FORVM, No. 432
Dezember
1989

Gustav Landauer

Stimmen brüllten, näher kommend, sich überschlagend, sich überkreischend: „Der Landauer, der Landauer!“ Sie brachen durchs Gefängnistor, sie stießen ihn vor sich her, schoben ihn mit ihren Gewehrkolben und Bajonetten in den Hof. Dann standen sie, ein Zug stark, um ihn, umdrängten ihn, bedrohten ihn, beschimpften ihn, spuckten ihm ins Gesicht. Der Feldwebel ging in die Aufnahmekanzlei, Meldung zu machen. Er wurde inzwischen in den Gang vor das Aufnahmezimmer gebracht. Offiziere gingen an ihm vorbei, sahen ihn an, spuckten vor ihm aus. Einer schlug mit der Reitpeitsche nach ihm. Die Soldaten brüllten, daß die Korridore widerhallten. „Wir haben ihn, den Landauer. Den Landauer haben wir erwischt. Der die Weiber sozialisieren wollte. Jetzt sozialisieren wir ihn.“ Leutnant Geisler vom Freikorps Epp ging auf den Wehrlosen zu, stieß ihm die Faust ins Gesicht. Seine Nase begann zu bluten, seine Augen waren angeschwollen. Die Soldaten riefen: „Guat, Herr Leutnant, dem haben Sie es ordentlich gegeben. Der erlebt keine Räterepublik mehr. Wie den Eisner sollens ihn abschießen. Ist für die Kugel viel zu schad.“ Sie umdrängten ihn und rissen ihn am Bart und an den Haaren. Die sechs Mann Begleitmannschaft sahen dem allen ruhig zu. Als der Feldwebel zurückkam, wurde Landauer in den Hof rechts hinausgestoßen. Die Soldaten riefen: „Der Hetzer, der muß weg. Derschlagts ihn!“ Landauer atmete schwer. Zwischen zwei Hustenanfällen sagte er langsam und keuchend: „Ich bin kein Hetzer. Ihr wißt selbst nicht, wie verhetzt Ihr seid!“ „Kusch!“ brüllten die Soldaten und sprangen wieder auf ihn ein. Sie schlugen ihn wieder mit Kolben. Im Hof kam ein Mann in Zivil, es war Major Breuer, und schlug mit einer schlegelartigen Keule Landauer mehrmals über den Kopf. Landauer brach zusammen. Blieb liegen. Die Soldaten tobten und schimpften, aber sie schlugen nicht auf den am Boden Liegenden. Er atmete schwer. Aber er war bei Besinnung. Den Hut hatte er verloren, der Mantel hing um ihn, zerrissen und beschmutzt. Dann begann er sich zu bewegen, raffte sich mit übermenschlicher Kraft zusammen und wollte sich erheben. Die Soldaten waren verstummt und sahen ihm neugierig zu. Endlich hatte er sich erhoben, hielt sich schwankend fest und wollte etwas sagen. Ein Vizewachtmeister, man rief ihn Alois, rief: „Geht mal weg!“ Die Soldaten begannen wieder zu toben und zu schreien und riefen: „Gibs ihm fest, besorgs ihm, Alois!“ Der Wachtmeister riß seine Pistole aus dem Gurt und gab zwei Schüsse auf den Stehenden ab. Einer fehlte aus zwei Schritt Entfernung. Einer traf Landauer in den Kopf. Er sagte nichts und fiel um. Aber er atmete immer noch. Der Wachtmeister ging zu ihm hin, gab ihm mit der Fußspitze einen Stoß und sagte: „Das Aas hat zwei Leben, der kann nicht kaputt gehn.“ Sergeant Adam vom Leibregiment Ludwig rief: „Ziehn wir ihm doch den Mantel herunter.“ Und wollte auch Ring und Uhr an sich nehmen. Er wurde daran im Augenblick gehindert. Den Mantel zog er dem Röchelnden aus, ließ den Sterbenden schwer auf den Boden fallen. Dann legte man ihn auf den Bauch. Der Wachtmeister rief: „Geht zurück, dann lassen wir ihm noch eine durch.“ Er schoß, über Landauer stehend, ihm in den Rücken, daß es ihm das Herz herausriß und er vom Boden wegschnellte. Da Landauer noch immer zuckte, trat ihn der Wachtmeister mit Füßen zu Tode. Dann wurde ihm alles heruntergerissen und die Leiche auf zwei Tage ins Waschhaus geworfen. Als sie zu verwesen begann, schaffte man sie fort.

Fritz Gross. — Aus: Die letzte Stunde. Legenden vom Tode. Berlin 1929

Grabschändung

Berlin, 22. Juni. (Tel.-Komp.) Der Münchener Stadtrat hat auf Antrag der nationalsozialistischen Fraktion beschlossen, die Gräber Kurt Eisners im Münchener Ostfriedhof und Gustav Landauers im Waldfriedhof sofort zu beseitigen. Die Gräber werden als erloschen erklärt und die Denkmäler abgetragen. Die Asche der beiden Toten wird der jüdischen Kultusgemeinde zur Verfügung gestellt.

Aus: Arbeiter-Zeitung (Wien); Nr. 171 v. 23.6.1933
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