kapitalzufluß nahm stark ab; die deutschen Reparationen gingen ihrem Ende zu; die traditionelle Hilfe der Juden der Diaspora verlor an Großzügigkeit, da die relative, auch an den Grenzen herrschende Ruhe Unbesorgtheit mit sich brachte.

Die Deflationspolitik trug ihrerseits dazu bei, daß die Wirtschaft gefährliche Rückschritte verzeichnete. Im Mai 1967 gab es 115.000 Arbeitslose, was einem Zehntel der aktiven Bevölkerung gleichkommt. Zum erstenmal gab es mehr Emigranten, insbesondere technische Intelligenz, als Immigranten. Die Einwanderung erreichte ihren niedrigsten Stand: 13.450 Personen (1966).

Der Junikrieg 1967 brachte die Wendung. Die Solidarität der Diaspora wuchs angesichts der Perspektive des nach einem arabischen Sieg zu erwartenden Völkermordes, sodann aber angesichts des Vertrauens und der Euphorie, die der Triumph der israelischen Waffen auslöste; 1967 und 1968 kamen wiederum je 35.000 bis 40.000 Einwanderer. [3] Trotz dieses Zustroms ist die Arbeitslosigkeit verschwunden. Israel leidet heute sogar an einem Mangel an Arbeitskräften; etwa 30.000 Araber aus Zisjordanien und Gaza sind als Hilfsarbeiter im jüdischen Staat tätig.

Nach dem Krieg ist die Wirtschaft fast übergangslos in eine Phase der blitzartigen Expansion eingetreten. Die Zuwachsrate des Bruttonationalproduktes hat im Jahre 1968 einen Sprung von zwei Prozent (1966 und 1967) auf 14 Prozent gemacht; die industrielle Produktion ist, besonders dank der aufstrebenden Waffenproduktion, um 30 Prozent gestiegen; die Ausfuhren haben sich 1968 um 12,5 Prozent erhöht und die Rekordzahl von 1350 Millionen Dollar erreicht (das Zweifache des Jahres 1964, das als Konjunkturjahr betrachtet wird); der Tourismus, durch die Annexion der heiligen Stätten stark intensiviert, ist 1968 um 30 Prozent größer als im vorhergehenden Jahr. gewesen und brachte dem Land etwa 100 Millionen Dollar, fast das Doppelte des üblichen Ertrags.

Krieg half der Wirtschaft

Dieses Wirtschaftswunder erklärt sich vor allem aus dem Zustrom ausländischen Kapitals, großteils von verschiedenen jüdischen Gemeinden insbesondere Amerikas, von dem Moment an, als die ersten Anzeichen der Krise, die zum Krieg 1967 führte, sichtbar wurden. Im Mai und Juni 1967 stieg diese Kapitaleinfuhr auf 500 Millionen Dollar, was soviel ist wie im gesamten vorhergehenden Jahr. Der Staat Israel erhielt 1967 insgesamt in verschiedenen Formen (Schenkungen, Unterstützungsverpflichtungen, Reparationen und Anleihen) die Summe von 850 Millionen Dollar. [4]

Gleich nach dem Krieg gingen israelische Politiker daran, die Wirtschaft von der „internationalen Caritas“ zu befreien. Es gab seither drei Konferenzen, an denen führende Persönlichkeiten des Welthandels und der Hochfinanz aus 20 Ländern teilnahmen. Es ging um Handelsabschlüsse verschiedener Art, besonders mit amerikanischen und südafrikanischen Firmen, in der Gesamthöhe von 300 Millionen Dollar sowie um die Gründung einer Investitionsgesellschaft (Israel Finance Corporation) mit einem Kapital von 100 Millionen Dollar zwecks Zeichnung von Aktien israelischer Unternehmungen. Die angestrebten Ziele wurden nicht völlig erreicht, aber die ausländischen Investitionen haben sich 1968 im Vergleich zum vorhergehenden Jahr immerhin verdoppelt.

