MOZ, Nummer 48
Januar
1990
Helmut Zilk:

Katalysator statt Politiker

Die Partei und ihre politischen Programme sind ihm fremd. Seine Konzeptlosigkeit kompensiert er durch feines Gespür dafür, was sein Zielpublikum, die LeserInnenschar der „Kronen-Zeitung“, will.

Bürgermeister Dr. Helmut Zilk,
Ehrengast beim Jubiläumsturnier, hatte einen Freiwurf
Bild: Votava

Wenn Helmut Zilk ins Wiener Rathaus lädt, erwartet die JournalistInnen kein herkömmliches Pressegespräch. Geboten wird der geselligen Runde, die sich Dienstag für Dienstag einfindet, eine One man personality show: „Aus dem Leben eines Bürgermeisters.“

Frei assoziierend („Übrigens, da fällt mir ein ...“) hantelt sich der Stadtvater von der Kommunalpolitik zu den Entwicklungen in Osteuropa, er unterhält die anwesenden JournalistInnen mehr, als er sie informiert (dies besorgt im Anschluß ein Stadtrat oder auch die Presseinformation, natürlich auf Umweltschutzpapier), er liefert flotte Sprüche zum Zitieren, er buchstabiert unaufgefordert ausländische Namen.

Eine Pressekonferenz mit Helmut Zilk, das ist eine perfekte Dienstleistung, vollbracht an jenen, deren Aufgabe es ist, über den Bürgermeister zu berichten.

Eine Dienstleistung mit strategischem Kalkül. Denn die RedakteurInnen danken ihm seine unkomplizierte, mediengerechte, ja komplizenhafte Art mit durchwegs positiven Artikeln. Artikeln, denen der Bürgermeister sein politisches Leben verdankt.

Ein öffentlicher Mensch

„Der Zilk macht keine Öffentlichkeitsarbeit, er ist die Summe seiner öffentlichen Auftritte“, beschreibt ein Intimus aus der Wiener SPÖ. Jede sich bietende Gelegenheit wird genützt — an die 2.000 Mal pro Jahr zeigt sich der Bürgermeister den WienerInnen, schüttelt Hände, plaudert unverbindlich, hört seinen Bürgern zu. Bietet sich kein Anlaß, wird Zilk auch nicht müde, sich aktionistisch die Bühne seiner Auftritte selbst zu schaffen. Ob Lehnwände in der U-Bahn oder eine übergroße Mülltonne — der Vorwand für ein Foto samt Zweispalter in den Tageszeitungen ist schnell gefunden, der tägliche Zilk garantiert.

Dem Wiener Bürgermeister sind die Massenmedien, was Sozialisten alten Schlages die Partei oder Gewerkschaft ist. Nie wirklich in die Arbeiterbewegung integriert, wurden deren Interessen auch nie zum leitenden Motiv des Politikers Zilk.

Zur Partei kein Verhältnis

„Ich bin Bürgermeister und als solcher von der Partei nicht wählbar“, beschreibt er sein Verhältnis zur SPÖ. Und: „Als Funktionär bin ich Mitglied der Bezirksleitung der Partei im ersten Wiener Gemeindebezirk, nicht mehr.“ Vorstandssitzungen der Wiener Partei reizen ihn ebensowenig zum Kommen wie der letzte Bundesparteitag der SPÖ, der immerhin den inoffiziellen Wahlkampfauftakt darstellte. Das Parteileben meidet er nicht nur der Verbindlichkeit und daraus resultierenden Kontrollmöglichkeit wegen, er interessiert sich auch gar nicht für dieses anachronistische Relikt. Umgekehrt stört es Zilk nicht, innerparteilich keinen Machtfaktor darzustellen.

Er erhebt seine Stimme gegen die Parteimeinung, wenn es ihm paßt, ohne dieser Rhetorik Taten folgen zu lassen. So etwa in der innerhalb der SPÖ sehr umstrittenen Abfangjägerfrage, als er sich nicht dem innerparteilichen Widerstand anschloß, sondern es bei Pressemeldungen beließ. Sein Ruf war gerettet.

Die Parteibasis kreidet ihm das an. Zilk verkörpere, wirft ihm etwa der „Bund Sozialistischer Akademiker“ vor, eine „Tendenz aus Opportunität und Populismus“. Der Angegriffene antwortete mit Austritt aus dem „BSA“. Von der MONATSZEITUNG zu diesem Vorwurf befragt, verteidigt sich Zilk — eine Verteidigung allerdings, die dazu angetan ist, den Anschuldigungen Gewicht zu verleihen: „Also, ich gehe durch alle Bezirke. Erst gestern war ich in äh, also gestern war ich in äh, in ...“ Der Wortgewaltige geriet ins Stocken. Erst sein Sekretär rettete die Situation: „In Meidling.“ „In Meidling“, wiederholte der Bürgermeister.

