FORVM, No. 150-151
Juni
1966

Willkomm für Christian Broda

Ich halte Christian Broda für nicht gänzlich unschuldig an der sozialistischen Wahlniederlage vom 6. März — soweit diese überhaupt personelle Ursachen hatte, also sehr weitgehend, denn was die objektiven Bedingungen anlangt, sprachen diese zugunsten eines sozialistischen Erfolges. Diese meine negative Auffassung der parteipolitischen Rolle Christian Brodas ändert nichts an meiner persönlichen Freundschaft zu ihm, ebensowenig am Respekt für seinen juristischen Intellekt und seine ministerielle Initiative. Eine Anfrage Elisabeth Schilders, ob sie die Leistungen Christian Brodas während seiner Amtszeit als Justizminister im FORVM würdigen könne, habe ich daher mit vorbehaltlosem Ja, beantwortet.

g. n.

„Menschlichkeit verkauft sich schlecht.“ Dieser Ausspruch des deutschen Soziologen Ralf Dahrendorf [1] ist auf Deutschland gemünzt. Christian Broda kann dasselbe auf Österreich sagen. Sang- und klanglos hat die Öffentlichkeit seinen Abgang als Justizminister zur Kenntnis genommen. Die bürgerliche Presse hat mit Wohlgefallen festgestellt, daß die Ära Broda zu Ende gegangen ist. Die sozialistische Presse und die Parteileitung haben weder Anerkennung den Verdiensten Christian Brodas als sozialistischer Justizminister gezollt noch Dankesworte gefunden. Man schien bei den Koalitionsverhandlungen von Anfang an einverstanden, den Anspruch auf das angeblich so angeschlagene Justizministerium aufzugeben.

In dieser Lage ist es mir ein persönliches Anliegen, Christian Brodas Werk und Schaffen zu würdigen; nicht nur weil ich ihm seit vielen Jahren in Freundschaft verbunden bin, sondern weil ich in den letzten 20 Jahren seine Arbeit und seine Leistung aus der Nähe kenne. Bei meiner Tätigkeit in einer Rechtsschutzstelle der sozialistischen Partei lernte ich zuerst seine Einsatz- und Hilfsbereitschaft kennen. Als junger Rechtsanwalt vertrat er auf unsere Bitte kostenlos viele Menschen vor Gericht, die um Rat und Hilfe in die Rechtsberatung kamen. Diese Bereitschaft hielt unverändert an, als Broda ein sehr bekannter Rechtsanwalt und Parlamentarier geworden und mit Arbeit überhäuft war. Ich gehörte dann als leitende Beamtin des Jugendamtes der Stadt Wien und in den letzten Jahren durch meine Tätigkeit im Rahmen der Bewährungshilfe zu den wenigen, die, ohne Beamte des Justizministeriums zu sein, die Arbeit Brodas als Justizminister aus der Nähe verfolgen konnten.

Eine große Organisation, wie sie ein Ministerium darstellt, kann man führen, indem man die Dinge an sich herankommen und seine Tätigkeit vom Einlauf des Tages bestimmen läßt, oder man kann mit einem Plan an die Arbeit herangehen und nach diesem die Organisation leiten. Christian Broda hat von Anfang an bewußt den zweiten Weg gewählt und ihn konsequent beschritten. Bei der Übernahme des Justizministeriums ging er mit einem offenen Konzept an die Arbeit heran. Schutz der Schwachen, Schutz der unterprivilegierten Schichten ist der Leitgedanke, der sich durch alle Gesetzesreformen zieht, die von Christian Broda durchgeführt oder eingeleitet worden sind. Die Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit, die Toleranz gegenüber dem Einzelnen, wenn er auch am Rande der Gesellschaft steht, hat Brodas Tätigkeit als Initiator von Gesetzen und als Verantwortlicher für den Strafvollzug bestimmt.

