FORVM, No. 286
Oktober
1977

Wider den Spiegel

Wahrheit als eingreifende Abbildung von Tendenzen - Latenzen (1936)

Der Aufsatz aus dem Nachlaß Ernst Blochs vermittelt zwischen Lenins Widerspiegelungstheorie (das Bewußtsein bildet die Wirklichkeit ab) und dem subjektiven Idealismus Kants (das Bewußtsein formt die Wirklichkeit): also zwischen Abbild- und Erzeugungstheorie. Dabei wendet sich Bloch gegen den Versuch des jungen Lukács, Bewußtsein und Wirklichkeit in der radikalen Dialektik von „Geschichte und Klassenbewußtsein“ aufzulösen, wo auch Natur bloß eine „soziale Kategorie“ ist. Bloch verteidigt dagegen die Dialektik der Natur, wobei er Engels und Lenin allerdings nicht hundertprozentig folgt. Als dieser Aufsatz 1936 entstand, hatte Lukács aber in Moskau längst seine „idealistische Jugendsünde“ widerrufen und sich definitiv auf die Widerspiegelungstheorie festgelegt: Von diesem Standpunkt aus konnte er seinerseits den „Idealismus“ Blochs kritisieren. (Der Haupttitel ist von der Redaktion, der Untertitel von Bloch; die kursiven Hervorhebungen stammen vom Autor.)

Die Veröffentlichung des bisher unveröffentlichten Textes geschieht mit Genehmigung des Suhrkamp Verlages. Der Beitrag wird im Band 17 der Bloch-Gesamtausgabe („Tendenz — Latenz — Utopie“) enthalten sein, der im Mai 1978 erscheint.

Die nichts sind, treffen auch nichts mehr an. Die sich entäußern, sind ratlos mit allem ohnehin Leeren allein. Nur soweit sie durch uns gefärbt und benannt sind, schlagen sich die Dinge noch auf. Was derart sich in sie hinein begibt, steht jeweils vor jeder Sache, nicht über ihr. Lernt das Seine und das der Sache zugleich, bis beide sich im Kern und der erfaßten Bewegung finden.

Das ist nichts Weiches, wie’s wechselnd sich hingibt. Bald hier, bald dort sich einfühlt, ohne mehr zu erlangen als „irgendwie“ oder auch irgendwo gestimmt zu sein. Zweitens gibt sich der neue Anteil mit keinem bloß handlichen Erklären dessen zufrieden, was gerade zu sehen ist. Das bürgerliche Denken weiß hier zwar abstrakt zu sein und ist derart gelockert, doch macht sogleich wieder fest und stellt, bei Mach, [1] alles Denken als bloß erläuternd dar. So entsteht Hantierung mit „Modellen“, die sich dauernd scheinbar der Anschauung anpassen, ohne daß ihnen in dieser das Geringste entspricht. Drittens berührt sich der neue Subjekt-Bezug, als Reales meinend, auch mit der kapitalistisch-idealen Form nicht, worin er immerhin zuerst erschienen ist.