Der militärische Sieg hat zweifellos dazu beigetragen, das Vertrauen und den Optimismus der Geldgeber zu stärken. Wahrscheinlich sehen sie in den besetzten arabischen Gebieten ein Arbeitskraftreservoir und einen potentiellen Konsumgütermarkt, der geeignet ist, der israelischen Wirtschaft neue Dimensionen zu geben, und zwar auch dann, wenn diese Territorien eines Tages im Austausch gegen einen Friedensvertrag restituiert werden müßten. Eine solche Normalisierung, die eine De-jure-Anerkennung des zionistischen Staates voraussetzt, könnte tatsächlich das Aufblühen der israelischen Wirtschaft zur Folge haben, welche dann endlich mit einem weiteren Hinterland versehen wäre.

Unterdessen haben die ausländischen Geldgeber gewisse Bedingungen gestellt, um Sicherheit und Rentabilität ihrer Kapitalien zu garantieren: „Liberalisierung“ des Wirtschaftssystems, das in ihren Augen zu sehr „staatlich“ bestimmt ist; Herabsetzung der Produktionskosten; Einschränkung der lokalen Konsumtion — Ziele, die übrigens in keinem grundsätzlichen Widerspruch zu den großen Optionen der verantwortlichen israelischen Politiker stehen, welche seit Jahren immer mehr Erleichterungen für ausländische Investitionen gewähren, bis zur Zession von Anteilen großer Unternehmungen, die in Händen des Staates waren (26 Prozent der Raffinerien von Haifa und der Nationalen Elektrizitätsgesellschaft). Zwischen der Gewerkschaftszentrale Histadruth und der Industriellenvereinigung wurde ein Lohnstopp für zwei Jahre (1968, 1969) vereinbart; dem Parlament wurde eine Gesetzesvorlage zur Einschränkung des Streikrechtes unterbreitet; die Regierung vervielfacht ihre Appelle an den patriotischen Bürgersinn. „Wir sind eine Nation im Kriegszustand“, erklärte Ministerpräsident Frau Golda Meir am 1. April 1969, „es ist unmöglich, daß ein Teil der Nation auf Kosten anderer Teile die Verbesserung seines Lebensniveaus fordert.“

Die Disziplin der Bevölkerung ist um so verdienstvoller im Lichte einer kürzlich publizierten Statistik:

  • 300.000 bis 400.000 Israelis leben weit unter dem Durchschnittsstandard;
  • 10 Prozent der Israelis verfügen über einen ebenso großen Teil des Nationaleinkommens wie 50 Prozent der Bevölkerung am unteren Ende der sozialen Pyramide;
  • die Schere zwischen dem Einkommen der Juden aus westlichen Herkunftsländern und dem Einkommen der Juden östlicher Herkunft wird eher größer als kleiner.

In der Welt gibt es nur wenig Regierungen, die gleiche Zustimmung beim Volk finden wie die israelische. Mit Ausnahme einer der beiden Kommunistischen Parteien (die „Rakah“ unter Führung von Meir Vilner) und einer kleinen linksradikalen Gruppe („Matspen“), welche die „Juniaggression 1967“ verurteilten, unterstützten alle Richtungen von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken den „Krieg ums Überleben“. Das gibt den „Falken“ und „Annexionisten“ Einfluß auf Kosten der Anhänger einer Versöhnung.

„Erez Israel“, von Jehova versprochen, jüdisches Erbe trotz 20 Jahrhunderten der Zerstreuung, „national home“, von der englischen Regierung (1917) zugesagt und von den Vereinten Nationen (1948) anerkannt, Boden, den arabischen Gutsbesitzern abgekauft, kolonisiert unter großen menschlichen und materiellen Opfern: in Fortsetzung dieser Ideologie wird Zisjordanien „Judäa und Samaria“ genannt; viele sprechen von „zurückgewonnenen“ oder „befreiten“ Territorien, der Ausduck „Okkupation“ gilt als ebenso unzutreffend wie beleidigend.