Es war der weitblickenden und vorurteilslosen Persönlichkeit des Juristen Broda vorbehalten, das in Österreich herrschende Monopol der Juristen zu brechen, die oft ohne Beratung von Fachleuten vom formaljuristischen Standpunkt Gesetze machen und Entscheidungen treffen. Es ist Brodas Verdienst, daß im Justizministerium bei der Ausarbeitung jedes Gesetzes in einem sehr frühen Stadium Fachleute zur Beratung herangezogen wurden. Nicht nur Vertreter von Organisationen und öffentlichen Körperschaften kamen zu Wort, sondern jeder, der bereit war, an der Arbeit mitzuwirken. Bei der Ausarbeitung der großen Strafrechtsreform wurden Psychiater, Psychologen und Sozialarbeiter zu Rate gezogen. Ebenso wurde bei der überfälligen Modernisierung des Strafvollzuges zum erstenmal in der Geschichte der österreichischen Justiz ein auf dem Gebiet der Kriminologie erfahrener Psychiater als ständiger Berater des Justizministeriums verpflichtet.

Es ist hier nicht möglich, auf die vielen Gesetze einzugehen, die während der sechs Jahre, die Christian Broda Justizminister war, geschaffen wurden. Es sei nur auf das Ratengesetz, das Aktiengesetz, das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz hingewiesen, welche alle einstimmig vom Nationalrat beschlossen wurden. Ferner wurden unter Broda ein Entwurf eines Pressegesetzes und der Entwurf des so wichtigen Gesetzes über die Sozialgerichtsbarkeit fertiggestellt. Diese beiden Gesetzentwürfe können jederzeit dem Parlament vorgelegt werden.

Was Broda vor allem am Herzen lag, war die große Strafrechtsreform. Sie umfaßt ein neues Strafgesetz, eine Überarbeitung der Strafprozeßordnung, erstmals ein Strafvollzugsgesetz und ein Bewährungshilfegesetz. Lange bevor Christian Broda Justizminister wurde, hat er sich mit der Reform des veralteten Strafgesetzes beschäftigt. (Für Nichtjuristen sei gesagt, daß dieses aus dem Jahr 1852 stammt und „eine neue, durch spätere Gesetze ergänzte Ausgabe des Strafgesetzes 1803 ist“, wie das Kundmachungspatent selbst sagt.)

Als leitendes Vorstandsmitglied der Vereinigung sozialistischer Juristen gab er einen wesentlichen Anstoß für wichtige Reformideen. Seit 1956, seit er den gesetzgebenden Körperschaften angehörte, war er eines der aktivsten Mitglieder der Strafrechtskommission, die anfang 1955 mit der Arbeit begonnen hatte. Mit seiner Bestellung zum Justizminister im Juni 1960 wurde das Tempo der Ausarbeitung des Entwurfes stark vorangetrieben. Im August 1962, in einer einwöchigen Klausurtagung, die unter Brodas persönlichem Vorsitz stattfand, wurde der Strafrechtsentwurf von der Kommission fertiggestellt. Die meisten Beschlüsse wurden einstimmig gefaßt und nur in wenigen Fällen wurde ein Minderheitsvotum angemeldet und auch vermerkt.

Der Entwurf wurde dann vom Justizministerium überarbeitet und an die verschiedenen Gerichte, Ministerien, Kammern und andere Stellen ausgesandt. Die Stellungnahmen machen Tausende von Seiten aus. Das Gutachten der Generalprokuratur umfaßt 569 Seiten, das des obersten Gerichtshofes kaum weniger, sogar die Konferenz der österreichischen Bischöfe gab eine Stellungnahme ab. Vielen Einwänden wurde Rechnung getragen und ein neuerlicher Entwurf ausgearbeitet. Einige Tage bevor Christian Broda das Justizministerium verließ, konnte das vollendete Gesetzeswerk den Mitgliedern des Justizausschusses übersandt werden.

Der Strafgesetzentwurf in seiner jetzigen Gestalt entspricht den Gegebenheiten der heutigen pluralistischen Gesellschaft. Broda sagt selbst dazu:

Das neue österreichische Strafgesetz kann nicht das Bekenntnis zu einer bestimmten Weltanschauung verlangen, sondern versucht den in unserer Gesellschaft geltenden Auffassungen über den zweckmäßigen Schutz der Gesellschaft vor dem Rechtsbrecher gültigen Ausdruck zu verleihen ... Das Ziel der Arbeiten an der Strafrechtsreform bestand darin, ein für den derzeitigen Entwicklungsstand der Gesellschaft repräsentatives Strafrecht zu schaffen. So geht der Strafgesetzentwurf von der Überzeugung aus, daß man von verschiedenen theoretischen Standpunkten zu gleichen praktischen Ergebnissen kommen kann. Es wurde versucht, einen Strafgesetzentwurf auszuarbeiten, der den Erfahrungen unserer Zeit, den Erkenntnissen der Wissenschaft und den Veränderungen der Gesellschaft Rechnung trägt. [2]

