Hegel wieder ausbuddeln ...
Lieber Günther,
die Büchersendung und Dein Brief haben mich erreicht. Herzlichen Dank! In Deinem Buch habe ich erst das Schlußkapitel und die Seiten 7-120 gelesen. Schon in Deinem NF-Aufsatz „Gegenangriff“ hatte ich viele Berührungspunkte entdeckt. Dein Buch hat diesen Eindruck bestätigt. Auch wie Du den Stier bei den Hörnern packst, finde ich ausgezeichnet. Welches Echo hast Du gefunden?
Du wirst es schon selbst erfahren haben: wenn man sich von einem früheren Standpunkt — denselben kritisch überwindend — entfernt, wird man schnell polemisch und überzieht die Negation. Deshalb nehme ich Deine Warnung vor der „totalen Bejahung des Staates“ sehr ernst. Ich werde meine Argumentation noch ausdifferenzieren müssen. Ich unterscheide zwei Momente:
- die Identität der Bürger (einschließlich der unmittelbaren Produzenten) mit dem Staat und
- den Gegensatz derselben — hier insbesondere der Arbeiterklasse — gegen den Staat in seiner konkreten Daseinsform.
Es ist richtig, daß ich das Staatsprinzip bejahe. Das war früher anders. Aber von einer „totalen Bejahung“ des daseienden Staates kann keine Rede sein. Meinem Text kannst Du entnehmen, daß ich gegen die Bürokratie bin, also auch gegen einen bürokratisch reglementierenden Staat, der nicht von der „Basis“ kontrolliert wird.
Zweierlei will ich zu bedenken geben:
- Wenn man ein festgefressenes Vorurteil aus seiner Verankerung reißen will, gibt es einen objektiven Zwang zur Übertreibung (Mao sagte, man müsse, wenn man treffen will, über das Ziel hinausschießen).
- Sowenig es Dich schreckt, des Sozialdemokratismus angeklagt zu werden, sowenig fürchte ich, des Hegelianismus bezichtigt zu werden. Man hat den Hegel lebendig begraben, und wir werden ihn wieder ausbuddeln. Marx hat ihn nicht kritisch überwunden, sondern ist hinter ihn zurückgefallen. Ich bin darauf vorbereitet, diese These ausführlich zu rechtfertigen.
Dein Horst