FORVM, No. 197/I
Mai
1970

Wiener Bilderstreit
oder
Wo darf ein Minister hängen?

I. Assoziationen

Dr. Georg Prader, Bundesminister für Verteidigung, klagte mich wegen Angriffs auf seine Ehre, begangen im NF, Anfang März 1970, II. Umschlagseite.

Die Privatanklage hat folgenden Wortlaut:

... Die ganze Diktion dieses Aufsatzes ist ironisch gehalten. Es werden darin Personen, welche das Bundesheer-Volksbegehren unterzeichnen wollen, aufgefordert, in die Parteizentrale zu gehen, dort die Stellungnahme der Parteien zum Bundesheer zu verlangen, dabei aber gewaltlos zu bleiben und weder Mobiliar noch Funktionäre zu beschädigen.

Der ironische Artikel schließt mit dem Satz: ‚Die besten Einsendungen belohnen wir mit handsignierten Brustbildern vom Verteidigungsminister zum Aufhängen an einem geeigneten Ort.‘ Es wird die Verspottung inkriminiert, da beim Durchschnittsleser mit den Worten geeignet zum Aufhängen an einem geeigneten Ort Assoziationen verbunden sind ...

Die Verantwortung für Rechtschreibung und Stil, die hier mit dokumentarischer Treue wiedergegeben sind, liegt beim Minister. Statt dessen wurde ich verurteilt zu 3000 Schilling oder zu fünf Tagen Arrest. Ich legte Berufung ein, schon deswegen, da das nachfolgende Plädoyer meines Verteidigers, RA Dr. Nikolaus Siebenaller, mir ein besseres Schicksal zu verdienen scheint als solche Zurückweisung.

II. Plädoyer

Im August 1914 verhaftete der Zivilpolizist Bretschneider im Prager Wirtshaus „Zum Kelch“ den Gastwirt Palivec und dazu gleich einen weiteren österreichischen Staatsbürger tschechischer Nationalität, von Beruf Hundefänger, wegen Majestätsbeleidigung. Die beiden Delinquenten äußerten nämlich öffentlich, das vorher in der Wirtsstube aufgehängte Kaiserbild hätte deshalb entfernt werden müssen, weil respektlose Fliegen auf selbigem ihre Verdauung beendet hatten. Diese Geschichte ist keineswegs neu. So und nicht anders beginnt „Der brave Soldat Schwejk“.

Auf den Antillen und in manch anderen Gegenden herrscht unter den Eingeborenen seit alters her der Brauch, sich mit Hilfe des Voodoo-Zaubers tatsächlicher oder eingebildeter Gegner zu entledigen. Dazu wird aus Lehm eine Figur des Adversarius angefertigt und unter Einhaltung bestimmter Traditionen an genau vorgesehenen Stellen gestochen. Dies gilt als landläufiges Mittel, die gleichen Verletzungen dem lebenden Feind gleichsam per procura zuzufügen. Völkerkundlichen Fachwerken kann Genaueres entnommen werden.

Einer der schönsten und elegantesten Männer des deutschen Tonfilms der dreißiger Jahre war ohne Zweifel Carl Ludwig Diehl, ein echter Held der Ufa. Jener besagte Carl Ludwig Diehl hatte es einer biederen Beamtengattin (damals) besonders angetan. Mangels anderer Möglichkeiten, mit ihrem geliebten und bewunderten Idol in eng-innigen Verkehr zu treten, erwarb sie sein Großphoto und stellte es in der Wohnung auf. Ihr Ehegatte, ein ansonsten eher freisinniger Mensch, stellte jedoch, das Motiv dafür ist heute nicht mehr aufzuklären und auch unerheblich, folgende Bedingung: Das Bild müsse entweder verschwinden oder an einem gewissen Ort der Wohnung aufgehängt werden. Und es wurde auch aufgehängt. So weit ging damals die Kinobegeisterung.

In welcher Beziehung stehen nun diese drei wahllos ausgewählten Fälle zur Privatanklage des Herrn Bundesministers für Landesverteidigung?

Der erste Fall scheint sich sachverhaltsmäßig wenig davon zu unterscheiden, wurden doch jeweils die Abbilder von höchsten staatlichen Würdenträgern betroffen. So real sich heute noch die Einleitungsgeschichte zu den Schwejkschen Abenteuern ausmacht, ist sie aber doch nur eine Erfindung des genialen Autors.

An der zweiten Geschichte ist bemerkenswert, daß zumindest nach mitteleuropäischen Rechtsvorstellungen eine strafbare Handlung gegen die Person des Betroffenen nicht abgeleitet werden kann, auch wenn die böse Absicht des Herstellers der Tonfigur noch so sehr auf Beleidigung oder Körperverletzung gerichtet war. Es handelt sich um einen Versuch mit untauglichen Mitteln.

Nun verbleibt uns noch festzustellen, ob sich die Bewunderin von Carl Ludwig Diehl einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat, indem sie sein Bild an einem gewissen Ort aufgehängt hat, oder ob gar der Ehegatte der Anstiftung hierzu angeklagt werden könnte, da ja schließlich er es gewesen ist, der die Ortsveränderung verlangt hat. Bei Überprüfung dieses Sachverhaltes stellt sich heraus, daß es kein österreichisches Gesetz gibt, welches das Aufhängen eines Bildes an eben jenem Ort verbietet. Wenn nun aber das Aufhängen des Bildes nicht rechtswidrig ist, kann es dann denkmöglich sein, daß die Aufforderung dazu strafbar sein sollte?

Diesbezüglich immer vorausgesetzt, daß der geeignete Ort mit dem bestimmten Ort identisch ist, was man eigentlich nur aus der Warte des Betrachters nachprüfen könnte.

Es ergibt sich demnach zusammenfassend, daß es zu den demokratischen Grundsätzen jedes Österreichers gehört, sich in seiner Wohnung, und zwar an jeder geeigneten oder bestimmten Stelle, ein Bild eines anderen Mitbürgers — wer immer dies auch sei — aufzuhängen.

III. Urteilsschelte

LGR Dr. Erich Klusemann
Vogelwelderstraße 39
8010 Graz

Herrn Dr. Günther Nenning
Museumstraße 5
1070 Wien

Graz, am 3. April 1970

Lieber Günther!

Mit bestürzter Heiterkeit habe ich vernommen, daß Dein Ansinnen, das signierte Brustbild des nun wohl scheidenden Verteidigungsministers an einem geeigneten Ort aufzuhängen, von einem — Berufskollegen — einer strafgerichtlichen Verurteilung wert befunden wurde.

Bestürzt bin ich, weil im Jahre 1970 ein — Berufskollege — weit über das hinausging, was sogar der alte Metternich noch tolerierte und erstmals in der neueren österreichischen Judikatur Gedanken nicht mehr zollfrei sein läßt.

Mit Heiterkeit erfüllt mich, daß besagter — Berufskollege — offenbar mit Dir und mir über den einzig möglichen Ort für die Anbringung des signierten Brustbildes völlig einer Meinung ist.

Und schließlich: Was wäre eine Justiz ohne krasse Fehlurteile?

Mit herzlichen Grüßen
bin ich Dein E. K.

IV. Vergleich

In der „Vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechtes“ meint Liepmann:

Der Gekränkte mag sich vor Augen halten, daß Ignorieren oder Mitlachen nicht selten Zeichen seien, durch welche sich der Mann von der alten Jungfer unterscheide.

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