Aus der Zusammensetzung der Strafrechtskommission, die aus Universitätsprofessoren, hohen Richtern und Staatsanwälten, Beamten des Justizministeriums und Parlamentariern als Vertretern der politischen Parteien bestand, geht klar hervor, wie unsinnig die Behauptung ist, daß „ostdeutsches Strafrecht in diesem Gesetzesentwurf abgeschrieben wurde“. Nur wer den Entwurf überhaupt nicht kennt oder bewußt Unwahrheit verbreitet, kann so etwas sagen. Der Entwurf wurde übrigens von den sozialistischen Organisationen und dem Arbeiterkammertag dahin kritisiert, daß er zu wenig fortschrittlich sei und in mehreren Punkten die sozialistischen Grundsätze, vor allem hinsichtlich der Abtreibung, preisgäbe.

Es kann nicht Gegenstand dieses Aufsatzes sein, eine Inhaltsangabe des Entwurfes zu geben. Lassen wir Broda selbst zu Wort kommen:

Das neue österreichische Strafgesetz will verstärkten Schutz der Gesellschaft vor dem Rechtsbrecher. Darunter verbesserte Sicherungs- und vorbeugende Maßnahmen einschließlich der Anhaltung geistig abnormer Rechtsbrecher, gleichzeitig aber verbesserte Möglichkeiten der Wiedereingliederung des besserungsfähigen Rechtsbrechers in die Gesellschaft ... Es soll nur dann eine Freiheitsstrafe verhängt werden, wenn alle anderen Maßnahmen der Sanktion gegen deliktisches Verhalten nicht mehr ausreichen. Der Strafgesetzentwurf will aber dort mit der Androhung der Freiheitsstrafe das Auslangen finden, wo die Vollziehung der Freiheitsstrafe entbehrlich erscheint. In Grenzfällen, in den besonders leichten Fällen, wo es nicht unbedingt erforderlich erscheint, eine Strafe zu verhängen, sieht das Gesetz vor, daß überhaupt keine Strafe verhängt wird. [3]

Das sind die Prinzipien, die den Bestimmungen des Strafgesetzes zugrunde liegen.

Die österreichische Strafprozeßordnung ist fast 90 Jahre alt und entspricht nicht unseren modernen Begriffen von Rechtsstaatlichkeit. Darum wurde eine Änderung seit längerer Zeit gefordert. Aber auch das neue Strafgesetz verlangt eine Änderung der Strafprozeßordnung entsprechend seinem neuen Strafensystem. Schließlich ist Österreich der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beigetreten und muß das Strafverfahren den in der Konvention festgelegten Prinzipien angleichen. Broda sagt:

Daß die Forderung nach der Reform des Strafverfahrensrechtes in der zweiten Republik von neuem so nachdrücklich erhoben wurde, hat seine guten Gründe. Unsere Generation ist nach den Erfahrungen mit den autoritären Systemen und Diktaturen hellhörig geworden, wenn es um die Rechtssicherheit im Staat geht. Wo die Diktatur zur Macht kommt, muß sie zwangsläufig erst mit dem rechtsstaatlich geordneten Strafverfahren aufräumen. Es ist daher kein Wunder, daß sowohl die nationalsozialistische wie die kommunistische Diktatur ein rechtsstaatlich geordnetes Verfahren in unserem Sinne nicht kannte, bzw. nicht kennt ... Ohne Rechtssicherheit gibt es keine menschliche Freiheit in der Gesellschaft. [4]

Die Forderung nach Waffengleichheit von Angeklagtem und öffentlichem Ankläger in jeder Phase des Strafverfahrens liegt der Reform zugrunde. Es wird daher dem Verteidiger eine viel stärkere Stellung als bisher im Vorverfahren eingeräumt. Die Untersuchungshaft darf nur mehr bei dringendem Verdacht verhängt werden. Es bleiben als Haftgründe nur mehr Flucht- und Verdunklungsgefahr bestehen. Dem Grundsatz der Konvention: „Bis zum gesetzlichen Nachweis einer Schuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist“, wird in allen Details Rechnung getragen.