Fühlen sich die gestandenen SozialistInnen von einer zur Show degradierten Politik abgestoßen, so wissen die Granden der Wiener SPÖ genau, was sie an Zilk haben: Geholt wurde er, weil Mayr und Genossen sehr wohl wußten, daß sie mit Helmut Zilk an der Spitze keinen Anti-SPÖ-Wahlkampf der „Kronen-Zeitung“ zu befürchten hatten. Im Gegenteil: Mit der Krone im Rücken ist Zilk Garant für heute schon als Rarität geltende absolute Mehrheit.

Mit Hans Dichand verbindet ihn, was Dichand mit Haider eint: Sie fischen in den Wassern des Populismus. Dichand macht seine Zeitung für jene Leute, auf die Zilk seine Politik ausrichtet. Oder: Was Dichand schreiben läßt, denken viele WienerInnen. Was viele WienerInnen denken, bestimmt des Bürgermeisters Politik. Des Bürgermeisters Politik findet in der „Kronen-Zeitung“ Widerhall. Und so weiter und so fort.

Mit seinen Stadträten kooperiert der Bürgermeister im Sinne strenger Arbeitsteilung: Erstere liefern die stadtpolitischen Konzepte, der Marketingchef Zilk verkauft sie. Und auch in umgekehrter Richtung. Der Bürgermeister verspricht in gelebter Bürgernähe einen Radweg in der Mariahilferstraße, den Verkehrsstadtrat Hatzl zwar nicht vorgesehen hatte, den er nun allerdings realisieren muß.

Diese Art, die Partei festzulegen, ist in wichtigeren Fragen höchst unpopulär. Etwa, wenn der interne Meinungsbildungsprozeß nicht abgeschlossen ist oder, schlimmer, wenn er ein von Zilk nicht gewünschtes Ergebnis erbrachte.

So etwa im Falle Haider. Vom Kanzler bis zum Sektionskassier herrschte seltene Eintracht, daß mit Haiders FPÖ nicht gekonnt werden darf — Zilk redete dagegen oder, wie er selbst formuliert: „Ich habe mich immer bemüht, gegen den Stachel zu löcken.“ Er mag inhaltlich recht behalten („man darf Haider nicht dämonisieren“), er mag den Chef der Freiheitlichen öffentlich lächerlich machen („er ist ein hoffnungsvoller junger Politiker, aber das waren auch schon die Herren Taus und Mock“) gerade aber der medienerfahrene Zilk hätte wissen müssen, daß seine Aussage als Koalitionsangebot interpretiert und damit als Argument gegen den Kanzler verwendet werden würde.

Zilk beim Faschingsumzug der Handelskammer Wien
Bild: Votava

Ich bin mein Gewissen

Organisatorische und programmatische Bindungen, die anderen Heimat sind, empfindet Zilk als Fesseln. Nur ohne sie kann er frei und spontan agieren, verpflichtet lediglich sich selbst. „Das Regulativ meines Handelns ist mein Gewissen. Das ist nicht die Partei, das ist keine Parteilinie, das ist mein Gewissen“, bekennt er. Und wie das eben ist, ist das Gewissen frei — und unverbindlich: „Das Leben ist so bunt, daß es keine gerade Linie geben kann. Auch wenn meine Parteifreunde im Rathaushof protestieren — mein Gehirn laß ich mir von niemandem rauben.“

Diese Ungebundenheit erlaubt Zilk nicht nur, gegen die Partei — oder, wie er selbst sagt: gegen einzelne ihrer Repräsentanten — zu reden, er kann auch Maßnahmen durchsetzen, die sich Interessensverbänden verpflichtete Politiker nicht oder nur nach langen Verhandlungen erlauben können. Beipiel Nachtfahrverbot für LKW, das in Wien schon lange vor der Bundesregelung in Kraft trat.

Zilk kann es sich auch leisten, sich unkonventionell zu benehmen, solange die „Unkonventionalität“ ins Showprogramm „Der Wiener Bürgermeister“ paßt. Zur Schau gestellte Macht paßt nicht dazu. Schon viel eher, daß er, wenn das Wetter es zuläßt, mit dem Fahrrad ins Rathaus fährt — sein Sekretär radelt hinterher im Windschatten. Zwei Männer im Anzug, mit Aktenköfferchen am Gepäcksträger, zwei Bewegungen verschmelzen zu einer: exakt und fast rechtwinkelig das Handzeichen des Herrn, Augenblicke später folgt das des Gefolgsmannes.

Zilks Kapital

Zweifelsohne ist aber auch Zilks Politik „aus bestem Wissen und Gewissen“ (Zilk über Zilk) Zwängen unterworfen. Da wäre jener zur Selbstinszenierung, zur Show, die medial verwertbar ist.

Und da wäre vor allem jener der Verpflichtung gegenüber seinem Zielpublikum: die Menschen „draußen“, Herr und Frau Wiener, die LeserInnen der „Kronen- Zeitung“.

