FORVM, No. 176-177
August
1968

Barbarisches Strafrecht

Kritik am Entwurf 1968

Vorgeschichte

Das geltende österreichische Strafgesetz wurde im Jahre 1852 als eine Neuausgabe des Strafgesetzbuches vom Jahre 1805 kundgemacht, das seinerseits im Josephinischen Strafgesetzbuch wurzelt. Der erste Auftrag zur Reform des Strafgesetzes erging mit einer kaiserlichen Entschließung aus dem Jahre 1861. Der Entwurf wurde im Jahre 1867 im Abgeordnetenhaus eingebracht, jedoch infolge der politischen Entwicklung nicht weiterbehandelt

Der nächste Entwurf nahm das deutsche Strafgesetzbuch vom Jahre 1871 zum Vorbild und wurde 1874 dem Reichsrat vorgelegt, in der Folge wiederholt abgewandelt, neu eingebracht und schließlich unter dem Eindruck der Lehren Franz von Liszts im Jahre 1895 zurückgezogen. Der dritte Reformversuch, bereits auf dem Gedanken der Zweispurigkert von Strafen und vorbeugenden Maßnahmen fußend, begann 1902 und endete mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges.

Nach diesem Krieg wurde im Interesse der Rechtsvereinheitlichung mit Deutschland ein gemeinsamer deutsch-österreichscher Entwurf ausgearbeitet, der im Jahre 1927 dem Nationalrat vorgelegt wurde, nicht zuletzt jedoch am Widerstand der Sozialdemokratischen Partei gegen seine Bestimmungen über die uneingeschränkte Bestrafung der Leibesfruchtabtreibung scheiterte. Schließlich setzte die politische Lage knapp vor und insbesondere nach dem Jahre 1933 auch diesem vierten Reformversuch ein Ende.

Im Jahre 1954 wurde auf Grund einer Enschließung des Nationalrates der fünfte Reformversuch unternommen. Es wurde eine Strafrechtskommission gebildet, die aus etwa 20 Mitgliedern bestand. Unter ihnen Universitätsprofessoren, Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und der Generalprokuratur, leitende Beamte des Ministeriums, Vertreter der Rechtsanwaltskammern und der im Nationalrat vertretenen politischen Parteien. Von den beteiligten Professoren möchte ich Kadecka, Riıstler und Nowakowski nennen. Unter den Praktikern hatte auch ich die Ehre, der Kommission anzugehören.

Die Strafrechtskommission arbeitete acht Jahre lang und gab im Jahre 1962 einen Entwurf heraus, der die Grundlage für den Ministerial-E. 1964 bildete.

Der Kommissions-E. war ein Kompromiß zwischen den weltanschaulich verschieden orientierten Kommissionsmitglıedern; fast alle Beschlüsse wurden mit großer Mehrheit gefaßt.

Schon der frühere Justizminister Dr. Christian Broda hat in seinem E. 1964, den er nach Überarbeitung des Kommissions-E. zur Stellungnahme an die Justizbehörden und sonstige interessierte Stellen sandte, und noch mehr in seinem E. 1966, der wenige Tage vor dem Regierungswechsel im Frühjahr 1966 (Ablöse der Koalitionsregierung durch eine konservative Einparteienregierung) fertiggestellt wurde, einen Teil der fortschrittlichen Lösungen des Kommissions-E. fallengelassen.

So wurde beispielsweise die Grenze zwischen Gefängnis- und Kerkerstrafe von fünf auf drei Jahre herabgesetzt, die bedingte Strafnachsicht eingeengt, eine Reihe von Strafsätzen des Besonderen Teiles erhöht und die von der Strafrechtskommission beschlossene besondere Behandlung des Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren ausgeschieden; vor allem hat aber der Sozialist und unermüdliche Kämpfer für den Fortschritt, Broda, die von der Kommission erarbeiteten Ergebnisse auf dem Gebiete der Leibesfruchtabtreibung preisgegeben und es beim geltenden Gesetz, das allein die medizinische Indikation anerkennt, belassen.

Er meinte wohl, hierdurch konservative Kreise, die eine in ihrer Unsachlichkeit bisher noch nie dagewesene Hetzkampagne gegen ihn entfacht hatten und in völliger Sachunkenntnis den — alles andere als revolutionären, auf den Kommissionsbeschlüssen beruhenden — E. 1964 u.a. als kommunistisch und als volksfeindlich (weil die Bestimmungen gegen Tierquälerei relativ strenger waren als die gegen die Überanstrengung jugendlicher Personen) bezeichneten, zu besänftigen und sie wenigstens dazu zu bringen, der Straflosigkeit der einfachen Homosexualität unter Erwachsenen zuzustimmen.