Diese Form ist, als erkenntnistheoretische, die der Erzeugung, nämlich der Erzeugung des Erkenntnisinhalts (damit er ein Inhalt überhaupt möglicher Erkenntnis sei) aus seinem Kalkül. Lukács bestimmt (in „Geschichte und Klassenbewußtsein‘‘) dies Wesen sehr gut: „Von der methodischen Skepsis, vom cogito ergo sum Descartes’ über Hobbes, Spinoza, Leibniz geht hier ein gerader Entwicklungsweg, dessen entscheidendes, mannigfach variiertes Motiv die Auffassung ist, daß der Gegenstand der Erkenntnis deshalb und insofern von uns erkannt werden kann, weil und inwiefern er von uns erzeugt worden ist. Und die Methoden der Mathematik und der Geometrie, die Methode der Konstruktion, der Erzeugung des Gegenstandes aus den formellen Voraussetzungen einer Gegenständlichkeit überhaupt, später die Methoden der mathematischen Physik werden damit zum Wegweiser und Maßstab der Philosophie, der Erkenntnis der Welt als Totalität.“ (Lukács führt als Gegensatz zur Erzeugungstheorie die rein mythologische Besessenheitstheorie naturwüchsiger und noch feudaler Zustände an; gerade wegen ihrer völlig verschiedenen Seinsgrundlage ist sie, sofern sie als Ausgangspunkt einer Erkenntnis diente, modernem Denken so befremdlich. Hierher gehört der indische Satz vom Atman: „Nur wen er wählt, von dem wird er begriffen“, hierher noch Anselm von Canterburys Prinzip „Credo ut intelligam“; hierher sogar eine weitere Frucht dieser göttlichen Denkordre: das „abbildliche“ Nachdenken göttlicher Schöpfungsgedanken [„Formen“] in Neuplatonismus und „realitischer“ Scholastik.)

Da die „Erzeugung“ sowohl wie der berechnende Kalkül dem kapitalistischen Produktions- und Austausch-Verhalten genau entsprach, tauchte das Problem nicht auf: wieso diese Art Ratio gerade das Wesen „unserer“ Erkenntnis ausmachen soll und wieso es weiterhin, bei Beginnen der Kritik an dieser Ratio, Grenzen der Erkenntnis überhaupt sein müssen, wenn das „Gegebene“, weiterhin das „Intelligible“ von „reiner Vernunft“ nicht erkannt werden können. Heute liegt die ökonomisch-soziale Bedingtheit dieses Kalkülglaubens klar zutage, sowohl seinen Evidenzen wie seinen Kantischen Antinomien nach (Ding an sich, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, Zweckmäßigkeit und Spezifikation der Natur). Die Erzeugung hat zwar die naturwüchsige, auch noch feudale Abbild-Lehre der Erkenntnis aufgehoben (nach den berühmten Worten Kants: „Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten ... Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten ...“).

Die Erzeugung betrachtet mithin die Welt nicht mehr als ein unabhängig vom erkennenden Subjekt entstandenes (von Gott geschaffenes) Etwas, sondern sucht sie als eigenes Produkt zu begreifen; das cogito ergo sum steht ihr am methodischen Anfang, die „Kopernikanische Wendung“ Kants ist genau so eine nachgeholt kapitalistische, eine des rationalen Unternehmertums in der Erkenntnis. Doch nicht nur ist diese Erzeugung höchst uneigentlich eine, nämlich eine der konkreten Scheintätigkeit bei beibehaltenem Betrachtungscharakter. Sie hat auch die alte Abbildtheorie nur mittels einer sehr komplizierten neuen abgelöst, ohne die kontemplativen Fehler der alten aufzuheben: der Gegenstand, den die konstruktiv-idealistische Erkenntnis abbildet, ist dann diese Erkenntnis selbst.

Es sind die „allgemein gültigen Verknüpfungsformen“ unseres Denkens, welche im transzendentalen Idealismus hingenommen werden, als wären sie das Objektive, ja das Objekt selbst, welches dem wissenschaftlichen Denken vorgeordnet und in ihm sich „ausprägen“ muß, damit es eines der wissenschaftlichen „Erfahrung“ sei. Damit ist die Abbildtheorie, trotz aller „Erzeugung“, vom äußerlich gegebenen Gegenstand, der im Bewußtsein abgebildet wurde, auf den in der Wissenschaft gegebenen Gegenstand zurückgebracht. Doch eine abzubildende, abbildbare Region — wenngleich nur im Apriori der Erkenntnis, nicht im Wirklichen — bestimmt auch die „transzendentale Erkenntnis“. Diese Region bestimmt allein das „Gefühl der Notwendigkeit“ in den wissenschaftlichen Vorstellungen zum Unterschied von den willkürlichen des individuellen Bewußtseins; sie bestimmt hier den „Zwang“, die „Allgemeingültigkeit“, die „Notwendigkeit“, welche den Erkenntnis-Urteilen nach Kant und Fichte gänzlich außerpsychologisch zukommt. Doch ist weder mit dem Subjekt-Bezug der Erzeugung noch mit dem Objekt-Bezug ihrer transzendentalen „Erfahrung“ ein anderes Reales bezeichnet als das eines bestimmten Erkenntniszustandes, welcher sich zur Erkenntnistheorie, ja zur Vernunftwelt schlechthin verabsolutiert.