So unwahrscheinlich es klingen mag, bis heute entbehrt der Strafvollzug in Österreich einer einheitlichen, gesetzlichen Regelung. Es gibt nur vereinzelte Bestimmungen, Hausordnungen der Gefangenenhäuser und Strafanstalten, sonst nichts. Diesen ungesetzlichen Zustand hat der Verfassungsgerichtshof anläßlich von Beschwerden Gefangener wiederholt festgestellt. Es bedurfte der Dynamik Brodas, um endlich ein Strafvollzugsgesetz zu schaffen. Der Entwurf ist fertig und die Stellungnahmen sind eingeholt. Das Gesetz könnte daher in Bälde dem Parlament vorgelegt werden.

Broda hat darauf hingewiesen, für wie viele Menschen der Strafvollzug von Bedeutung ist. Der Durchschnittsbelag der Justizanstalten betrug 1963 8854 Personen, rund 20.000 Menschen gehen jährlich durch die österreichischen Strafvollzugsanstalten. Der Aufenthalt in den Strafanstalten und seine Durchführung ist aber nicht nur für den Strafgefangenen selbst, sondern auch für seine Familienangehörigen und darüber hinaus auch für die Gesellschaft von größter Bedeutung. Es ist nicht gleichgültig, ob der Rechtsbrecher an die Erfordernisse der Gesellschaft angepaßt aus der Haft kommt oder ob er durch die Haft noch tiefer abgeglitten ist.

Was die Vollzugsziele betrifft, setzt sich das Strafvollzugsgesetz die Aufgabe:

Die Freiheitsstrafe so zu vollziehen, daß sie dem Gefangenen den Unwert seines, der Verurteilung zugrundeliegenden Verhaltens vor Augen hält ... und ohne erniedrigende Behandlung und unzumutbare Eingriffe in die Persönlichkeit geeignet ist, ihn nach der Entlassung zu einer, den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebensführung zu bestimmen. [5]

Das Gesetz sieht eine Differenzierung der Strafanstalten vor: eine eigene Anstalt für jugendliche Rechtsbrecher, Anstalten bzw. Abteilungen für Erstbestrafte, eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, Entwöhnungsanstalten und eine Anstalt zur Vollziehung der Sicherheitsverwahrung für besonders gefährliche Verbrecher. Für Personen, die eine längere Freiheitsstrafe zu verbüßen haben, ist ein Klassifikationszentrum zu errichten, wo ein Vollzugsplan entsprechend ihrer Persönlichkeit für die Zeit der Strafhaft aufzustellen ist.

Von nun an soll eine gesetzliche Arbeitspflicht für Gefangene bestehen, der aber ein Anspruch auf angemessene Entlohnung für geleistete Arbeit entsprechen soll. Aus dem Arbeitsverdienst des Gefangenen sind die Kosten für den Unterhalt und die Bewachung sowie die Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen. Der Überschuß bleibt dem Gefangenen für die Zeit der Haftentlassung. Damit entfällt die Verpflichtung zum Rückersatz der Haftkosten durch den entlassenen Sträfling.

Broda ist es nicht mehr gelungen, dieses umfassende Gesetzesvorhaben — das größte des 20. Jahrhunderts — dem Parlament vorzulegen. Doch hat er einige wichtige Gesetze auf dem Gebiete des Strafrechtes durchgebracht. Das bedeutendste ist das Jugendgerichtsgesetz 1961. Zum erstenmal ist die moderne Bewährungshilfe in einem österreichischen Strafgesetz verankert. Diese Einrichtung — dies sei wieder für Nichtfachleute gesagt — stammt aus dem angelsächsischen Rechtskreis und ist unter dem englischen Wort „Probation“ bekannt. Der Bewährungshelfer (Probation Officer) hat die Aufgabe, vom Jugendgericht bedingt Verurteilte oder bedingt aus der Strafhaft oder aus Bundesanstalten für Erziehungsbedürftige Entlassene zu betreuen. Übrigens dehnt der Strafgesetzentwurf die Anwendung der Bewährungshilfe auch auf Erwachsene aus.

