MOZ, Nummer 42
Juni
1989

Wien im Weltstadtfieber

Ein neues Gründungsfieber bricht aus. Betriebsansiedlungen mit Top-Förderungen, Steigerung der städtischen Attraktivität durch Sanierungsprogramme, künstlich aufgebautes Stadtflair, Weltausstellung 1995. Wien will wieder Metropole werden.

Weltstadt sein. Metropole im Herzen des wiedererstehenden Mitteleuropa. Ein „Zentralpunkt Europas“ (Vizebürgermeister Mayr, SPÖ), eine „Stadt, wo alle Welt zu Hause ist“ (sein damaliges schwarzes Gegenüber Busek), eine „Drehscheibe der Begegnung zwischen Ost und West“ (Baurat Stöckl, Enquetebüro für die Weltausstellung), ein „idealer Standort im Zeichen des Ost-West-Booms“ (das Wirtschaftsmagazin „Gewinn“).

Modern sein, weltoffen und selbstbewußt, innovativ und zugleich traditionsbedacht, mit Großstadtflair und Vorstadtidylle, liberal und dynamisch.

Wien (wieder) zur Weltstadt machen, lautet das einstimmige Credo — und in diesem Wunsch ist Wien nicht „anders“ (wie die Fremdenverkehrswerbung behauptet), sondern folgt dem internationalen Trend. Denn will Wien in den kommenden Jahrzehnten eine Rolle im überregionalen Maßstab spielen, dann kann es sich dem Wettstreit der europäischen Metropolen nicht entziehen. Ein Wettstreit, in dem um internationales Messe- und Konferenzpublikum, um Touristenströme und Betriebsansiedlungen gebuhlt wird. „Dies ist sicherlich ein Grund dafür, warum wir derzeit eine Reihe von recht ambitionierten Projekten diskutieren“, gesteht Hannes Swoboda, Stadtrat für Stadtentwicklung und -planung.

Wiens Ausgangslage in diesem Wettstreit ist die günstigste nicht: Sein Anspruch, österreichische (und europäische) Metropole zu sein, und die reale wirtschaftliche Potenz fallen auseinander. Denn aus der Hauptstadt der ehemaligen Donaumonarchie, Zentrum von Warenströmen aus den Ost- und Südgebieten des Reiches, wurde eine Bundeshauptstadt, gelegen in der strukturschwachen Ostregion des kleinen Österreichs. Mit der forçierten Annäherung an den westeuropäischen Wirtschaftsraum wird sich das innerösterreichische Ungleichgewicht weiter zu Ungunsten der Bundeshauptstadt verändern.

Dem soll durch eine Wirtschaftspolitik, die „investitionswilligen Unternehmern in besonderer Weise zur Seite stehen“ will (Hans Mayr, Vizebürgermeister und Vorsitzender der Wiener Sozialisten), entgegengewirkt werden.

Ein neues Gründungsfieber bricht aus

Die Sandleiten im 16. Wiener Gemeindebezirk. Stein um Stein verschwindet der rote Wienerberger Ziegel, Symbol der letzten Gründerzeit, aus dem alten Ottakringer Industriegebiet. Die ehemalige Austria-Email-Fabrik, nach 1955 verstaatlicht, ist einem noch nicht ganz fertiggestellten Wohnpark gewichen. 270 Luxuswohnungen zu 2.500 öS pro Quadratmeter, dazu ein Konsum-Großmarkt und ein Baustoffhandel.

Eine Ecke weiter stadteinwärts, in der Odoakergasse, klafft eine riesige Baulücke. Der Dessous-Hersteller Gazelle verbaut hier ein mehrere Häuserblocks großes Areal. Drei Gehminuten Richtung Hernals, direkt an der Sandleitengasse, entsteht an einer Stelle, die bei Redaktionsschluß noch ein halbes Fabriksgebäude inklusive Schlot aus rotem Backstein ziert, ein Merkur-Markt. Daran anschliessend „revitalisiert“ die Firma Hofer die ehemaligen Wohnhäuser Nr. 34 und 36.