Nun, die Rechnung ging nicht auf, und der E. 1966 hatte das Schicksal, zum Schrittmacher des E. 1968 zu werden. Denn die Konservativen haben zwar auf dem E. 1966 aufgebaut, aber ihrerseits nicht nachgegeben. Sie haben nicht nur in den erwähnten, sondern in vielen anderen Punkten den Kommissions-E. in ihrem Sinne umgewandelt, worüber ich noch im folgenden berichten werde.

Der Kompromißversuch Brodas wurde also abgelehnt. Als seinerzeitiger Mitarbeiter an den Kommissionsbeschlüssen kann ich dies eigentlich nur begrüßen. Ich hielt und halte auch heute noch eine Annäherung der divergierenden Standpunkte durch Fachgespräche für möglich, doch eignen sich Angelegenheiten der Weltanschauung und des Rechtes nicht zu Tauschobjekten. Der E. 1966 ist jedenfalls tot, die Entwicklung wird zeigen, was letzten Endes an seine Stelle kommen wird.

Unkonziliant statt konziliar

Nun zur Vorlage der Bundesregierung. Der Herr Bundesminister für Justiz, Univ.-Prof. Dr. Hans Klecatsky, hat selbst gesagt, daß die Neuerungen dieses E. gegenüber dem E. 1966 das Produkt seiner Besprechungen mit den Vertretern der katholischen Bischofskonferenz sind. Auch wenn er dies nicht gesagt hätte, wäre die Patenschaft zwar nicht der katholischen postkonziliaren Kirche, sondern eher unkonzilianter und einseitig konservativ orientierter Kreise unverkennbar. Jedenfalls wurde mit diesen Neuerungen das Prinzip der Strafrechtskommission, ein weltanschaulich neutrales Recht, das für die pluralistische Gesellschaft geeignet ist, zu schaffen, verlassen.

Es beginnt schon bei der Einteilung der strafbaren Handlungen. Nunmehr sollen alle mit einer mehr als dreijährigen Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten, d.s. zahlreiche Delikte mittlerer und kleinerer Kriminalität, z.B. unter Umständen Widerstand gegen ein Staatsorgan, zu den Verbrechen zählen. Ich weiß nicht, welches kriminalpolitische Ziel man damit verfolgt, daß man eine möglichst hohe Zahl straffällig gewordener Personen zu Verbrechern stempelt.

Aber nicht genug mit der Dreijahresgrenze. Auch die unter diese Grenze fallenden Straftaten, wie die Abtreibung der Leibesfrucht, die Blutschande und die Gotteslästerung sollen zu Verbrechen gestempelt werden. Diese Delikte sind ja immer schon die Zielscheibe von Glaubensfanatikern gewesen und wurden mit Feuer und Schwert bekämpft; als kleines Restquentchen gesellschaftlicher Achtung soll nun wenigstens die Bezeichnung als Verbrechen bleiben. Dies Anno 1968.

Auf derselben Linie liegt es, wenn der E. 1968 die bedingte Strafnachsicht bei Notzucht, auch wenn es nur beim Versuch geblieben ist, und auch beim Gehilfen ausschließt, während etwa bei gleichschwer bedrohten Delikten der Hochkriminalität, wie Totschlag, Raub, Brandlegung und Geldfälschung, die bedingte Verurteilung, wenn die Strafe ein Jahr nicht übersteigt, nicht ausgeschlossen ist. Man muß sich fragen, ob es sachlich vertretbar ist, Gleiches so ungleich zu behandeln. Im übrigen ist es wohl allgemein anerkannt, daß bei der Notzucht bzw. versuchter Notzucht sehr leicht Grenzfälle verminderter Schuld denkbar sind. Ob dies im einzelnen Fall zutrifft und ausnahmsweise eine bedingte Verurteilung rechtfertigt, kann füglich dem Richter überlassen werden.

Auch der Besondere Teil des E. 1968 gibt ein lehrreiches Bild dafür, wie eine weltanschaulich einseitig eingestellte Gruppe der pluralistischen Gesellschaft ihre gesellschaftliche und politische Ethik aufzudrängen versucht. Zunächst zu den Religionsdelikten.

