FORVM, No. 134
Februar
1965

Die zögernde Vorhut

Der israelische Satiriker Ephraim Kishon, unseren Lesern durch die Vorabdrucke aus seinen deutsch erschienenen Büchern (und wohl auch durch die Lektüre der Bücher selbst) schon seit langem bekannt, glossiert in seiner täglichen Column im „Ma’ariv“, der populärsten Zeitung Israels, auch die politischen Tagesereignisse; hier ein aktuelles Beispiel.

LIBANON: Nein!

AEGYPTEN: Ja!

LIBANON: Und warum gerade ich?

IRAK: Du bist die Vorhut der arabischen Einheit.

LIBANON: Wer? Ich?

SYRIEN: Ja, du. Und es wird dir gar keine Mühe machen, dem zionistischen Zwerg die Wasserquellen abzuschneiden. Ritsch — ratsch.

LIBANON: Welche Wasserquellen?

AEGYPTEN: Die Quellfiüsse des Jordan.

LIBANON: Der Jordan hat Quellflässe?

JORDANIEN: Sie heißen Hasbani und Banias. Du hast nichts weiter zu tun, als diese beiden Flüßchen durch ein Kanälchen miteinander zu verbinden — und der zionistische Zwerg bricht unter ohrenbetäubendem Gepolter zusammen!

IRAK: So einfach ist das.

LIBANON: Aber warum ich?

JORDANIEN: Weil die beiden Quellen sich auf deinem Gebiet befinden. Befänden sie sich auf meinem — ich würde stolz und freudig meine nationale Pflicht erfüllen!

LIBANON: Mir fällt etwas ein. Wie wär’s, wenn ich den Banias und den Hasbani auf jordanisches Gebiet ableite, damit Jordanien stolz und freudig seine nationale Pflicht erfüllen kann?

JORDANIEN: Das ist der größte Blödsinn, den ich seit meiner Unabhängigkeitserklärung gehört habe.

SYRIEN: Du vergißt, Bruder Libanon, daß man dir ohnehin nur eine ganz geringfügige Aufgabe zuweist. Ich selbst könnte den zionistischen Zwerg mühelos mit der linken Hand erledigen, wenn ich einen Vorwand fände, mich auf ihn zu stürzen. Ist das so schwer zu verstehen?

LIBANON: Dann bauen wir doch das Pumpwerk auf syrischem Gebiet! Warum nicht? Wirklich, warum nicht Syrien?

AEGYPTEN: Syrien ist nicht so stabil wie du.

LIBANON: Ich bin stabil? Wer ist stabil? Ihr seht doch, wie es mich schüttelt. Ihr kennt doch meine inneren Schwierigkeiten.

AEGYPTEN: Dann müssen wir eben losen. Wer hat eine Münze bei sich? Danke. Kopf oder Schrift?

LIBANON: Bitte, jemand andrer soll die Münze werfen! Nicht Ägypten!

IRAK: Schön, ich übernehme den Wurf. Ich opfere mich ... Kopf. Libanon, das Schicksal hat dich auserkoren!

LIBANON: Schicksal? Wieso Schicksal? Ein idiotischer Zufall. Und wer hat überhaupt gesagt, daß Kopf —

AEGYPTEN: Genug! Weißt du, Libby, manchmal machst du beinahe den Eindruck, als hättest du Angst vor irgend etwas.

LIBANON: Bei mir zu Hause herrscht ein gewisser Wohlstand.

AEGYPTEN: Ich habe dich gefragt, ob du Angst hast.

LIBANON: Angst? He ... laß mich los! Loslassen, sag ich!

AEGYPTEN: Nur wenn du keine Angst mehr hast.

LIBANON: Dann habe ich also keine Angst mehr.

AEGYPTEN: Brav. Und sei unbesorgt — du fungierst ja nur als Köder. Es geht alles ganz glatt. Der Köder kommt an den Angelhaken, die Angel gleitet ins Wasser, der Fisch sieht sie und schon ist es um ihn geschehn. Warum machst du so ein trauriges Gesicht?

LIBANON: Ich denke an den Wurm.

IRAK: Unglaublich. Hast du denn gar kein Gefühl für die Ehre, die dir zuteil wird? Du gehst in die Geschichte ein!