Näher kam ein Denken, das sogleich Draußen setzt. Es ist das der Abbildlehre alter Art; diese hat freilich viel durchgemacht. Sie ist von vornherein die einfachste, Auge wie Kopf spiegeln recht und schlecht die Dinge ab. Allen urwüchsigen Menschen und im urwüchsigen Zustand ist diesen das „Gegebene“ schlechthin, reflektiert wurde es griechisch, und zwar so, daß noch alle jonischen Denker sensualistisch waren. Erst recht Demokrit, als erster großer mechanischer Materialist: von ihm auch stammt die erste Abbildlehre im körperlichen Sinn dieses Worts. Denn „Bildchen“, sehr kleine „Eidola“ ihrer selbst lösen sich nach Demokrit beständig von den Dingen ab; ihre Einwirkung auf die Feueratome der menschlichen Seele ist die Wahrnehmung, ist der „Eindruck“, den ein Ding durch sein Bildchen auf uns macht.

Ganz anders aber tritt die Abbildlehre im mittelalterlichen Gedanken auf, im nicht so sehr verdinglichten, als feudal-mythologischen; sie hat jedes Interesse der physiologischen Psychologie, gar die sensualistisch-materialistische Fassung verlassen, ist durch den Platonismus unkörperlich gewordener Ideen hindurchgegangen, als der einzigen Medien philosophischer Erkenntnis und auch noch gehaltvoller Wahrnehmung der Dinge. Doch die Abbildtheorie selbst ist hier sowohl im theoretischen Schema der Erkenntnis wie vor allem in dem grundsätzlichen Sinn geblieben: daß sich nicht irgend ein Prius des Erzeugens einschaltet, sondern das Äußere (und zwar vor allem als das Obere) der Auffassung vorgeordnet bleibt. Dergestalt ist scholastische Erkenntnis, wenigstens bei den „Begriffs-Realisten“, Adäquation des Intellekts an das Ding und zwar mittels der „species“ (dem intelligiblen, ideenhaften „Abbild“ des Gegenstands).

Erst recht sind hier die höheren Ideen, die reinen Formen, die formae separatae der menschlichen Seele, als der noch halb materiell versenkten Form, logisch, logisch-metaphysisch, sogar logisch-moralisch vorgeordnet. Nicht methodische Erzeugung, sondern nachdenkbare göttliche Schöpfung (von Gott in die Welt herab und zu Gott zurück) war der thomistischen Summa Ausgang, Ordnungsprinzip und „Abbilds“-Substrat der Philosophie. Scholastische Erkenntnis wie Welttheorie ist dieser Art (vor allem bei den „Begriffs-Realisten“) extrem abbildhafter Objektivismus: Gott ist, also ist die Welt, also ist der Mensch. Dies objektivistisch vorordnende Wesen wirkt sogar noch bei seinem ersten Umwälzer Descartes nach, der, kaum daß das cogito ergo sum das Erkenntnis-Subjekt als Prius gesetzt hatte, den weiteren Zweifel, den am gegenständlichen Dasein der Welt, durch die vorgeordnete „veracitas dei‘“ beseitigt, wonach Gott uns nicht täuschen wolle. Und nun erscheint als einzige Überraschung, daß — nach Abtun alles Oben, aller Ideen und aller mythologischer Hypostasen — der wiedergeborene Materialismus nicht nur der demokritischen, sondern auch, cum grano salis, der scholastischen Abdrucks- und Abbildstheorie näher steht als der subjektivierenden Erzeugungstheorie.

