MOZ, Nummer 43
Juli
1989

Zur Dialektik der Freiheit

Selbstverständlich gibt es keine Grenze der Freiheit des Wortes — das, zumindest, ist man geneigt, in Österreich zu sagen. Und das ist, zunächst einmal, gut. Denn es ist zweifellos besser, ein Recht wie das der Freiheit des Wortes möglichst uneingeschränkt einzufordern, als gleichsam im vorauseilenden Gehorsam darauf zu verzichten.

Aber ebenso selbstverständlich ist es, bei längerem Nachdenken, daß die Freiheit des Wortes nicht ohne Grenzen möglich ist. Denn das Wort kann in die Rechte anderer eingreifen. Zur Verdeutlichung:

Worte können den Ruf eines Menschen zerstören; Worte können auch das Leben anderer bedrohen. Daher braucht es im Rechtsstaat einen wirkungsvollen Schutz der Persönlichkeit auch gegenüber dem Wort.

Oder sollte jemand meinen, daß man — mit Berufung auf die Freiheit des Wortes — öffentlich zum Mord aufrufen darf?

Soweit, so klar. Schwieriger wird es, wenn es um die umstrittenen Grenzen geht. Denn: Wer bestimmt, welche Persönlichkeitsrechte wie gegenüber dem Wort geschützt werden dürfen? Das ist z. B. der Schutz von Religionsgemeinschaften gegenüber Worten. Ist es den Religionsgemeinschaften allein zuzugestehen, daß sie bestimmen, bis wohin die Freiheit des Wortes geht? Angesichts des gewaltigen historischen Ballastes (Zensur, Inquisition etc.) ist dies wohl zu verneinen. Dennoch: Auch religiöse Gefühle sind grundsätzlich schützenswert.

Die Lösung dieses Problems kann nur durch den Hinweis auf die Relativität und Wandelbarkeit der Grenzen gefunden werden. Was gestern schützenswert war, muß es nicht heute sein; und was gestern noch nicht in den Persönlichkeitsschutz einzubeziehen war, das kann heute schon gegenüber der „Freiheit des Wortes“ Schutz beanspruchen dürfen.

In Österreich gibt es besondere Beispiele für die Beschränkung der Freiheit des Wortes. Durch verschiedene Verbote, teilweise auch im Verfassungsrang, gilt die Freiheit des Wortes sicherlich nicht für diejenigen, die dieses Wort zugunsten nationalsozialistischer Ziele einsetzen. Gleichgültig, ob man die entsprechenden Verbote für sinnvoll hält oder nicht — weitgehend ist unbestritten, daß die Freiheit des Wortes nicht von denen erfolgreich beansprucht werden darf, die ausdrücklich und uneingeschränkt eben diese Freiheit nicht wollen. Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit.

In unserer Gesellschaft gibt es noch ein weiteres, eindrucksvolles Beispiel für den Wandel des Freiheitsbegriffes. Jahre, Jahrzehnte hindurch wurde das Verbot der Pornographie langsam aufgelockert, wurde das, was als Pornographie gelten kann, immer enger definiert. Seit einigen Jahren scheint sich dieser Trend umzudrehen — nun fordern auch und vor allem Feministinnen die Einschränkung der Freiheit der Pornographie, und zwar mit Berufung auf die Menschenwürde der Frauen.

Die Freiheit des Wortes stößt immer und immer wieder an Rechtsansprüche, die eben diese Freiheit beschränken sollen. Ist aus dieser Konfrontation zwischen verschiedenen Ansprüchen die völlige Beliebigkeit der Begrenzung von Freiheit abzuleiten?

Eine solche Beliebigkeit mag zwar, wenn man historisch die Entwicklung der Konkretisierung von Freiheit betrachtet, naheliegen. Doch sie ist zumindest nicht wünschenswert. Denn letztlich kann das Aufeinanderprallen der verschiedenen Ansprüche auf einen Nenner gebracht werden: Die Freiheit, auch und gerade die Freiheit des Wortes, findet ihre Grenze in der Freiheit anderer. Es gibt daher eigentlich keinen höheren Wert, der Freiheit einschränkt Freiheit wird nur durch Freiheit überzeugend begrenzt werden können.

Und damit ist, in substanzieller Ergänzung der Freiheit, eben die Gleichheit angesprochen. Es geht um die möglichst gerechte, d.h. um die möglichst gleiche Verteilung von konkret wahrzunehmenden Freiheiten. Freiheit in Gleichheit das ist die Formel, auf die, allgemein, alle Probleme zugespitzt werden können. Die beschränkbare Freiheit des nationalsozialistischen Propagandisten findet ihre Grenze eben in der Freiheit der Demokraten und damit der Demokratie; die ebenfalls grundsätzlich begrenzbare Freiheit der Pornographie ist durch die Freiheit von Menschen eingeschränkt, die ihre Würde nicht einbüßen wollen.

Freiheit kann und muß begrenzt sein — aber die Eingriffe in die Freiheit müssen glaubwürdig und nachweisbar mit der Freiheit begründet werden. Die Freiheit des einen ist solange unbeschränkt, solange sie nicht in die Freiheit des anderen Menschen eingreift.

Anton Pelinka ist Professor am Institut für Politikwissenschaften der Uni Innsbruck.
Bild: Votava
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