LIBANON: Das ist es ja, wovor ich mich fürchte.

SYRIEN: Wir werden dir zu Hilfe kommen.

LIBANON: Eben.

AEGYPTEN: Du kannst in jeder Gefahr auf uns zählen.

LIBANON: Einen Augenblick. Was meinst du mit „Gefahr“?

AEGYPTEN: Wenn du zum Beispiel angegriffen wirst — was Allah verhüten möge und was wir alle erwarten.

LIBANON: Dann kommt ihr mir zu Hilfe?

AEGYPTEN: Alle.

LIBANON: Auch du?

AEGYPTEN: Im Hui. Verlaß dich drauf.

LIBANON: Ägyptische Soldaten?

AEGYPTEN: Tausende!

LIBANON: Will ich nicht.

AEGYPTEN: Warum nicht?

LIBANON: Weil ich nicht will. Ich habe meine Gründe.

AEGYPTEN: Was für Gründe? Was heißt das? Sind wir Brüder oder sind wir keine Brüder?

LIBANON: Wir sind natürlich Brüder, aber mein Großpapa hat mir auf dem Sterbebett einen Schwur abgenommen. „Mein Sohn“, sprach damals mein Großpapa, „schwöre mir bei den ausländischen Guthaben in unseren Banken, daß du niemals, in Worten: niemals, einen ägyptischen Soldaten auf deinem Gebiet dulden wirst!“ — „Aber Opa!“ rief ich. „Warum denn das?“

AEGYPTEN: Und?

SYRIEN: Nun?

LIBANON: In diesem Augenblick starb er und nahm sein Geheimnis mit ins Grab. Nein, ich kann nicht. Opa bleibt Opa, das werdet ihr einsehen.

AEGYPTEN: Merkwürdig. Aber wenn die Dinge so liegen, dann ist es klar, daß ich dein Gebiet nicht betreten werde.

LIBANON: Wer garantiert mir dafür?

AEGYPTEN: Na hör einmal! Brauchst du eine bessere Garantie als unsern Grundsatz: „Niemals kämpfen Araber gegen Araber“?

IRAK: Dieser Grundsatz sollte dir genügen, Bruderherz. Nimm dir ein Beispiel am Jemen.

LIBANON: Mir genügt der Grundsatz. Selbstverständlich genügt er mir. Aber ich möchte ganz ausdrücklich keine ägyptischen Truppen haben.

JORDANIEN: Du bekommst keine ägyptischen Truppen, du Idiot. Man hat dir ja schon gesagt, daß du keine bekommst.

LIBANON: Sie sollen nach Jordanien gehen.

JORDANIEN: Nur über deine Leiche.

LIBANON: Außerdem ist es vollkommen unlogisch, daß ich den Jordan ableiten soll. Ich heiße Libanon. Den Jordan hat Jordanien abzuleiten.

JORDANIEN: Sehr witzig.

LIBANON: Ich wiederhole, daß ich keine ägyptischen Truppen im Land haben will.

AEGYPTEN: Schon gut, schon gut, ich komme nicht.

LIBANON: Auch nicht, wenn ich in Gefahr bin?

AEGYPTEN: Nein. Ich versprech’s dir.

LIBANON: Auch nicht, wenn ich dich um Hilfe bitte?

AEGYPTEN: Auch dann nicht.

LIBANON: Und wenn ich auf die Knie falle und dich anflehe, mich zu retten?

AEGYPTEN: Ich rühre keinen Finger. Ehrenwort.

LIBANON: Machen wir eine kleine Stellprobe. Nur damit Opas Seele ihren Frieden hat. Also. Der zionistische Zwerg ist auf mich losgegangen und ich schreie um Hilfe. „Ägypten!“ schreie ich. „Rette mich vor dem zionistischen Zwerg! Zu Hilfe, Ägypten! Zu Hilfe!“ Was tust du?

AEGYPTEN: Ich bleibe so reglos sitzen wie jetzt.

LIBANON: Ausgezeichnet. Das wäre in Ordnung. Und jetzt möchte ich nur noch wissen, wer mich eigentlich retten wird.

JORDANIEN: Was fragst du so dumm? Amerika!

(Deutsch von Friedrich Torberg)

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