Materialismus ist nach der klassischen Definition von Engels Erklärung der Welt aus sich selbst; Materie (die mechanische, chemische organische, ökonomische) ist das vorgeordnete Prius in Erkenntnis und Weltgeschichte. Was Erkenntnis im Besonderen angeht, so bestimmt Lenin im „Empiriokritizismus“: „Die Anerkennung der Theorie als Konterfei, als annähernde Kopie der objektiven Realität — darin besteht eben der Materialismus.“ Und eben dort weiter, so kurz als bündig: „Materie ist das vom Bewußtsein unabhängig Bestehende“; womit freilich mit dem Subjektivismus auch jede frühere Art von Objektivismus getroffen ist, sofern dieser sich (dem Subjekt noch so stark „entgegen geltend“) als objektiver Idealismus formiert hat. Denn die objektive Realität der Materie ist als Unabhängigkeit vom Bewußtsein auch allen „Substanzen“ des objektiven Idealismus entgegen gesetzt; sofern sowohl die rationalen (Hegels Idee) wie noch die irrationalen (Schopenhauers Wille, Bergsons Elan vital) Psychologica hypostasieren, und etwa nur Spinozas „Substanz“ — minus ihres Denk-Attributs — völlig causa sui ist.

Es ist notwendig, diesen radikalen Gegensatz der neueren materialistischen Abbildlehre zur Erzeugungstheorie des kapitalistischen Kalküls zu konstatieren und ebenso die Schwierigkeit, welche das Dasein des „subjektiven Faktors“ innerhalb der Abbildtheorie überfällt. Indessen: die Schwierigkeit ist nur scheinbar, denn es setzt sich die Schärfe der Leninschen Abbild-Definition wesentlich nur gegen die allverflüchtende Subjektivierung im Machschen Empiriokritizismus, nicht gegen die Subjekt-Substanz-Vermittlung Hegels. Selbst bei Gelegenheit Machs spricht Lenin nur von einer „annähernden“ Kopie; seine entscheidende Bestimmung der Abbildlehre aber war allemal die des „oszillierenden Theorie-Praxis-Verhältnisses“ in einer zu verändernden Welt. Lenins Hegelstudien haben das vom Bewußtsein unabhängig Bestehende als das ebenso in der Substanz, die das Subjekt ist, Bewegte; das Konterfei des Seienden ist die Konformität des revolutionären Bewußtseins mit der Tendenz der Materie. Die alte Abbildlehre ist derart nicht als einfach sensualistische, gar als mythologisch-objektivistische wiedergeboren. Sondern Theorie als annähernde Kopie der objektiven Realität ist zugleich das fortschreitende Original, das diese Realität von sich, als eine erst tendenzhafte, entwerfen läßt und mit entwirft.

Es kann derart nichts erkannt werden, ohne daß dieses sich bewegt. Und es wird nur erkannt, um zu verändern, folglich ist dies Eingreifende von vornherein im Blick. Nicht um im Leeren zu rasen, als wäre dem wahren Bewußtsein nicht vorgearbeitet, aber auch nicht, um ein bloßer sogenannter Spiegel zu sein. Der die ihm „gegebenen“ Dinge ohne anderen Zuschuß als den subjektiver „Trübung“ abbildet und im übrigen sie beläßt, als wären sie nicht einmal gespiegelt. Das ist die falsche Abbildlehre, die nicht nur primitive und philosophisch völlig unhaltbare, ja komische (denn wenn der Mensch ein Spiegel ist, wo bleibt dann der, welcher in den Spiegel blickt?). Es ist naiver Realismus im banalen Sinn, nämlich einer ohne alle Kenntnis des Subjekts statt eines mit dem durchdachten Pathos seines Subjekts.