Die Bestimmung gegen Gotteslästerung schützt nicht wie das geltende Recht „Gott“ an sich, da dieser Begriff für viele inhaltsleer wäre, sondern nur die Gottesvorstellung gesetzlich anerkannter Kirchen oder Religionsgesellschaften, wenn das Verhalten geeignet ist, das religiöse Gefühl der Angehörigen dieses Bekenntnisses zu verletzen. Ob die Einschränkung auf die Gottesvorstellung bzw. das religiöse Gefühl der Angehörigen einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, erscheint mir im Hinblick auf Art. 7 der Bundesverfassung, wonach Vorrechte des Bekenntnisses ausgeschlossen sind, zweifelhaft. Soweit es um die Konstituierung von Religionsgesellschaften oder überhaupt um Fragen organisatorischer Natur geht, scheint mir eine Differenzierung zwischen den Religionsgesellschaften je nach ihrer Größenordnung vertretbar. Der Schutz des Bekenntnisses hat aber mit der Anzahl seiner Anhänger oder mit ihrer Organisation nichts zu tun; dieses Schutzes muß vielmehr nach dem Gleichheitsgrundsatz jedermann, was immer sein persönliches Bekenntnis ist, gleichermaßen teilhaftig werden.

Im übrigen bekennt man sich nicht nur zu einer Religion, sondern auch zu einer Weltanschauung (vgl. auch Art. 14 StGG, in dem die Gewissensfreiheit der Glaubensfreiheit gleichgestellt wurde), und ich bin daher der Meinung, daß durch die monopolistische Regelung der genannten Bestimmung durch den E. 1968 Hunderttausende Österreicher, deren Weltbild von jenem gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften abweicht, zurückgesetzt werden. Dem einen ist sein Weltbild nicht minder ernst oder „heilig“ als dem anderen.

Es ist also gleicher Schutz für jedes religiöse oder weltanschauliche Bekenntnis zu fordern, so wie es etwa die Strafrechtskommission der evangelischen Studiengesellschaft zur Behandlung der sogenannten Religionsdelikte bei der Strafrechtsreform in Deutschland vorgeschlagen hat, und Wegfall einer eigenen Bestimmung gegen Gotteslästerung, um so mehr, als ja das Bekenntnis zu Gott ohnedies im Rahmen des zu schützenden Religionsbekenntnisses mitinbegriffen ist.

Auch die Bestimmung des E. 1968 über den Schutz von Gegenständen der Verehrung, einer Glaubenslehre, eines Brauches, einer Einrichtung ist auf gesetzlich anerkannte Kirchen oder Religionsgesellschaften eingeschränkt. Auch diese Bestimmung widerspricht nach dem Gesagten dem Gleichheitsgrundsatz.

Weitere Kostproben des E. 1968: Er enthält neben der Vorschrift gegen die Herabwürdigung religiöser Lehren, welche Vorschrift nach dem Gesagten, um der Verfassung gerecht zu werden, erweitert gehört, auch einen besonderen Ehrenschutz für gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften. Dergleichen hat es bei uns auch in stürmischen Zeiten, als die katholische Kirche noch mitten in der Politik gestanden ist, nicht gegeben.

Weiters, eine einfache Körperverletzung, begangen an einem Seelsorger (einer der monopolistischen Kirchen oder Religionsgesellschaften) bei der Vollziehung seiner Aufgaben, gilt als schwere Körperverletzung und wird als solche bestraft. Das gleiche Privileg genießen übrigens auch die Beamten, wie denn überhaupt der E. 1968 eine Reihe von Verschärfungen gegenüber den Vorentwürfen in der Zielrichtung Obrigkeitsstaat enthält.

Barbrisches Eherecht

Besonders antiquiert sind die Bestimmungen zum Schutze der ehelichen Rechte im E. 1968. Die Fragwürdigkeit der Bestimmung gegen Ehebruch ist bekannt. Mit Recht führt der deutsche StG-E. 1962 aus, daß es dem Wesen der Ehe nicht entspreche, die Bestrafung des Ehebruches während ihres Bestandes zuzulassen. Eine solche Regelung würde sich nicht eheerhaltend, sondern umgekehrt in den meisten Fällen ehezerstörend auswirken. In aller Regel würde der ungetreue Ehegatte seine eigene Bestrafung oder diejenige des beteiligten Dritten zum Anlaß nehmen, seine eheliche Bindung vollends zu lösen.

