ZOOM 3/1996
Juni
1996

... wie einen Hund

„Das ist ja wie im Irak. Ich habe geglaubt, das hier ist ein demokratisches Land.“

Rahman wog noch 45 kg, als er diesen Satz sagte, seine Lippen und seine Zunge waren schneeweiß, seine Haut war kalt, wirkte brüchig, er mußte länger als sonst nach den passenden englischen Wörtern suchen.

Es war Rahmans elfter Tag in seinem zwölftägigen Hunger- und Durststreik, an dessen Morgen er ohnmächtig geworden war. Die Freunde aus der Zelle weckten ihn, sie leerten ein wenig Wasser über seinen Kopf.

Während seiner ganzen Zeit als Schubhäftling im Polizeigefangenenhaus-Ost am Wiener Hernalser Gürtel hatte ihn kein Arzt angerührt. Ärzte sah er immer nur aus einiger Entfernung. Nie wurde ihm Blut abgenommen, um zu sehen, ob seine Nieren überhaupt noch funktionieren.

Über Intervention im Ministerbüro erreichten wir die Zusage, daß Rahman nach seiner Asyleinvernahme freikommen werde. Telefonisch überredete ich ihn am zwölften Tag seines Hunger- und Durststreiks, als sein Zustand schon längst lebensbedrohlich war, diesen abzubrechen. Drei Tage später, am Tag der Einvernahme, wurde Rahman gegen 17 Uhr ohne ärztliche Versorgung auf die Straße gestellt. Sein letztes Geld, 100,– DM, hatte längst die Gendarmerie beschlagnahmt.

Bis zu diesem Tag glaubte ich nicht, daß der Zynismus und die Menschenverachtung, mit der man in diesem Land Flüchtlingen begegnet, noch eine Steigerung erfahren könnten.

Gleichzeitig mit Rahmans Asyleinvernahme wurde auch sein Freund Mustafa ins Bundesasylamt Wien zur Einvernahme gebracht. Man setzte Mustafa in den berüchtigten „Gitterkäfig“ des Asylamts, in dem Flüchtlinge auf ihre Einvernahme warten müssen.

Mustafa krümmte sich vor Schmerzen. Er hatte vor über einer Woche einen 6 cm langen Löffelstiel geschluckt. Mustafa konnte, wie alle Flüchtlinge in Schubhaft, nicht verstehen, warum er eingesperrt ist. Auch er war zu diesem Zeitpunkt im Hungerstreik. Ein Sanitäter gab ihm eine Ohrfeige. Mustafa wußte, daß er nicht zurückschlagen darf, also richtete er die Aggression gegen sich selbst und schluckte einen Löffel. „Wenn ich eine Rasierklinge gehabt hätte, dann hätte ich mich umgebracht“, erzählte er später.

Man brachte ihn ins Krankenhaus, machte ein Röntgenbild und brachte ihn wieder zurück in die Schubhaft. Mustafa wurde in eine Einzelzelle gesteckt. Als ich ihn besuchte, hatte er alle Fingernägel bis zur Hälfte abgekaut. Mustafa bekam Schmerzen, er sagte dem Sanitäter, daß er einen Arzt brauche. Niemand kam. Auch am nächsten Tag nicht. Der Arzt war im Haus, kam aber nicht zu ihm. Mustafa bat an diesem Tag vier Mal darum, er hatte starke Schmerzen. Eine Sanitäterin kam, gab ihm ein Schmerzmittel und sagte: „Reiß’ dich zusammen.“ Den ganzen nächsten Tag half ihm auch niemand, am darauffolgenden Tag wurde er endlich zum Arzt geführt, doch der sagte nur: „Schleich dich.“ Und ordnete neuerlich die Einzelhaft an. Aus Verzweiflung schluckte Mustafa noch einen Löffel.

Am nächsten Tag sollte die Einvernahme im Bundesasylamt stattfinden. Mustafa saß im Gitterkäfig und sagte: „Sie behandeln mich wie einen Hund!“ Ich brach die Einvernahme wegen Vernehmungsunfähigkeit ab und forderte die sofortige Einlieferung meines Klienten in ein Krankenhaus. Anstatt einen Krankenwagen zu rufen, wurde Mustafa wieder von der Polizei abgeführt und ins Krankenhaus eskortiert. Dort stellte man am Röntgenbild fest, daß sich beide Löffel im Magen befanden, veranlaßte jedoch keine stationäre Aufnahme. Die Polizei brachte ihn zurück in die Einzelzelle.

Inzwischen wurde Mustafa aus der Einzelzelle entlassen, bis Redaktionsschluß saß er allerdings noch immer in Schubhaft. Die Deserteursberatung Wien hat aufgrund dieser Vorfälle der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung wegen unterlassener Hilfeleistung übermittelt.

Mustafa und Rahman hatten gute Fluchtgründe. Mustafa ist aus der Armee, wo er in einer Waffenfabrik arbeiten mußte, desertiert. Rahman ist Künstler und war aufgrund seiner regimekritischen Betätigung schon eine Woche im Gewahrsam des Staatssicherheitsdienstes. Weil er sich weiter regimekritisch betätigte, riet ihm sein Uni-Professor zur sofortigen Flucht.

Während die eine österreichische Behörde gerade im Begriff ist, die Asylanträge der beiden Flüchtlinge zu prüfen, bereitet die andere die Abschiebung vor. Zitat des zuständigen Fremdenpolizisten: „Die Schubhaft endet entweder mit der Haftunfähigkeit oder mit der Abschiebung.“ Hätten die beiden gültige Reisedokumente, wären sie wohl längst abgeschoben – lange bevor es ihnen überhaupt gelungen wäre, in Österreich ein Asylverfahren einzuleiten.

Als Mindeststrafe droht beiden bei ihrer Abschiebung in den Irak die Amputation des linken Ohres und das Einbrennen eines Brandzeichens auf die Stirn. Viel wahrscheinlicher ist allerdings die Todesstrafe, nicht zuletzt deshalb, weil die Fremdenpolizei bei der irakischen Botschaft um ein Heimreisezertifikat angesucht hat. Iraker, die im Ausland Asyl beantragen, werden als Hochverräter angeklagt, worauf die Todesstrafe steht.

Der Ausgang der Asylverfahren ist höchst ungewiß. Die Fremdenpolizei hofft auf eine Abschiebung nach Jordanien, wo sie dann entweder weitergeschoben oder vom irakischen Geheimdienst liquidiert werden.

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