Wohnpark Sandleiten
Der Gazelle-Bauplatz in der Odoakergasse

Ein Bezirk im Umbruch, der Beton der neuen Gründerzeit ersetzt den roten Wienerberger Ziegel. Die Strukturveränderungen im Wiener Stadtbild sind unverkennbar.

Die Koordinationsstelle für fast alle diese Projekte heißt Wiener Wirtschaftsförderungsfonds, ein von der Stadtverwaltung, der Handelskammer und zwei Banken getragener Fonds, der — laut Eigendefinition — potentiellen Investoren „ein kostenloses full service bei Fragen der Finanzierung und Förderung, der Grundstücksbeschaffung ... bis hin zu Steuerfragen bietet“.

„Seit 1982 haben wir 320 in- und ausländische Betriebe auf 2 Mio. Quadratmetern Betriebsgrund angesiedelt“, verweist Direktor Heitzinger stolz auf die Bilanz des Fonds. Goodyear, Yamaha, Panasonic, Philips, Hewlett-Packard, Honda, Ericsson — das sind die Vorzeigeinvestoren, denen — so hoffen die Manager des WWFF — bald viele weitere folgen werden. „Wien ist eine Superstadt für alle initiativen Unternehmer geworden“, meint Herbert Kampfl vom Werbepool, einer mit dem Wirtschaftsförderungsfonds eng kooperierenden Marketinggesellschaft.

Die Förderungspalette für Investoren klingt tatsächlich verlockend: Der Top-Renner unter den Anreizen heißt „Top-Kredit“, ein entweder für den Betriebsstättenbau oder für Rationalisierungen und auch für die Umstellung betriebsinterner Planung und Organisation verwendbarer Kredit, mit 5- bis 10jähriger Laufzeit und einer fallweisen Minimalverzinsung von ganzen 3¾% pro Jahr. Weitere Unternehmerzuckerln aus dem — 35 Aktionen umfassenden — Förderungstopf sind beispielsweise die „Strukturverbesserungsaktion“, ein nichtrückzahlbarer Zuschuß in der Höhe von 10% der reinen Baukosten und die „Innovationsaktion“, ein 30%iger (!) Innovationszuschuß für Aufwendungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Geworben für den Standort Wien wird mit mehreren Strategien. Neben den Förderungen und Zuschüssen, die — woher sonst — aus Steuermitteln kommen, steht das ruhige soziale Klima Wiens zu oberst in den Hochglanzprospekten. „Hier verunsichern nicht kurzfristige politische Eingriffe die geschäftspolitische Strategie von ausländischen Investoren“, prahlt der WWFF (Wiener Wirtschaftsförderungsfonds) mit der „weltbekannt gewordenen Sozialpartnerschaft“ und verweist auf die im internationalen Vergleich unschlagbaren 0,5 Streiksekunden pro Arbeiter/in.

Eine schon bezogene Wohnung in der Anlage Sandleiten

Der neue Clou: Integriertes Betriebemix

Auf über 2 Mio. Quadratmetern Lie genschaften, die dem Fonds zur Verfügung stehen, wird eine Unzahl von Projekten angekurbelt. Von den Draschegründen an der Peripherie Wiens, die laut WWFF-Direktor Heitzinger „weggehen wie die warmen Semmeln“, zur ehemaligen Rennbahnkaserne, vom Handelskai, der bis zur Weltausstellung im Jahre 1995 überdacht werden soll, um so „Wien an die Donau zu legen“, bis zur Wagramerstraße in der Gegend um die Ostbahn.

Neben der „klassischen Ansiedlung“ großflächiger Betriebe wird das sogeannte „integrierte Betriebemix“ im innerstädtischen Bereich immer wichtiger. Die neue Idee heißt Durchmischung von Wohn- und Betriebsgegenden und nimmt für sich in Anspruch, ökonomisch und ökologisch zu kalkulieren. Der idealtypische Investor, der diese neugründerzeitliche Ideologie trägt, produziert, forscht und entwickelt neue Technologien.