Es wäre jedoch falsch, zu glauben, daß die Israelis den Sechstagekrieg führten, um ihren Staat zu vergrößern. General Dayan brachte wohl das allgemeine Gefühl des Volkes zum Ausdruck, als er zu Kriegsbeginn erklärte: „Das ist kein Eroberungskrieg, wir verteidigen unser Volk, unsere Häuser, unser Vaterland.“ Unter dem Eindruck einer gewissen arabischen Propaganda war jeder überzeugt, daß der Feind darauf aus war, Israel „ins Meer zu werfen“,

Diese Überzeugung bleibt trotz allem, was man seither erfahren konnte und dazu angetan ist, einigen Zweifel an der Realität der arabischen Bedrohung aufkommen zu lassen.

Levi Eschkol erklärte nach dem Krieg: „Die militärischen Maßnahmen, die Ägypten am Vorabend des Krieges im Sinai traf, hatten defensiven Charakter.“ [5] Generalstabschef General Rabin erklärte, daß Nasser „bluffte“ und keine Absicht hatte, Israel im Juni 1967 anzugreifen. [6] Das blieb ebenso ohne Eindruck wie die Anklagen des Funktionärs der regierenden Arbeiterpartei Moshe Gilboa gegen den Verteidigungsminister General Dayan und den Chef des Sicherheitsdienstes General Yarif, sie hätten die Stärke der ägyptischen Truppenkonzentration im Sinai „beträchtlich übertrieben“, um die Regierung zur Eröffnung der Feindseligkeiten zu veranlassen. [7] Die öffentliche Meinung glaubt nach wie vor nicht, daß Dayan eine „Art Putschaktion“ unternahm, wie dies Regierungschef Levi Eschkol in einem Interview erklärte, das erst am Tage nach seinem Tod veröffentlicht wurde. [8]

Ein Teil der Presse und manche Politiker vergleichen weiterhin Nasser und Hitler. Am Tage nach der am 1. Mai dieses Jahres vom ägyptischen Präsidenten gehaltenen Rede, in der er seinen Wunsch nach einer friedlichen Lösung bekräftigte, ohne die er gezwungen wäre, die okkupierten Gebiete mit Gewalt zu befreien, konnte man in der israelischen Presse folgende Überschriften finden: „Nasser bereitet eine vierte Runde vor, das ist sein einziges Ziel“, „Nasser will uns ausrotten“, „Der ägyptische Diktator droht mit Völkermord“. Einige Tage früher ergab ein Meinungstest, daß 77 Prozent der Israelis überzeugt sind, ein neuer Krieg mit den Arabern sei unvermeidlich.

Unmittelbar nach dem Krieg hoffte man, nach diesem noch nie dagewesenen Zusammenbruch würden die Araber die Lektion verstanden und keine Wahl haben, als den israelischen Staat anzuerkennen, mit ihm definitiven Frieden zu schließen. Bald kam jedoch die Ernüchterung. Die arabischen Staatschefs äußerten sich im September 1967 in Khartum zum erstenmal seit 20 Jahren zugunsten einer politischen Lösung des Konfliktes, schlossen aber gleichzeitig die Dejure-Anerkennung des jüdischen Staates aus. Zwei Monate später stellten sie sich hinter die vom Sicherheitsrat beschlossene Resolution: Frieden, Sicherheit, Garantie der Grenzen, aber als Gegenleistung Rückgabe der eroberten Gebiete und gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems.

Diese arabische Einstellung, im Vergleich zu früheren Positionen ein Fortschritt, gilt in Israel als „negativ“, „scheinheilig“, völlig inakzeptabel. Der Schriftsteller Amos Oz versichert, daß „die Friedensvision bei den Juden von einem gewissen religiösen Manichäismus inspiriert ist: der Friede muß sofort, total, absolut und ewig — oder gar nicht sein“.