Das Jugendgerichtsgesetz gestattet dem Richter, die bedingte Verurteilung in viel größerem Ausmaß als bisher anzuwenden und an Stelle unbedingter Haftstrafen Jugendliche in eine Erziehungsanstalt einzuweisen oder unter Bewährungshilfe zu stellen. Der Haftkostenersatz ist bei Jugendlichen abgeschafft. Nur wer in der praktischen Arbeit mit jugendlichen Kriminellen steht, kann ermessen, welche Bedeutung die Abschaffung des Haftkostenersatzes und die Betreuung durch die Bewährungshilfe für die Resozialisierung hat.

Wir wissen längst, daß niemand durch die Haftstrafe aus einem Saulus in einen Paulus verwandelt wird, sondern daß der Strafentlassene bestenfalls mit guten Vorsätzen, aber labil aus der Haft kommt. Jede zusätzliche Belastung kann ihn aus der Bahn werfen. Die Einziehung der Haftkosten ist eine solch zusätzliche materielle, aber auch seelische Belastung, die die schwachen Ansätze der Resozialisierung oft zunichte macht. Die Pfändung durch die Einziehungsstelle des Landesgerichtes und die damit zwangsläufig verbundene Kenntnis des Dienstgebers von der verbüßten Strafe haben manchen aus der Strafhaft Entlassenen davon abgehalten, überhaupt eine geregelte Arbeit anzunehmen und ihn wieder in die Kriminalität getrieben.

Wir verdanken es ausschließlich dem persönlichen Einsatz Brodas, daß es gelungen ist, die Organisation der Bewährungshilfe in den letzten Jahren aufzubauen und sogar dem internationalen Standard entsprechend zu entwickeln. Die ersten Erfolgsstatistiken zeigen, daß die Bewährungshilfe vielen jungen Menschen das Gefängnis erspart hat. Obwohl seit dem neuen Jugendgerichtsgesetz die Zahl der unbedingten Freiheitsstrafen um ein Drittel gesunken ist — also weit mehr bedingte Verurteilungen ausgesprochen wurden als vorher —, ist die Jugendkriminalität in den letzten Jahren zurückgegangen. Diese Tatsache zeigt klar, daß der unter Brodas Verantwortung eingeschlagene Weg richtig ist.

Trotz mangelnder gesetzlicher Voraussetzungen sind wesentliche Grundlagen für die Modernisierung des Strafvollzugs geschaffen worden. In engstem Zusammenwirken mit dem Leiter der psychiatrischen Klinik der Universität Wien, Prof. Hans Hoff, und seinen Mitarbeitern wurden zwei moderne Anstalten errichtet. Die eine Anstalt in Oberfucha bei Stein ist für die aussichtsreichsten Fälle, nämlich für die Erstbestraften bestimmt. Die andere hingegen wurde als Sonderanstalt für Schwerstkriminelle errichtet, d.h. für solche Häftlinge, die im normalen Betrieb der Strafanstalt die größten Schwierigkeiten bereiten. Beide Anstalten sind ein voller Erfolg.

In Oberfucha leben die Häftlinge in einem einfachen Gebäude, das sich von den üblichen Gefängnisbauten wohltuend unterscheidet. An der Einrichtung haben die Häftlinge selbst mitgearbeitet und arbeiten daran noch immer. Die Häftlinge sind wohl den normalen Gefängnisvorschriften unterworfen, werden aber individuell behandelt und manche von ihnen psychiatrisch betreut. Eine Entweichung ist, da keine Gefängnismauern bestehen, ohne weiteres möglich. Trotzdem gibt es kaum Fluchtversuche und wenige der aus Oberfucha Entlassenen sind rückfällig geworden.

Die zweite Anstalt, am Mittersteig in Wien gelegen — ein früheres Bezirksgericht —, wurde nach den modernen Prinzipien des Strafvollzuges adaptiert. Die Anstalt hat wegen ihrer Lage mitten in der Großstadt schwere Befürchtungen ausgelöst. Dank dem intensiven Einsatz des dort arbeitenden Psychiaters und des gesamten Personals sind auch hier echte Erfolge zu verzeichnen.