Ein solch besonderer Platz für junge Unternehmer wird derzeit an der Simmeringer Hauptstraße geschaffen. Dort entsteht das SIG (Simmeringer Innovations- und Gründerzentrum). Auf einer Fläche von über 3.000 Quadratmetern werden durch Neuadaption eines alten Fabriksgeländes — in Kooperation von WWFF, Zentralsparkasse, Wiener Allianz und der privaten Marketingfirma Job Creation — Büroräume, Labors und Werkstätten errichtet. „Wir sind heute schon zu 70% ausgelastet, obwohl noch gar nicht mit der Produktion begonnen wurde“, meint der Österreich-Boß von Job Creation, Heinz Semerad. 50% der SIG-Betriebe werden Elektronik und Software fabrizieren, 25% diverse medizinische Geräte und Biotechnik.

„Eine neue Gründerzeit ist angebrochen, an deren Entwicklung wir mitwirken wollen“, so die Ideologie der Firma Job Creation, die die Betriebe mit fix und fertigem Infrastrukturangebot ins SIG lockt.

Wien als Drehscheibe zwischen Ost und West

„Unsere Stärke ist das Entrée in die Nachfolgestaaten der Monarchie“, ist Direktor Heitzinger vom WWFF überzeugt, daß die EXPO neue Impulse für die Wiener Wirtschaft setzen wird. „Ein bißchen was von den Möglichkeiten zurückbekommen“ will auch Wissenschaftsminister Busek, „die wir mit dem Untergang der Donaumonarchie verspielt haben.“ Die rosarote Brille ist schnell aufgesetzt; und das optimistische Gutachten des Wirtschaftsexperten Egon Smeral berechnet ein finanzielles Plus der EXPO von 16 Mrd. wertschöfpungswirksamen Schillingen für Wien, bei einer erwarteten Besucherzahl von 17 Millionen. Allerdings werden von dem für die Weltausstellung erhofften Investitionsboom 75% im Bauwesen konzentriert sein, was — für viele zurecht — ein Umackern des Stadtbildes befürchten läßt.

Die Angst, daß die Weltausstellung in die Hose gehen könnte, begründet Enno Grossendorfer, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Koordination der EXPO im Bundeskanzleramt. Er fürchtet angesichts der wirtschaftlichen Öffnung Ungarns die Konkurrenz Budapests: „Die Aufteilung der Aussteller ist das Hauptproblem; manche fürchten, daß die Ungarn-Lobby in den USA zu stark ist“, was bewirken könnte, daß in Wien der Osten und die sogenannte „3. Welt“ ihre Zelte und Kojen aufstellen, während Budapest die fetten Ausstellungsbrocken aus den USA und ev. auch aus dem EG-Raum bekäme.

Eine für den wirtschaftlichen Boom gerüstete Wienerstadt könnte dann einen Katzenjammer erleben, wie er sich nach der letzten Wiener Weltausstellung im Jahre 1873 eingestellt und im Börsenkrach wenige Tage nach der Eröffnung seinen Höhepunkt gefunden hatte.

Doch 1995 soll die Weltausstellung kein gigantisches Vorhaben — das „an und für sich“ ist — werden, sondern „ein Projekt, das im wirtschaftlichen, im kulturellen und im politischen Bereich etwas in Gang setzen will“, wünscht man sich im Enquete-Büro. Auch Erhard Busek, der sich schon im Wahlkampf für die letzten Wiener Gemeinderatswahlen als Lieferant für Weltstadtkonzepte profilierte, meint, daß diese allesamt auch ohne EXPO zu realisieren wären. Aber: „Wir Wiener müssen halt immer ein bissel unter Zwang gestellt sein.“ Und als bekannt wurde, daß Budapest sich bewerben wollte, „haben wir uns gedacht, es ist besser, wir tun mit“. Denn sonst, so Busek listig, könnte es noch so weit kommen, daß der internationale Städtetourismus, der derzeit drei Tage Wien gekoppelt mit einem Tag Budapest absolviert, dieses Verhältnis umkehrt.