Das ist absolut richtig. Aber auch die deutsche Regelung, wonach es eine Bedingung der Verfolgung wegen Ehebruches ist, daß die Ehe aus diesem Grunde geschieden worden ist, ist nicht befriedigend: Denn einen ehemaligen Ehepartner oder den beteiligten Dritten nach Aufhebung der Ehe zu bestrafen, ist doch völlig sinnlos, ein bloßer Tritt der Vergeltung, der nachgereicht wird.

In Österreich hat man gleich doppelt genäht: Sowohl während des Bestandes wie auch nach Aufhebung der Ehe soll eine Verurteilung wegen Ehebruches möglich sein. Man erwartet sich daraus eine abschreckende Wirkung gegen Ehebruch. Um mit dem auch in Österreich geltenden Paragraph 55 EheG gleichzuziehen, hat die Strafrechtskommission die Klagebefugnis wegen Ehebruches versagt, wenn die eheliche Gemeinschaft seit drei Jahren aufgehoben war. Der E. 1968 hat diese Einschränkung wiederum aufgehoben. Mir sind Fälle bekannt, wo Frauen ihre Männer, die sie wahrscheinlich auf der Straße kaum mehr erkennen würden, weil sie von ihnen mehr als zehn Jahre getrennt leben, mit Ehebruchsklagen verfolgen, aber auch dieses „Recht“ muß Recht bleiben, nach der Meinung der Verfasser des E. 1968.

Nicht genug damit. Im geltenden österreichischen Strafgesetz gibt es noch eine patrimoniale Bestimmung über Fälle, die grundsätzlich der „häuslichen Zucht unterliegen“, für die aber die Hilfe der Behörde zur Abwendung der Unordnung angerufen werden kann. Darunter fallen u.a. tätige Verletzungen schuldiger Ehrerbietung der Kinder gegen die Eltern, der Dienstleute gegen die Dienstherren und Verletzung der ehelichen Treue.

Daraus hat schon die jüngere Judikatur des Obersten Gerichtshofes und nunmehr der E. 1968 entgegen dem Votum der Strafrechtskommission ein Pendant zum Ehebruch, nämlich die Ehestörung, ein Delikt, das auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat, geschaffen. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage heißt es allen Ernstes, daß als Ehestörung „nur“ eine Verhaltensweise strafbar sein soll, die „in einer zwischen den Beteiligten bestehenden Zuneigung wurzelt, somit eine erotische Grundlage hat und aus diesem Grunde gegen die Treuepflicht in geschlechtlicher Beziehung im weiteren Sinne verstößt“, die strafbare Ehestörung sei zwar „nicht bloß auf Intimitäten geschlechtlicher Natur einzuschränken“, doch seien geringfügige Verletzungen der ehelichen Treue, wie etwa „gelegentliche Besuche eines Kaffeehauses oder gelegentliche Spaziergänge“, noch nicht als kriminelles Unrecht zu werten.

Immerhin, welcher Fortschritt für Österreich gegenüber den Zeiten, da es auch hierfür noch den Pranger gab; denn Kaffeehäuser gibt es in Wien schon seit den Türkenkriegen, und Zuneigungen über die ehelichen Bande hinweg sind schon älteren Datums.

Ich darf in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß schon im Regierungs-E. des Jahres 1912, der das österreichische Herrenhaus passiert hat, nur Ehebruch strafbar war und auch dies nur unter der Voraussetzung, daß die eheliche Gemeinschaft nicht dauernd aufgehoben worden ist. So aufgeschlossen war man vor fast 60 Jahren im damaligen Österreich gegenüber den Realitäten des Lebens.

Dabei ist es bekannt, daß Klagen wegen Ehestörung hauptsächlich als Grundlage für erpresserische Alimentationsforderungen dienen. Trotzdem will der E. 1968 diese Bestimmung belassen. Es ist aber weder ein Rechtsschutzinteresse hierfür gegeben, noch läßt sich die Aufrechterhaltung dieser Bestimmung mit moralischen Argumenten verteidigen. Im Gegenteil. Während nämlich Ehebruch nach dem EheG einen Scheidungsgrund abgibt und die vorgeschlagene Strafbestimmung gegen Ehebruch somit dem Schutze des Bestandes der Ehe dient, entsprechen Ehestörungshandlungen, in dem weiten Umfang, wie sie der E. 1968 pönalisiert, nicht einmal dem Begriff der schweren Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG.