Annexion wichtiger als Frieden

General Dayan entwickelt seinerseits Thesen, die das Verdienst haben, freimütig zu sein: „Es ist nicht wahr, daß die Araber die Juden aus persönlichen, religiösen oder rassischen Gründen verachten. Sie betrachten uns — und von ihrem Standpunkt aus mit Recht — als westliche Menschen, Eindringlinge, die sich eines arabischen Landes bemächtigt haben, um es in einen jüdischen Staat zu verwandeln ... Von dem Augenblick an, wo wir gezwungen sind, unsere Ziele gegen den Willen der Araber zu verwirklichen, müssen wir in einem dauernden Kriegszustand leben.“ [9]

Für den Verteidigungsminister liegt der Preis, den die Israelis für den Frieden zahlen können, unter dem, was die Araber vernünftigerweise akzeptieren können. Das Wesentliche sei daher nicht die Anerkennung Israels und die Unterzeichnung eines Friedensvertrages, sondern die Annexion gewisser im Juni 1967 eroberter Gebiete, die für die „Sicherung des jüdischen Staates unerläßlich sind“. Deswegen müßte die israelische Regierung die Resolution des Sicherheitsrates vom 22. November 1967 offen ablehnen, die — „was immer man vorgibt“ — die Rückerstattung aller besetzten Gebiete fordert, den ehemals jordanischen Teil Jerusalems inbegriffen. [9]

Ygal Allon, Vizepräsident des Ministerrates, erklärte im Juli 19684 „Die Golan-Höhen an Syrien zurückerstatten würde die Vernichtung Israels bedeuten.“ Solche Argumente strategischer Natur lassen nur wenig Israelis kühl. Hierzu fügen die Annexionisten Rechtfertigungen moralischer Art. Die Eingliederung selbst des gesamten okkupierten Gebietes wäre nur gerecht, handelt es sich doch um das „nationale Erbe“, das nach Beendigung des Krieges 1948 mit Gewalt annektiert wurde: Zisjordanien von Köng Abdallah, Gaza von König Faruk. „Das Ausland muß verstehen“, erklärte General Dayan am 10. August 1967, „daß diese Gebiete, abgesehen von der strategischen Bedeutung des Sinai, der Golan-Höhen, der Meerenge von Tirana und der Berge westlich des Jordans, zutiefst mit der jüdischen Geschichte verbunden sind.“

Gemäß Dayan ist das „historische Israel“ noch nicht vollendet: „Seit der Rückkehr nach Zion vor 100 Jahren“, sagte er am 5. Juli 1968, „hat ein zweifacher Prozeß begonnen: Kolonisierung und Expansion der Grenzen ... Wir haben noch nicht das Ende der Straße erreicht, die wir eingeschlagen haben. Das israelische Volk wird es sein, das die Grenzen seines Staates bestimmt.“

Mit Berufung auf die biblische Geschichte verlangt die aus Persönlichkeiten aller Richtungen mit Ausnahme der Linken im Herbst 1967 gebildete „Bewegung für Großisrael“ sowie die Gahal-Partei unter Führung von Staatsminister Menahem Begin, ferner das „Freie Zentrum“ unter Schmuel Tamir, desgleichen die religiösen Parteien: die Regierung darf keinen Fußbreit des befreiten Bodens abtreten, auch nicht gegen direkte Verhandlungen und Friedensvertrag.

Da es offensichtlich unmöglich ist, sagen die Annexionisten, eine dauerhafte Regelung mit den arabischen Staaten zu erreichen, muß man sich mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten verständigen. Wenn die friedliche Koexistenz der Völker bewiesen, der Mythos der El Fatah zusammengebrochen sein wird, werden die Palästinenser sich genügend frei fühlen für eine Regelung: entweder Absorption in einem israelischen Einheitsstaat oder ein autonomer palästinensischer Staat, der an Israel durch Föderation gebunden ist. In Erwartung dieses glücklichen Ausganges müßte Israel in den besetzten Gebieten bleiben, sie wirtschaftlich und juristisch mit dem Ziel integrieren, ihre Bindung an die benachbarten arabischen Länder zu lockern. Parallel damit geht es um Anregung massiver Immigration und Geburtenerhöhung bei den Juden, damit diese nicht von einer arabischen Mehrheit überflutet werden.