Standortvorteil Lebensqualität

Die EXPO ist im Kampf der Metropolen nur ein Mittel von vielen, um internationale Sympathien erlangen zu können. Finanzspritzen und Gründungszentren — die im Prinzip von jeder Stadt oder Gemeinde geboten werden können — reichen längst nicht mehr aus, um den Standortkampf um zukunftsträchtige Branchen gewinnen zu können.

So wie andere Metropolen auch setzt Wien auf das städtische Ambiente, das das finanzkräftige und investitionsfreudige Publikum anlocken soll. Wohn- und Lebensqualität in der Stadt wird zum Standortvorteil, der die hohen Ansprüche der in der High-tech-Branche Beschäftigten befriedigen soll. „Grün“ (Werbeslogan: „Umweltstadt Wien“) ist da ebenso wichtig wie das sogenannte Face-lifting, das unter dem Begriff „Stadterneuerung“ betrieben wird. Mit erheblichen Förderungen, die die Gemeinde Wien via „Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds“ den Hausherren zukommen läßt, werden diese zu Verbesserungsarbeiten an und in ihren Häusern bewegt. Zuschüsse bis zu 110% (!) der Sanierungskosten machen die Anpassung des erheblich gründerzeitlichen Wohnungsbestandes an die neuzeitlichen Wohnbedürfnisse schmackhaft — sechs Milliarden Schilling wurden in den letzten vier Jahren als Förderung vergeben. Damit soll Abwanderung und Verödung ganzer Viertel verhindert werden.

„Finanzielle Anreize für den einen sind jedoch Kostenfaktoren für den anderen“, gibt Jürgen Rosemann vom Institut für Stadterneuerung an der Uni Delft (Holland) bei einem Symposium zu bedenken. Diese Kosten müssen sowohl von der Allgemeinheit als auch von den Mietern getragen werden. Denn bessere Wohnungen kosten eben mehr. Der Stolz der Gemeinde Wien, die Politik der „sanften Stadterneuerung“, die Kahlschlag und Mieterrausschmiß vermeiden will, kann das Problem nur verschieben, nicht aber lösen: „Wenn man jemanden aus seiner Wohnung wirft, schafft das politische Unruhe. Wenn man jemanden erst gar nicht in eine Wohnung hineinläßt, dann ist das der Preis, den man eben für die Stadterneuerung zahlen muß, und keiner regt sich auf darüber“, kritisiert Wolfgang Veit von der Kommunalpolitischen Abteilung der Arbeiterkammer Wien.

Daß billiger (also schlechter) Wohnraum durch die Sanierung verschwindet, ist per se natürlich nicht zu kritisieren. Wird aber bedacht, daß die Kluft zwischen Einkommenswachstum der unteren und mittleren Schichten und dem Ansteigen der Wohnungskosten immer mehr wächst (von 1976 bis 1986 stand ein Einkommensplus von 50% einen Kostenzuwachs von 300% gegenüber) und daß andererseits immer mehr Menschen überhaupt ohne regelmäßiges Einkommen leben müssen, dann hat das Verschwinden billigen Wohnraums katastrophale Auswirkungen. Die Vorstellungen von Walter Hofstetter, Direktor des „Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds“, daß nämlich „Wohnungen der Kategorie A (also mit Bad, Heizung und WC) nicht Luxus, sondern Standard sein sollten und die Sozialeinrichtungen so geschaffen werden sollten, daß jeder sich das leisten kann“, sind zwar löblich, gehen aber am Ziel — teure Wohnungen für Weltstadtbürger — vorbei. Bürgermeister Zilk meint lapidar: „Wohnen kostet etwas“, und ergänzt, daß „Kurskorrekturen“ vorzunehmen seien, denn früher sei man „irrtümlicherweise anderer Aufassung gewesen“.

Wohnungsspekulation

Schafft der Konkurrenzkampf eine Hierarchisierung der Städte untereinander, so fördert das Face-Lifting eine Spaltung innerhalb der Stadt. Marginalisierte Stadtteile verschwinden nicht — fallweise aber müssen ihre Bewohner in andere Randgebiete wandern. Dann nämlich, wenn Stadtväter und Bodenspekulanten mit einem Viertel Besseres vorhaben.