Eheliche Treue im weitesten Sinn gehört nach dem bürgerlichen Recht (§ 90 ABGB) zu den gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten der Ehegatten, sie dient dem guten Funktionieren der Ehe. Privatrechtliche Zwangsmaßnahmen zur Einhaltung solcher Verbindlichkeiten wurden als Eingriff in die persönliche Freiheitssphäre seit eh und je von den Zivilgerichten abgelehnt. Um so weniger wäre es berechtigt, zu deren Sicherung eine Strafbestimmung aufzustellen; es wäre dies ebenso unzeitgemäß wie etwa eine strafrechtliche Sanktion für die Unterlassung der anderen im Paragraph 90 ABGB aufgestellten Verbindlichkeiten, nämlich der Verbindlichkeit zur anständigen Begegnung und zur ehelichen Pflicht.

Irrational sind auch die neuen Bestimmungen gegen die unechte Notzucht. Nach geltendem Recht fällt die Schutzaltersgrenze mit der Mündigkeitsgrenze zusammen und beträgt 14 Jahre. Dies entspricht dem Grade der körperlichen und geistigen Reife in unserer Gegend und war seit eh und je nicht anders. Auch die strafrechtliche Verantwortung beginnt mit 14 Jahren. Nunmehr soll mit der Begründung, daß die geistig-sittliche Entwicklung der österreichischen Jugend zurückbleibe, während die körperliche Entwicklung sich beschleunige, die Altersgrenze für Beischlaf bei Personen beiderlei Geschlechtes auf 15 Jahre erhöht werden. Den Schritt, auch die strafrechtliche Verantwortung gleichzeitig hinaufzusetzen, ist der E. 1968 allerdings nicht gegangen. Wenn zwei noch nicht Fünfzehnjährige miteinander künftig geschlechtlich verkehren werden, wird daher ein jeder von ihnen als Notzüchtler seines Geschlechtspartners strafrechtlich verantwortlich sein.

Barbarisches Sexualrecht

Hingegen soll es nach dem E. für unzüchtige Handlungen in anderer Weise als Beischlaf beim bisherigen Schutzalter von 14 Jahren bleiben, da, wie der E. einräumt, eine andere Regelung im Hinblick auf den entwickelten Geschlechtstrieb in diesen Jahren zu weit führen würde. Das gleiche Argument müßte aber auch für den Beischlaf gelten. Aufklärend und regulierend sollen auf diesem Gebiete Eltern und Schule wirken; ein Eingreifen des Strafrichters würde aber m.E. geschehenes Unglück nur noch vergrößern.

Im übrigen ist die Regelung des E. 1968, wonach Österreichs Jugendliche künftig ein Jahr lang bloß die Vorstufen der Sexualität genießen dürfen, auch vom Standpunkt der Moral aus gewiß nicht gerade glücklich zu nennen. Was hierzu die Jugendpsychiater sagen werden, bleibt abzuwarten.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Ein Strafgesetz sollte sich der Lebensform der Gesellschaft anpassen und nur gesellschaftsfeindliche Handlungen unter Strafe stellen, nicht aber gleich einem Sittenkodex den Menschen eine bestimmte Lebensform aufzwingen. Ein Strafgesetz, das, wie seinerzeit unter Maria Theresia, solches versucht, muß ineffektiv bleiben.

Das sogenannte Pornographiegesetz enthält Strafbestimmungen gegen alle Art von Verbreitung unzüchtiger Schriften, Bilder und dgl. Eine weitere Strafbestimmung untersagt die Zugänglichmachung anstößiger Schriften, Bilder und dgl. an Jugendliche bis zu 16 Jahren. Nähere Kriterien der Unzüchtigkeit und der Anstößigkeit unterläßt das Gesetz, und so tappt die Judikatur im dunkeln. Aktbilder, die sich voneinander zuweilen nur im Gesichtsausdruck (Art des Lächelns) oder in der Körperhaltung der dargestellten Person unterscheiden, werden von den Gerichten einmal als unbedenklich, das andere Mal als anstößig oder gar als unzüchtig bezeichnet. Hier geht jede Rechtssicherheit verloren, und auch der E. 1968 hat in dieser Beziehung an den Bestimmungen nichts geändert. Die österreichische Juristenkommission hat sich daher vor kurzem an das Parlament mit der Anregung gewendet, im künftigen Strafgesetz den genannten normativen Begriffen einen wertausfüllenden Inhalt zu geben.