Unhaltbar an der alten Abbildlehre ist aber nicht nur ihre Naivität (sofern sie als sensualistisch-unmittelbare auftritt), sondern die vordialektische Verdinglichung, worin sie steht. Denken und Sein, Bewußtsein und Wirklichkeit werden hier als zwei sich starr gegenüberstehende Reihen gefaßt, und ihre Vermittlung ist lediglich die kontemplative des Spiegels (oder auch des „Nachdenkens“ einer vorbildlichen ordo ac connexio formarum). Niemals gelang zwischen diesem Hiatus die Brücke, weder durch idealistische „Gleichsetzung“ des Denkens mit dem Sein noch durch mechanisch-materialistische des Seins mit dem Denken. Insofern ist die Erzeugungstheorie, zuhöchst die Kantische, ein großartiger, aller bisherigen Abbildtheorie philosophisch weit überlegener Versuch, die Dualität durch die synthetische Funktion des wissenschaftlichen Bewußtseins zu überwinden; es entstand, statt formalen Denkens hier, materialer Gegebenheit dort das Novum eines transzendentalen Denkens der Erfahrung, einer einheitlichen transzendental-logischen „Genesis“.

Aber der Preis war vermehrter Idealismus, war die Herausspinnung der Welt aus dem Subjekt der mathematischen Erkenntnis; nicht einmal aus der Logik wurde die Dualität entfernt, sondern blieb, wie zu sehen war, als abbildliche sui generis weiter bestehen, erst recht tauchte sie als Erscheinung und Ding an sich wieder auf. Trotzdem ist der Fortschritt erkennbar, den diese Art „Synthesis“ gegen die früheren, fast rein mythologischen Versuche der Vermittlung zwischen Denken und Sein darstellt. Denn die starre Zweiheit, welche der alten Abbildtheorie zugrunde liegt, mußte begreiflicherweise von Anfang an schon gelockert werden, damit überhaupt ein Abbilden, ein Nachdenken, ein „Entsprechen“ möglich sei.

Schon die Eleaten suchten diese Brücke, indem sie nur Gleiches von Gleichen erkennen ließen; eine Brücke des gewaltigsten Umwegs über die „Seele vor der Geburt“ und die „Urbilder am himmlischen Ort“ ist die platonische Wiedererinnerungslehre (worin der Gegensatz zwischen Denken und Weltsein freiliche desto stärker akzentuiert wird). Eine rein astrologische Brücke ist im Mikrokosmos-Makrokosmos-Begriff der Renaissance; nun wird der Mensch zur „Quintessenz“ aller kosmischen Gewalten und der Weg nach außen geschieht durch „sympathetische“ Analogie. Zuletzt gar sollte, bereits auf dem Boden des Materialismus, wenn auch des verplatteten im XIX. Jahrhundert, der Hiatus physiologisch getilgt werden: durch das Denken als „Produkt des Gehirns“: Eben als dieses Naturphänomen sollte es zugleich mit den anderen Gegenständen der Empirie in abbildlichen Rapport geratbar sein — eine Mythologie, deren Banalität zugleich zeigt, wie weit der bürgerliche Materialismus unter Demokrit und die Theorie seiner „Bildchen“ gesunken ist, jener „Eidola“, welche von den Dingen immerhin auf die „Feueratome“ der Seele übergehen.