Ich habe selbst im Sommer als Teilnehmer einer UNO-Tagung für Verbrechensverhütung in Stockholm schwedische Anstalten besucht, die in der Welt als vorbildlich für den modernen Strafvollzug gelten. Die österreichischen Anstalten sind mit unvergleichlich weniger Aufwand an Geldmitteln errichtet worden und verfügen über bedeutend weniger und nicht so geschultes Personal wie Schweden, trotzdem scheint mir die Atmosphäre um einige Grade wärmer zu sein als in den so wissenschaftlich geführten schwedischen Anstalten. Die Erfolge sind in Österreich nicht geringer als in Schweden.

Neben der Strafrechtsreform hat sich Broda von Anfang an mit der Reform des Familienrechtes befaßt. Da eine Gesamtreform des Familienrechts bei den politischen Verhältnissen in Österreich keine Aussicht auf Erfolg hätte, ließ Broda einzelne Gesetze, die Teilgebiete des Familienrechts betreffen, ausarbeiten und legte sie dem Nationalrat vor.

Das Gesetz „über die Neuordnung des gesetzlichen Erbrechtes der Ehegatten und des gesetzlichen ehelichen Güterstandes“ beseitigt die wirtschaftliche Benachteiligung der Frau in der Ehe und billigt ihr die Hälfte des in der Ehe erworbenen Vermögens im Falle der Auflösung der Ehe zu Lebzeiten zu. Das gesetzliche Erbrecht der Ehegatten wird erhöht und dem überlebenden Ehegatten, so wie in den meisten ausländischen Rechten, ein Pflichtteilanspruch gewährt.

Der zweite Gesetzentwurf „über die Rechtsstellung des unehelichen Kindes“ bringt eine Verbesserung der rechtlichen Stellung des unehelichen Kindes und seiner Mutter. Da die unehelichen Kinder in Österreich längst nicht mehr diffamiert sind — 80% von ihnen werden freiwillig von ihren Vätern anerkannt und 78% leben bei ihren Müttern — wäre ihre gesetzliche Gleichstellung mit den ehelichen Kindern nichts als eine Anerkennung der sozialen Gegebenheiten.

Beide Gesetze fanden nach längeren Verhandlungen die Zustimmung des Ministerrates und wurden von Broda im Nationalrat eingebracht. Sie ruht bis zur Auflösung des Nationalrates im Schoß des Justizausschusses. Die Abgeordneten der Österreichischen Volkspartei haben im Ausschuß ihre Gesetzwerdung bis heute hintangehalten.

Seit der Ministerschaft von Franz Klein, dem großen Gelehrten und Schöpfer der Zivilprozeßordnung vor über 60 Jahren, ist nie mehr ein so großes Vorhaben, wie es die Strafrechtsreform darstellt, in Angriff genommen und vollendet worden. Das ist das Verdienst des Justizministers Dr. Christian Broda. Der neue Justizminister, dem der Ruf großer Klugheit vorangeht, kann seine Aufgabe am besten erfüllen, wenn er das unter Broda vollendete Werk den gesetzgebenden Körperschaften vorlegt. Ob der Nationalrat in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung bereit und fähig ist, die moderne Strafrechtsreform zu akzeptieren, ist wohl mehr als fraglich.

Eine gezielte Verleumdungskampagne in diesem so unfair geführten Wahlkampf hat versucht, Brodas Ruf als integrer, einer großen Aufgabe mit Hingebung dienender Mensch und Sozialist zu schädigen. Hier soll nicht über die großen politischen Verdienste und auch Fehler Brodas gesprochen werden. In einer etwas ruhigeren Atmosphäre als jetzt und wenn wir alle mehr Abstand gewonnen haben, wird darüber besser geschrieben und gesprochen werden können; daß Broda eine große Leistung als Justizminister vollbracht hat, steht heute schon fest.

[1Ralf Dahrendorf, Demokratie und Gesellschaft in Deutschland, München 1965, S. 394.

[2Christian Broda, Die österreichische Strafrechtsreform, Wien 1965, S. 16ff.

[3A.a.O., S. 18.

[4A.a.O., S. 23f.

[5A.a.O., S. 48.

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