Und nun zur Homosexualität. Wie schon erwähnt, hat der E. der Strafrechtskommission, nachdem sie zahlreiche medizinische Sachverständige gehört hatte, nur den Fall der Verführung eines männlichen Jugendlichen (bis zu 18 Jahren) zur gleichgeschlechtlichen Unzucht pönalisiert wissen wollen. Der E. 1966 dehnte die Strafbestimmungen auch auf die gleichgeschlechtliche Unzucht mit Minderjährigen (d.i. bis 21 Jahren), gleichgültig welchen Geschlechtes, aus, nahm aber Jugendliche, soweit sie ihren Partner nicht zur Tat verführt haben, von der Strafbarkeit aus. Überdies wurde die gewerbsmäßige gleichgeschlechtliche Unzucht kriminalisiert und, wie schon der Kommissions-E. vorsah, eine Bestimmung gegen Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht eingeführt.

Der E. 1968 kehrte zur gegenwärtigen Lösung zurück, wonach Unzucht wider die Natur unbeschränkt — nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes fallen darunter auch onanistische Handlungen — sowohl unter Männern wie auch unter Frauen strafbar sei. Ich brauche nicht erst die zahlreichen Argumente wiederholen, die in Deutschland wie auch in Österreich von hervorragenden Strafrechtlern und Psychiatern zugunsten der Straflosigkeit der einfachen Homosexualität erhoben worden sind. Ich möchte nur stellvertretend hierfür und für zahlreiche im Ausland erhobene Stimmen von Wissenschaftern die Resolution VI der Vollversammlung des IX. Internationalen Strafrechtskongresses in Den Haag vom 29.8.1964 zitieren, wonach homosexuelles Verhalten nur bei Vorliegen folgender Voraussetzungen zu verbieten sei: bei Anwendung von Zwang und Gewalt, bei Verführung eines Minderjährigen durch einen Erwachsenen, bei Mißbrauch einer Vertrauensstellung zur Verführung einer anvertrauten Person, bei öffentlicher Begehung oder Aufreizung oder Werbung für homosexuelles Verhalten.

Im krassen Gegensatz hierzu steht der E. 1968, der den wahrlich als konservativ zu nennenden deutschen StG-E. 1962 bei weitem überbietet, indem er die sogenannte lesbische Liebe, ferner homosexuelle Handlungen Jugendlicher unter sich und Unzuchtshandlungen, die nicht beischlafähnlicher Natur sind, in die Strafbarkeit einbezogen wissen will. Ich kann nicht verstehen, daß in einer Zeit, da Menschenwürde groß geschrieben wird, es ein Gesetzgeber unternimmt, ohne sich auf ein Rechtsschutzinteresse stützen zu können, in die Intimsphäre anderer einzugreifen.

Vor wenigen Monaten wurde bei uns ein Jugendlicher verurteilt, weil er als 15jähriger in einem Jugendlager vom Lagerführer in dessen Zelt gelockt, mit Wein bewirtet und dann geschlechtlich mißbraucht wurde; von Ekel ergriffen hat er das Zelt verlassen und den Lagerführer in der Folge angezeigt. Dieser wurde wegen Homosexualität verurteilt, ebenso aber auch der genannte Jugendliche. So ist der Stand der Gesetzgebung in Österreich, und so soll es nach der Vorlage der österreichischen Bundesregierung weitergehen.

Argumente der Gegenseite? Prof. Grassberger hat auf die Gefahr der Verbreitung der Homosexualität durch Cliquenbildung hingewiesen. Ich könnte mir vorstellen, daß diesem Einwand durch wirksame Bestimmungen gegen homosexuelle Verbindungen — wir haben ja auch im geltenden Strafgesetz Bestimmungen gegen kriminelle Gruppenbildungen — Rechnung getragen wird. Solche Bestimmungen wären heute schon viel effektiver gegen die Weiterverbreitung der Homosexualität als die geltenden Bestimmungen, die sich bloß gegen die homosexuelle Betätigung als solche richten.

Hingegen möchte ich die Befürchtung Grassbergers, bei Straflosigkeit der Homosexualität werden sich die Homosexuellen in der öffentlichen Verwaltung gegenseitig fördern, nicht teilen; ich glaube, daß auf diesem Gebiete nach wie vor der politische Protektionismus seine Monopolstellung halten und vor Schmutzkonkurrenz bewahrt bleiben wird.

Homosexuelle wie Priester?