So etwa in Gumpendorf, Heimat des „Herrn Papa, Hausherr und Seidenfabrikant“ im legendären Wiener Volkslied „D’Hausherrnsöhnl“ aus dem Jahr 1848, wo ein veralterter, nur mehr schlecht verwertbarer Hausbestand einer steigenden Attraktivität des Gebietes gegenübersteht. U-Bahn-Bau und Einkaufseldorado Mariahilferstraße treiben die Preise hoch — kein Wunder, daß ein Hausherr statt zweistöckiger Mietshäuser voller Substandardwohnungen (wie es auch die besetzten und dann abgerissenen Blocks in der Ägidi- bzw. Spalowskygasse waren) lieber sechsstöckige, großzügig geförderte Neubauten errichtet. Sanierungsopfer sind die Altmieter, die sich nach neuen Billigwohnungen umsehen müssen.

Die gepflogene finanzielle Stimulierung der privaten Hauseigentümer gefährdet aber auch die gegenwärtige kleinteilige Eigentümerstruktur, gekennzeichnet durch den Hausbesitzer, der im eigenen Haus wohnt und somit nicht nur wirtschaftliche, sondern auch Nutzerinteressen hat, was wiederum Wohnungsspekulation und Verslumung entgegenwirkt. In einer — durch die Stimulierungspolitik ausgelösten — wirtschaftlichen Dynamik könnte mehr und mehr Spekulationskapital in den Wohnungsmarkt eindringen, fürchtet Jürgen Rosemann.

Zurecht. In der Wiener Leopoldstadt etwa gesellen sich zum allgemeinen Trend noch vorausgeworfene Schatten der EXPO 1995. Denn seit bekannt ist, daß Wien das Großereignis veranstalten wird, steigt die Attraktivität der an das vermutliche Veranstaltungsgelände angrenzenden Bezirke. Konsequenz: Weniger Wohnungen am Markt, Kapitalgesellschaften mischen mit. So in der Praterstraße, die direkt zum berühmten Prater und in ihrer Verlängerung zum „Vienna International Center“ und dem Weltausstellungsgelände führt. Dies und das Gerücht, die Praterstraße könnte im Zuge der EXPO zu einer Allee umgebaut werden, steigert natürlich das Verwertungsinteresse. Ein — noch bewohnter — Gebäudekomplex im Besitz der Kapitalgesellschaft „Con-Wert“ soll dem Vernehmen nach gewinnträchtiger als Garage oder Geschäftszentrum verwertet werden, eine angrenzende Baulücke wurde durch eine andere Gesellschaft („Real-Wert“) erworben, in der benachbarten Lichtenauergasse üben sich Spekulanten darin, Mieter loszuwerden, um das „Objekt“, wie es immer heißt, verwerten zu können.

Wien an die Donau

Die Steigerung der städtischen Attraktivität will man in Wien aber nicht nur über Sanierungsprogramme leisten. Die große Chance schlechthin wird im Donauraum gesehen — Wien, das bis dato ja nicht an, sondern neben der Donau liegt, soll „dem Wasser zugewendet“ (Busek) werden. Verschiedene städtebauliche Maßnahmen sollen im Verbund mit dem geplanten Donaukraftwerk in der Wiener Freudenau die traditionelle Spaltung der Stadt in „hüben und drüben“ aufheben und — wie schon die zumindest von den Stadtvätern als „Freizeitparadies mitten in Wien“ propagierte Donauinsel — einen Freizeitattraktionspol für Wien schaffen. Ein solcher wäre, hört man, ein Wien-spezifisches Plus in der Konkurrenz der Städte. Neben diesen architektonischen Einschnitten ist vor allem eine infrastrukturelle Verschiebung denkbar: Banken, Versicherungen und Geschäftsbüros könnten von der Innenstadt in das Gebiet rund um das Konferenzzentrum und das EXPO-Gelände übersiedeln — eine Aufwertung, die die transdanubischen Gebiete gar zur „Oberstadt“ machen könnte.

