FORVM, No. 344-346
Oktober
1982

Zukunft für Israel!

Freimut Duve, Mitglied des Bundestages

Es war im Februar 1960 in einem Café in Kairo. Einige ägyptische junge Leute versuchen, mir klarzumachen, daß die Israelis Hunde seien und Ben Gurion kein Mensch, sondern eine ekelhafte Mischung aus Schakal und Aasgeier. Ich werfe ihnen vor, gegen alle Konflikterfahrungen zu verstoßen: wer seinen Gegner nicht als Mensch akzeptiere, könne sich auch nicht in dessen Gedanken eindenken. Ob ich meine, Ben Gurion sei ein Mensch? Natürlich, sage ich, noch dazu ein sehr intelligenter. Sofort saß mir einer der jungen Nasseristen an der Gurgel. Er würgte mich, bis ich mich losmachen konnte.

Das war gewiß keine ungewöhnliche Erfahrung: Israelis galten den Ägyptern vor mehr als zwanzig Jahren nicht als menschenähnliche Wesen, mit denen zu reden lohne.

Und zu eben diesen Ägyptern hatte Jahre später Sadat Begin, den Ex-Terroristen, eingeladen. Zwischen eben diesen Ägyptern und der inzwischen nach rechts gedrückten israelischen Regierung gab es Verhandlungen, Vertrauen, bis zur Rückgabe des Sinai. Trotz unzähliger Provokationen durch die Israelis haben die Ägypter am Geist und am Buchstaben der Vereinbarung von Camp David festgehalten.

Die Ägypter werden die Israelis noch nicht lieben, aber sie haben gelernt, sie als Menschen wahrzunehmen.

Was den Ägyptern vor zwanzig Jahren die Israelis, das sind den Israelis bis heute die Palästinenser: Sie nehmen ihre soziale und menschliche Existenz am liebsten gar nicht wahr. Verdrängte im Doppelsinne des Wortes. Sie führen mit ihnen Krieg, sie sind vom Palästinenser-Problem Tag um Tag umstellt, aber die Vorstellung, auch mit Leuten von der PLO, also mit denen zu reden, die sich politisch als Palästinenser begreifen, ist ihnen fremd.

Es hat Gespräche in Genf und anderswo auch zwischen Palästinensern und Israelis gegeben. An Dutzenden von europäischen Universitäten treffen sich in regelmäßigen Abständen israelische und PLO-Studenten zu oft schmerzlichen Gesprächen.

Im Lande selbst versuchen Gruppen, wie etwa die um die Zeitschrift NEW OUTLOOK, den „Dialog mit den Arabern“. Aber jetzt, nach den Toten vom Libanon, ist ein großer mutiger Schritt notwendig. Auch ein solcher, der vordergründig gegen die Emotionen der Mehrheit der Israelis gerichtet ist:

Simon Perez, der Führer der Arbeiterpartei, muß Yassir Arafat treffen — in Jerusalem oder anderswo. Ja, jetzt wäre es an der Zeit: Die israelische Arbeiterpartei öffnet sich zu Gesprächen mit den Palästinensern. Wenn der Papst mit Arafat spricht, wäre es für Simon Perez eine vaterländische Pflicht, ebenfalls mit diesem Mann zu sprechen. In Israel wächst die (bisher kleine) Zahl der Empörten. Die Demonstranten gegen den Kriegsstaat Begins und den Kriegsherrn Scharon treten besorgter und entschlossener auf.

Die amerikanische Regierung reicht mit dem Reagan-Plan einen Strohhalm, die arabischen Staaten sprechen von der Existenz Israels, Arafat will den israelisch-palästinensischen Dialog, die sozialistische Internationale könnte ihn fördern.

Das könnte die Stunde des Simon Perez sein. Er könnte dem Kriegsstaat Israel eine Friedensperspektive eröffnen, er könnte den gordischen Knoten aus Haß und Mißtrauen durchhauen und Yassir Arafat irgendwo in der Welt treffen — oder gar nach Jerusalem einladen.

In den Köpfen vieler Israelis scheint eine Militärmaschine zu ticken. Die Angst vor dem Untergang lähmt das Denken, so daß mit jedem Krieg der Untergang näher rückt und die Angst größer wird. In Wahrheit wollen auch die Israelis in Frieden leben und die Angst überwinden, von „Vernichtung“ bedroht zu sein. Dafür ist ein Klimaumschwung nötig, der sich gegen die Tagesemotionen wendet. Die große Gewerkschaftsbewegung und die Partei des Simon Perez könnten eine Perspektive eröffnen, dem Arafat die Hand reichen, ohne Vorplanung und Vorbedingung mit ihm und der Führung der PLO reden. Bruno Kreiskys Bemühen all die vergangenen Jahre ernst nehmen und anerkennen: Eine klare Trennlinie ziehen zu Begin und Scharon, mit der aller Welt und allen Israelis deutlich wird: Perez will reden, wo Scharon anscheinend bis ans Ende aller Tage glaubt, schießen und vernichten zu müssen.

Ich habe Simon Perez einmal besucht in Tel Aviv. Ich weiß, daß alle, die ihn kennen, nur lachen über meinen Vorschlag. Der Perez ist doch ebenso halsstarrig wie Begin! Aber trotz allem: Wenn jetzt israelische Politiker nicht anfangen, dem Kriegswagen Begins in die Speichen zu greifen, dann gibt es keine Zukunft für Israel. Der Kriegsstaat kann nicht überleben.

Beirut sollte das Ende des Schießens, Fes der Anfang des Redens sein.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)