Der inzwischen verstorbene Psychiater Prof. Stransky sagte vor der Strafrechtskommission, es könne von einem homosexuell veranlagten Menschen sexuelle Enthaltung ebenso gefordert werden, wie vom katholischen Priester die Einhaltung des Keuschheitsgelübdes gefordert wird. Nun, der Unterschied liegt darin, daß die Einhaltung des Keuschheitsgelübdes nicht unter Strafsanktion steht; Gott sei Dank, denn unsere Strafanstalten sind ohnedies reichlich gefüllt.

Letztlich beruft sich der E. 1968 auf die österreichische Bevölkerung, die gegen die Homosexuellen eingestellt sei. Aber erst vor kurzem wurde die öffentliche Meinung in Österreich durch einen Mordfall tief beeindruckt, bei dem ein junger homosexuell veranlagter Polizeibeamter einen Kriminellen, der von seiner homosexuellen Veranlagung wußte und ihn erpreßte, erschossen hat. Dieser Fall hat schlaglichtartig aufgezeigt, daß durch die geltenden Bestimmungen des Strafgesetzes gegen die einfache Homosexualität nicht etwa bestehende Kriminalität bekämpft, vielmehr im Gegenteil echte Kriminalität gezüchtet wird.

Ich komme nun zu einem zentralen Problem der Strafrechtsreform, nämlich zu den Bestimmungen gegen Abtreibung der Leibesfrucht. Nirgendwo auf dem Gebiete des Strafrechtes ist eine Straftat so wenig aggressiv und so wenig rechtsfeindlich, wie es die Abtreibung der Leibesfrucht durch die Schwangere ist. Nirgendwo im gesellschaftlichen Leben sind schwerste Konfliktssituationen so typisch wie bei einer ungewollten Schwangerschaft. Es wäre die Aufgabe des Strafgesetzgebers für solche Fälle, die erforderliche Güterabwägung im grundsätzlichen zu treffen (rechtfertigender Notstand) und außerordentlichen Konfliktssituationen, soweit sie typisch sind, bei der Schuldfrage Rechnung zu tragen (entschuldigender Notstand). Ob dies einem Strafgesetz gelingt, ohne dabei allgemeine Auffassungen über den Schutzwert keimenden Lebens zu verletzen und ohne anderseits den Schuldbegriff zu überspannen und Menschen zu überfordern, ist ein Prüfstein seiner Güte.

In beiden Richtungen hat der StG-E. 1968 ebenso wie auch sein Vorgänger aus dem Jahre 1966 versagt.

Nicht so die Strafrechtskommission. Nach dem Vorschlag der Strafrechtskommission sollte die Abtreibung straflos sein, wenn sie zur Abwendung einer Lebensgefahr oder der Gefahr eines lange dauernden schweren Schadens an der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Schwangeren diente. Bei der Entscheidung der Frage, ob die Gefahr einer lange dauernden schweren Schädigung an der Gesundheit nicht anders abwendbar ist, sind — wie die Strafrechtskommission aussprach — auch die wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, unter denen die Frau zu leben gezwungen ist. Gegebenenfalls ist insbesondere auch zu prüfen, ob nicht die Angst der Schwangeren, ein unheilbar sieches Kind oder ein Kind zu gebären, das durch eine verbrecherische, gewaltsame Schwängerung erzeugt worden ist, die Gefahr eines lange dauernden schweren Schadens an ihrer seelischen Gesundheit begründet.

Sonderrecht gegen Schwangere

Der E. 1968 läßt, nachdem bereits der E. 1966 all das, was die Strafrechtskommission an sozialen Bestimmungen vorschlug, eliminiert hat, Straflosigkeit nur zu, wenn durch die Tat „von der Schwangeren eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Lebensgefahr oder Gefahr dauernden schweren Schadens an ihrer Gesundheit abgewendet wird“. Das bedeutet ein Sonderrecht gegen die Schwangere; der E. billigt der Schwangeren Schuldausschließungs- und Rechtfertigungsgründe nicht zu, die sonst jedem Täter zustehen.

So kann sich jedermann der Abwehr auch gegen das Leben eines anderen bedienen, um eine drohende schwere, wenn auch vorübergehende Verletzung von sich abzuwenden; zumindest wäre ein solches Verhalten als vorsätzlich nicht vorwerfbar. Wohl aber wird von der Schwangeren verlangt, daß sie auch solchen schweren Schaden an der Gesundheit auf sich nehmen müsse. Eine Frau bleibt ungestraft, wenn sie in Verteidigung ihrer Freiheit den Notzüchtler tötet. Die bei der Notzucht gezeugte Frucht soll sie aber nicht abtreiben dürfen, wenngleich sonst ihre Zukunft zerstört wäre?