Diese bilden seine wirkliche Basis. So fremd dem Herm Bürgermeister die Sektionen seiner Partei sind, so nahe sind ihm die Straße, die Lokale. Während etwa Kanzler Vranitzky, mediengerechter Politiker wie Zilk, zu öffentlichem Händeschütteln nahezu genötigt werden muß, genießt Zilk dieses. Selbst seine Abende, so sie nicht ohnehin Arbeitsterminen geopfert sind, verbringt der Bürgermeister gerne öffentlich. In den Lokalen gibt er sich als Mensch wie du und ich — ein Bürgermeister zum Angreifen.

Diese Kontakte sind Zilks Kapital. Nicht nur, daß ihn der Populismus populär macht und ihm Wählerstimmen sichert. In tausenden Gesprächen, so heuchlerisch und oberflächlich sie auch sein mögen, erwirbt sich Zilk jenes Gespür für die Meinungen und Wünsche der Menschen, um das ihn Freunde wie Feinde beneiden. Seine politische Konzeptlosigkeit macht er wett, indem er aufnimmt, ja aufsaugt, was er an Stimmungen wahrnimmt, und in konkrete Aktionen und Forderungen transformiert. Er kommuniziert nicht mit eigenen Ideen oder Vorstellungen, sondern mit dem, was er für die Anliegen der WienerInnen hält. Er ist kein Politiker, sondern ein Katalysator.

„Eine Kampfmaschine“, beschreibt ihn ein Genosse. „Sein Politikverständnis ist konkret. Er hört etwas, er identifiziert sich, und schon will er es optimal umsetzen.“ Langes Nachdenken ist des Bürgermeisters Sache nicht — sein Denken ist bestimmt von der praktischen Handlungsmöglichkeit. Ein anderer hoher Funktionär, der Kreisky wie auch Zilk gut kennt, macht einen der wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Persönlichkeiten in der Fähigkeit zur Reflexion aus. „Der Kreisky hat sich, auch wenn er etwas entschlossen und massiv vertreten hat, immer gefragt, ob das denn auch richtig sei. Er hat sich nie gescheut, diese Selbstzweifel zumindest einem inneren Kreis der Partei zu zeigen. Zilk hingegen will verwirklichen, verwirklichen, verwirklichen. Zweifel, ob etwas auch verwirklichungswürdig sei, scheinen ihn nicht zu plagen.“

Zilk löst ein in der TV-Sendung „Wetten daß ...“ gegebenes Versprechen ein
und stellt sich 9 HTL-Schülern aus Imst einen Tag als Fremdenführer durch Wien zur Verfügung
Bild: Votava

Erfolg ohne Konzept

Eine politische Linie, gemessen an Kategorien wie „rechts“ und „links“ oder auch nur „fortschrittlich“ oder „konservativ“, ist nicht erkennbar.

Er warnt vor einem EG-Beitritt und bekämpft das ORF-Sendemonopol, er schimpft auf soziale Trittbrettfahrer unter den Arbeitslosen und kritisiert die Heizölpreiserhöhung als unsoziale Folge der ÖMV-Privatisierung, er wettert gegen den Drakenkauf und verulkt den Vorschlag für ein „Bundesheer light“, er ekelt einen Schwarzen aus einer „Club 2“-Runde und klagt ein, daß ein Wahlrecht für AusländerInnen auf Bezirksebene lediglich eine Feigenblattaktion sei, er läßt „Die Waffen nieder“ plakatieren und macht sich für eine Liberalisierung des Waffenexportgesetzes stark, er feiert hundert Jahre Sozialdemokratie und trauert um die verstorbene Ex-Kaiserin.

Eine klare politische Linie kann es für Zilk gar nicht geben, sind doch die wahrgenommenen Stimmungen, auf Grund derer er agiert, zu inhomogen. Bis auf wenige Ausnahmen, die tatsächlich seinem sozialen Gewissen entspringen — etwa ein grundsätzliches Bekenntnis zur gewaltlosen Konfliktlösung oder eine antifaschistische Einstellung, die ihn im Streit um das Hrdlicka-Denkmal auch gegen die „Kronen-Zeitung“ agieren ließ —, sind Zilks politische Positionen beliebig.

Ob als Lehrer, Moderator der ORF „Stadtgespräche“ — ein Bürgerforum ähnlich der heutigen „Argumente“-Sendung — oder Ombudsmann in der „Kronen-Zeitung“, Zilk wollte Abhilfe schaffen. Kleine Probleme mit Erfolg zu lösen und dafür Dank zu erhalten — das ist seine Vorstellung.

Daß er nun das Amt des Bürgermeisters als höchsten Ausdruck der Ombudsmanntätigkeit betrachtet, das verzeihen ihm die GenossInnen nicht.

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