Kurz, die logische „Genesis“ des Kantianismus ist allen solchen Mythologien gegenüber das beste Stück philosophischer Wissenschaft; desto sicherer, als es — qua „Genesis“ — ja nicht nur auf den Über-Idealismus purer Erzeugung beschränkt blieb, sondern in der Folge, bei Hegel und erst recht bei Marx die historische Entwicklung der Kategorien (als der Daseinsformen von Gesellschaft wie Welt) möglich machte. Und nun: die Abbildlehre selber vergeht nicht, wenn ihre Statik und die Statik ihrer „Glieder“ im dialektischen Materialismus verschwindet. Sondern desto reiner steht sie auf und desto bedeutsamer erfüllt sie ihre gegen-idealistische Funktion: ein Garant des Draußen zu sein. Die Vermittlung, welche sowohl „Denken“ und „Sein“ lebendig macht wie beide im realen Dritten aufhebt, ist — via „Genesis“ — der menschliche Arbeitsprozeß (mit dem Gedanken als seinem wichtigsten Instrument). Er ist die erfaßte Beziehung der Menschen zu Menschen und zur Natur; in ihm also ist die langgesuchte Wurzel, das nicht mehr mythologische Ferment der Subjekt-Objekt-Beziehung. Wobei die Abbildtheorie allerdings, im „Spiegel“ wie im Objekt, entscheidende Veränderungen erfährt — durch Einführung der „Veränderung“ in sie.

Dann freilich bewegt sich das sogenannte Spiegeln ebenso wie das, was es zeigt. Es macht, als arbeitendes, Dinge zu Dingen für uns, die Arbeit macht sie also durchaus von unserem Bewußtsein abhängig. Überhaupt trifft das rechte „Abbilden“ keine Dinge im starren, isolierten tatsachenhaften Sinn, sondern Bewegungen.

Die dialektische Abbildung, wie Marx sie zuerst der Ware und dem Kapital angedeihen ließ, zeigt, statt der fixen und isolierten „Tatsachen“, diese als Momente einer sich fortwährend verändernden gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es enthüllen sich statt der Tatsachen und Dinge lauter Beziehungen zwischen Menschen, das fix Entäußerte ist in Wahrheit „die ununterbrochene Produktion und Reproduktion jener Verhältnisse, die aus diesem Zusammenhang gerissen dem bürgerlichen Denken als Dinge erscheinen“. Engels sagt im „Feuerbach“: „Wir faßten die Begriffe unseres Kopfes wieder materialistisch als die Abbilder der wirklichen Dinge, statt die wirklichen Dinge als die Abbilder dieser oder jener Stufe des absoluten Begriffs“; doch Engels fährt ebenso mit der Erkenntnis fort, „daß die Welt“ (welche derart abgebildet wird) „nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist, sondern als ein Komplex von Prozessen“.

Es braucht also deshalb nicht, wie Lukács meint, die Abbildlehre selbst zugunsten einer „historischen Genesis“ aufgegeben werden, an der — ohne Abbildbarkeit sui generis — doch leicht wieder zuviel fließende „Beziehung“ und zu wenig „Momente“ sind, vielleicht sogar zu wenig — Prozeßgestalten. Lukács bemerkt zwar teilweise mit Recht: „In diesem Werden ist das Bewußtsein (des praktisch gewordene Klassenbewußtsein des Proletariats) ein notwendiger, unentbehrlicher, konstitutiver Bestandteil. Denken und Sein sind also nicht in dem Sinne identisch, daß sie einander ‚entsprechen‘, einander ‚abbilden‘, daß sie miteinander ‚parallel laufen‘ oder ‚zusammenfallen‘ (alle diese Ausdrücke sind nur versteckte Formen einer starren Dualität), sondern ihre Identität besteht darin, daß sie Momente eines und desselben real-geschichtlichen dialektischen Prozesses sind. Das, was das Bewußtsein des Proletariats ‚abbildet‘, ist also das aus dem dialektischen Widerspruch der kapitalistischen Entwicklung entspringende Positive und Neue“ — woran es mithin, nach Lukács, nichts abzubilden, nur etwas „herauszuhören“ und sonach zu „aktualisieren“ gibt. Lukács freilich steigert diese Kritik zu einer an aller Abbildtheorie überhaupt: „Wenn ... die herbeizuführende, die noch nicht entstandene Zukunft ... in den sich (mit unserer bewußten Hilfe) realisierenden Tendenzen die Wahrheit des Werdens ist, erscheint die Frage von der Abbildlichkeit des Denkens als sinnlos.“