Wo bleibt angesichts eines so starken Gefälles zwischen erlaubter Notwehr und anerkanntem Notstand die innere Einheit des Gesetzes, wo die vielgerühmte Gerechtigkeit, die in das Gesetz eingefangen werden soll?

Der E. 1968 weist an wiederholten Stellen, z.B. bei der Homosexualität, auf die Einstellung der österreichischen Bevölkerung hin und zieht diese Einstellung als ein Argument für seine Meinung heran. Wie wäre es, über die Indikationen bei der Schwangerschaftsunterbrechung eine Meinungsumfrage zu machen? Ich bin überzeugt, daß sich, unabhängig von jeder politischen Einstellung, die übergroße Mehrheit des österreichischen Volkes zumindest den Vorschlägen der Strafrechtskommission anschließen würde.

So sieht also der E. 1968 aus. Einzelne Bestimmungen desselben, wie z.B. die Ausnahme von der bedingten Verurteilung bei der Notzucht, haben auch bei konservativen Juristen Befremden ausgelöst. Es gibt aber auch andere, die, nicht zuletzt aus dem Gedanken heraus, daß Umlernen schwerfällt, alles beim alten belassen wollen. In der Fachwelt hat sich bisher nur Nowakowski zu Wort gemeldet und einzelne Bestimmungen des E. 1968 persifliert. Er vermeint schließlich, daß, sollte der E. in seiner jetzigen Form angenommen werden, er alsbald verbessert werden müßte.

Nun, ein Universitätsprofessor kann leicht auf bessere Zeiten vertrauen, der Richter und der Staatsanwalt werden aber, wenn der E. Gesetz wird, genötigt, nach wie vor wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Menschlichkeit zum Trotz, Menschen, die, wie kürzlich Prof. Hoff sagte, wegen ihrer abnormen, krankhaften Entwicklung behandlungswürdig sind, zu verfolgen und zu bestrafen, desgleichen Frauen oder Mädchen als Verbrecherinnen strafrechtlich zu behandeln, die sich der Folge eines an ihnen begangenen Sexualverbrechens entledigen, um einer Konfliktssituation, der ein gewöhnlicher Mensch nicht gewachsen ist, zu entgehen.

Wie viele Menschen müssen noch Opfer einer jeder Menschlichkeit baren Vergeltungsidee werden? Inzwischen hat auch Dr. Broda den E. 1968 für unannehmbar erklärt.

Man fragt sich nach der tieferen Ursache dafür, daß die österreichischen Juristen auf dem Gebiet des Rechtes nicht den Anschluß an die Rechtsentwicklung in den anderen europäischen Staaten, insbesondere an die stürmische Aufwärtsentwicklung in Deutschland, finden, wie sie etwa durch den deutschen Alternativ-E., der heute schon die Grundlage der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform des Bonner Bundestages bildet, und durch die Schriften einer Reihe von Wissenschaftern zur Strafrechtsreform charakterisiert ist. Es ist eine Tragık, daß außerhalb der Sozialisten der Liberalismus in Österreich nur in den Herzen einzelner schlummert und er keine politische Heimat bei uns hat. Es gehört heute ein gewisser Bekennermut dazu, offen für freiheitliche Ideale einzutreten. Denn es ist in Wien wieder modern geworden, sich klerikal zu geben.

Meine Hoffnung dafür, daß nicht nur die Diskussion, sondern auch die Dinge noch völlig offen sind, gilt dem Herrn Justizminister als Wissenschafter, der zwar den Entwurf eingebracht, sich aber meines Wissens mit seinen Einzelheiten noch keineswegs identifiziert hat.

Die nächsten Zeiten werden auch beweisen, ob im bürgerlichen Lager in Österreich die fortschrittlichen Kräfte oder wenigstens die wissenschaftlich interessierten Kreise aus ihrer Lethargie erwachen, den E. 1968 und seine Probleme diskutieren und sich um eine Regelung gemeinsam mit den sozialistischen fortschrittlichen Kräften Österreichs bemühen werden, die der pluralistischen Gesellschaft in Österreich und dem Standard der Rechtsentwicklung in Europa entspricht.

Wenn dies nicht der Fall sein sollte, dann allerdings hat Österreich nichts anderes als ein Strafgesetz nach dem Muster des Entwurfes 1968 verdient.

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