Stadtkultur hat Hochkonjunktur

Die Stadtkultur ist in. Man hat sie, „wie Anrufbeantworter, PCs oder die neue Küche“, meint der Kulturforscher Rudolf Kohoutek. Man braucht sie, denn sie ist, wie Hartmut Häußermann und Walter Siebel, Professoren für Stadt- und Regionalsoziologie in Bremen bzw. Oldenburg schreiben, „die Trumpfkarte“ im Buhlen um Publikum.

Die Stadtkultur, das ist die traditionelle Hochkultur, das sind domestizierte Teile der ehemaligen Subkultur, das ist das „Flair“, also BeisIn, schicke Boutiquen, Straßenmusikanten. Gedacht ist sie weniger für die, die in der Stadt wohnen, sondern für die, die kommen sollen. Der Stadttourismus als Urlaub kommt immer mehr in Mode, nur er kann in Österreich Zuwachsraten verzeichnen. Der Sommer in den Alpen, das „wanderbare Österreich“ (Werbeslogan), das kann man nicht mehr verkaufen. Die Wienerstadt, mit alten Klischees und neuem Flair, schon: die Nächtigungen haben von 1983 bis 1987 um ein rundes Drittel auf 5,9 Millionen jährlich zugenommen — zu Lasten anderer österreichischer Fremdverkehrsgebiete.

Das Angebot, das Jung und Alt, Urlauber wie Manager nach Wien ziehen soll, muß längst breiter sein als Stephansdom, Lipizzaner und Heurigen: Sensationelle Ausstellungen wie etwa „Traum und Wirklichkeit“ oder „Prag um 1600“, Neuheiten (wie die geplante Ausstellung im Technischen Museum: „Phantasie und Industrie“), international ausgerichtete Festwochen („Wien grüßt Paris, Paris grüßt Wien“) mit Weltstars für zehnminütige Auftritte, Konzerte von Popgrößen wie Tina Turner und anderen, anerkannte internationale Avantgarde, Stadtfeste und Erfolgsmusicals („Cats“, „Phantom der Oper“), eine Beislkultur, die fast über Nacht installiert wurde und Lebendigkeit vermitteln soll. In Wien — wirbt der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF) — kommen alle („Die Jungen und die Junggeblieben.n“) auf ihre Rechnung: „Die Kulturszene dieser Stadt: Sie bietet für jeden das Passende.“

Für jeden das Passende heißt natürlich auch: für alle dasselbe. Was unterscheidet eigentlich das Freizeitprogramm des „Falter“, Leitblatt der Kultur„szene“, von dem des „Standard“? Nichts. Diese Nivellierung mündet in einem alles einenden Kulturbegriff: „Fremdenverkehrskultur“ (Gerhard Ruiss, IG Autoren). Die ehemalige autonome Wiener Subkultur ist institutionalisiert, festivalisiert oder eliminiert worden — vom autonomen Zentrum Gassergasse zum gemeindesubventionierten „WUK“ oder von der Subkulturbewegung in der „Arena“ zum Veranstalter ausländischer Subkultur, als die sich die „Arena“ heute präsentiert. Natürlich darf das Image auch nicht altbacken sein ausländische Theateravantgarde etwa, die Konfliktstoffe aufführt, wird für teures Geld importiert, denn da weiß man, was sie bieten, da kann nichts Gefährliches rauskommen, und außerdem reisen die eh wieder ab.

„This waltz, it’s been dying for years“ (L. Cohen)

Das „neue Leben, das die Stadt erfüllt“ (Baurat Stöckl), ist das Marketingkonzept für eine Stadt, die ihr Image des Sterbenden, Morbiden eintauschen möchte gegen die Dynamik und den Optimismus einer Weltstadt.

Internationales Verkehrsnetz und moderne Infrastruktur, überquellendes Freizeitangebot, angenehmes Stadtbild und Unterhaltungsmöglichkeiten für den Abend. Dem internationalen Konferenz- oder Messeteilnehmer müssen ebenso wie dem Städterundreisenden und Inter-Rail-Jugendlichen zu den kaiserlichen Bauwerken noch die Annehmlichkeiten einer Yuppiemetropole geboten werden.

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