Hier also ist die Verbindung verlassen, welche Engels in der „Feuerbach“-Stelle zwischen Abbildung und dem „Komplex von Prozessen“ fortbehauptet hat, während die starke Betonung des „subjektiven Faktors“, die ebenso starke des Ineinander von Denken und Sein im dialektischen Prozeß (vor allem: Arbeitsprozeß) doch nur zu einer neuen, einer dialektischen Abbildtheorie führen möchte, die gerade wegen ihrer Dialektik auch Fortbildungstheorie genannt werden muß (vgl. „Tübinger Einleitung in die Philosophie“, erkenntnistheoretische Fortbildilehre betreffend: „So fiel aus dem neuen Abbilden nicht auch das Einzige aus, was eine Hochzeit mit dem Erzeugen fruchtbar machen könnte: das Fortbilden. Als eines, das seine Sache auch überholen kann, in ihrer Schwimmrichtung, versteht sich. Und das den tätigen, nicht wie bisher belassenden, Anteil hinter sich hat, den Anteil am Heraufkommenden in der Sache, dem die erkennende Treue vor allem gehalten wird. Ein Auge kommt hier durchaus wieder, doch keinesfalls mehr als nur betrachtendes. Es sieht vielmehr, wie schlecht die Dinge sind, wie gut sie sein könnten, und leitet so an, sie mitbildend zu verändern.“).

Fortbildungstheorie bildet in der Tat nur ab, indem das arbeitende Subjekt sich ebenso in die Sache begibt, sich hineinbildet und das in ihr angelegt Latente mit bewußt-revolutionärem Anteil vorwärts treibt. Aber mit all dieser Aktivität bildet eine solche Theorie-Praxis doch ab, Prozesse ab und eben nicht nur Prozesse in der gewissen freischwebenden, unendlich stromartigen Beziehung, sondern ebenso relative Ruhe — „Dinge“ darin, alle die sichtbaren Geräte, Pflanzen, Tiere, Sterne, vor allem Kunstwerke, welche im Prozeß „erschienen“ sind. Zweifellos sind alle diese „Gestalten“, besonders die von Menschen gemachten, größtenteils nur gesellschaftliche Verhältnisse und in diese so auflösbar wie die „Krone“ des Königs in eine Relation der Feudalwirtschaft; doch ein Rest bleibt.

Es gibt keine festen Gestalten, durchaus nicht, wohl aber Spannungs-Figuren, Tendenz-Gestalten im Prozeß, wo nicht kleine Azoren oder auch nur Koralleninseln, die aus dem — sonst heillosen — Prozessualismus sich erheben. Die dergestalt, in spezifisch „betroffenem“ Begriff, abbildbar sind und verstärkbar, weiter in-formierbar durch Abbildung. Wie denn bereits das dialektische Prozeßdenken durchaus eine, der produktiven Abbildung höchst gemäße, In-formation seiner Wege, Wendungen und Möglichkeiten abgibt. Kurz, auch dialektische Wahrheit ist Abbildung und zwar eine, welche nicht eines „Bildchens“ oder einer „Spezies“ bedarf, um an ihm sich den Gegenstand zu repräsentieren. Sondern dialektische Abbildung ist im Denken wie im gedachten Tendenz-Gegenstand eine des „Bildes“, das mit dieser — in-formierenden — Abbildung von dem Überschuß, von den Möglichkeiten in der Welt entsteht, und woran diese vorarbeitet, mitarbeitet. Zweifellos bildet erst konkrete Praxis die Realisierung dieser In-formationen, letzthin aus der Latenz des Möglichen und seines Überhaupt.

[1Ernst Mach (1838-1916), Österreichischer Physiker und Philosoph, von Lenin in dessen Buch „Materialismus und Empiriokritizismus“ kritisiert (Anm. d. Red.)

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