Die Verschlechterung der Lage an den Feuereinstellungslinien hat den Einfluß der Annexionisten beträchtlich gesteigert. 1968 waren 78 Prozent der Israelis dafür, einen Teil der besetzten Gebiete gegen eine „definitive“ Friedensregelung preiszugeben; im Juni 1969 meinten 54 Prozent der Bevölkerung, man solle ein arabisches Friedensangebot verwerfen, wenn der Preis hierfür die Rückerstattung auch nur eines Teiles der eroberten Gebiete sei.

nächster Teil: Sprünge in Davids Panzer

[1Gemäß Institut für Strategische Studien, London, umfassen die israelischen Streitkräfte bei Vollmobilisierung ungefähr 275.000 Mann, (350.000 bis 400.000 nach Amos Perlmatter in „Military and Politics in Israel“, Frank, Cass & Co, London 1969. Perlmutter schätzt die Armeen Jordaniens, Syriens und der Vereinigten arabischen Republik auf zusammen 326.000 Mann. Von dieser Zahl mußten jedoch für den Juni-Krieg 1967 etwa 80.000 Mann ägyptischer Eliteeinheiten abgezogen werden, die damals im Jemen stationiert waren.

[2Vgl. die jährliche Bibliographie der „Bibliothek für Zeitgeschichte“, Verlag Bernard und Graefe für Militärwissenschaft, Frankfurt/M., welche die Schlußfolgerungen einer sowjetischen, von Marschall Zacharov geleiteten Untersuchungskommission zitiert.

[3Das intellektuelle und technische Niveau dieser Immigranten ist höher als das ihrer Vorgänger, da sie zumeist aus entwickelten Ländern kommen, wie Frankreich, England, Polen, USA, UdSSR. Die Mehrzahl der 24.000 Juden, welche die arabischen Länder zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezember 1967 verließen, hat sich hingegen in Frankreich etabliert (Nach dem Bericht von Louis D. Horowitz, Generaldirektor des American Joint Distribution Committee, zitiert von E. Lobel in „Les juifs et la Palestine“, p. 42, Maspéro 1969).

[4Amerikanischen Schätzungen zufolge hat Israel 1968 das Äquivalent von 10 Prozent der gesamten Auslandshilfe absorbiert, die allen unterentwickelten Ländern zukam. Im Verhältnis zur Zahl seiner Einwohner erhielt der jüdische Staat, gemäß einer Statistik aus dem Jahr 1961, zwanzigmal mehr als jeder andere Staat der Dritten Welt (mit Ausnahme von Portoriko). Cf. Oded Rembay, The Dilemma af Israel’s Economy, in „Midstream“, New York, Februar 1969.

[5In einem Interview des ehemaligen Regierungschefs in der israelischen Zeitung „Yediot Aharonot“ am 18. Oktober 1967.

[6„Haaretz“, 22. Dezember 1967.

[7„Le Monde“, 15. Mai 1969. Die Anklagen Gilboas finden sich in der 3. Auflage seines Buches „6 Jahre, 6 Tage“. Das Organ der Histadruth, „Davar“, schrieb, daß Gilboas Haltung „die Grundlagen unserer Existenz und die Gerechtigkeit unserer Sache unterminiert“.

[8Das im Juli 1968 gewährte Interview wurde vom Jugendmagazin der Arbeiterpartei „Ramzor“ im März 1969 veröffentlicht.

[9Reden am 22. September 1968 und 1. Jänner 1969 in Tel Aviv; Interview am 11. Jänner 1969 für CBS; Rede am 8. Juni 1969 vor einer Abgeordnetengruppe der Arbeiterpartei.

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