Konsequenzen aus Olah
Hillegeist: Ich habe ja angekämpft, aber zu wenig erfolgreich. Ich hatte ein bestimmtes Ressort, die Sozialversicherung. In diesem Bereich wollte ich federführend sein, aber Olah hat das alles brüsk verhindert.
Hillegeist: Seine stehende Redewendung war „Präsident bin I“; er hat mir gesagt: „Du hast als Vize nur zu funktionieren, wenn ich nicht da bin und wenn ich dir das vorher ausdrücklich sage!“ So hat sich das abgespielt. Ich habe mich damit zunächst abgefunden, nachdem ich gesehen habe, daß es den anderen auch nicht besser geht.
Hillegeist: Benya und Altenburger, den beiden anderen Vizepräsidenten. Olah hatte strengen Auftrag gegeben, die Vizepräsidenten nicht zu informieren.
Hillegeist: Den leitenden Sekretären Hofstätter, Ströer, Zak und Senghofer. Sie mußten gehorchen.
Hillegeist: So einfach war das nicht, denn, wenn ich so zurückdenke — es gab eine gewisse Tradition im ÖGB. Olahs Vorgänger Böhm war ja auch ein sehr starker Präsident.
Hillegeist: Nein, so kann man das nicht sagen; es war gewiß Tradition, daß der Präsident das meiste selbst entschieden hat. Aber Böhm war ein starker Präsident, nicht durch Zwang, nicht durch Einschüchterung, sondern weil er auf natürliche Weise Autorität hatte. Zu Johann Böhm hatte jeder von vornherein Vertrauen. Das war das Selbstverständlichste von der Welt.
Hillegeist: Nein, Olah war doch ganz anders.
Hillegeist: Nun, es ist eine Binsenweisheit, daß kein Mensch ganz gut oder ganz schlecht ist. Und das Eigenartige an Olahs Persönlichkeit war doch dieser besonders scharfe Kontrast zwischen Licht- und Schattenseiten. Die Lichtseiten hat es eben auch gegeben, denn sonst wäre ja die Faszination nicht zu erklären, die von ihm ausging. Auf die Arbeiter, aber auch auf andere Leute, insbesondere auch auf den Parteinachwuchs. Olahs Gesinnung erschien mir damals schon fragwürdig. Aber zweifellos war er populär, weil er entscheidungsfreudig war, weil er initiativ war wie wenige sonst.
HILLEGEIST (zögernd): Er ... er kam mir oft nicht ganz richtig vor.
Hillegeist: So etwas kann nur ein Arzt beurteilen. Aber ich vermißte jedenfalls bei ihm das seelische Gleichgewicht. Olahs Hemmungslosigkeit hat mich oft erschüttert, wenn er bellte ...
Hillegeist: Wenn er jemanden gesucht hat, wenn er nach jemandem verlangt hat, und der kam nicht augenblicklich, dann ging’s gleich los, wie ein Trommelfeuer: „So ein Scheißkerl“, oder „Diese Weiber“, immer in dieser Tonart. Wie es um einen Menschen bestellt ist, erkennt man recht gut daran, wie er seine Untergebenen behandelt. Olah war häufig brutal zu den Untergebenen. Die Älteren waren für ihn allesamt „alte Teppen“. Sogar über Schärf ist er in dieser Art losgezogen.
Hillegeist: Es gab noch keine Handhabe. Vergessen Sie nicht, daß Olahs schlau eingefädelte finanzielle Transaktionen damals völlig geheim waren und wir nichts davon wußten.
Hillegeist: Ich möchte mich nicht reinwaschen, aber so groß waren meine Möglichkeiten auch wiederum nicht. Ich war Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten. Gegenüber Vertretern der Arbeitergewerkschaften hatte man keinen leichten Stand in Fragen der Führung. Das war so die Mentalität im ÖGB.
Hillegeist: Auch hier spielt die Tradition eine Rolle, aber erfreulicherweise heute immer weniger. Es gibt Anzeichen dafür, daß die Vorherrschaft der zwei Arbeitergewerkschaften mehr und mehr gemildert wird. Ich habe eigentlich schon das Eis gebrochen, indem ich als Vorsitzender der Privatangestellten ÖGB-Vizepräsident geworden bin. Mein Freund Rudi Häuser, der derzeitige Vorsitzende der Privatangestellten, ist dann widerspruchslos als mein Nachfolger im Präsidium akzeptiert worden. Als Vertreter der Privatangestellten habe ich damals mit dem Rücken zur Wand gekämpft. Denn es ging um nichts weniger als um die Erhaltung unserer Selbständigkeit als Fachgewerkschaft. Wir waren nicht so anerkannt wie die Arbeiter. Möglich, daß ich auch deshalb hinsichtlich Olah eher resigniert habe.
Hillegeist: Unmittelbar nach den Nationalratswahlen 1959 starb Johann Böhm. Kurz vorher hatte ich mit Böhm eine stundenlange Aussprache. Er war tief besorgt darüber, daß Olah den ÖGB einmal ins Unglück führen könnte. Böhm sagte zu mir wörtlich: „Warum bist du nicht ein Metallarbeiter, oder wenigstens ein Bauarbeiter? Du bist halt leider nur ein Angestellter!“ Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Mir liegt es fern, im Nachhinein zu behaupten, ich wäre der einzige Befähigte für Führungsaufgaben im ÖGB gewesen. Aber sicherlich war man als Vertreter der Angestellten damals nicht so einflußreich wie als Vertreter der Arbeiter.
Hillegeist: (nach einigem Nachdenken): Es wäre vielleicht zweckmäßig, diese Funktionen zu trennen, obwohl ich zu Klenner persönlich volles Vertrauen habe.
Hillegeist: Ja, dieser Aspekt kann eine Rolle spielen.
Hillegeist: Es gab keine solche Bewegung, und es war auch niemand da, der sie hätte führen können. Es gab aber etwas anderes: einen langsam anwachsenden Widerstand gegen Olah.
Hillegeist: Das ist grundfalsch. Olah wollte schließlich beides sein: ÖGB-Präsident und Innenminister. Benya und ich haben einen gewissen Anteil daran, daß es nicht zu dieser fürchterlichen Personalunion gekommen ist. Olah hatte ja stets einen fatalen Hang für den Innenministerposten, vielleicht bedingt durch seine lange Haftzeit. Ich sagte ihm damals: Nimm doch den Sozialministerposten. Nein, sagte er, davon verstehe ich nichts. Selten genug, daß er einmal zugab, etwas nicht zu verstehen ... Er konnte also nicht beides haben. Er mußte den ÖGB-Präsidenten abgeben. Das war 1963. Aber die wichtigste Entscheidung, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, ist schon ein Jahr vorher gefallen, am 17. Juli 1962. Damals ging es darum, wer Nachfolger Karl Maisels als Obmann der sozialistischen Gewerkschaftsfraktion wird. Olah wollte als ÖGB-Präsident zugleich auch Fraktionsobmann sein. Hier kann ich sagen, daß Benya und ich das verhindert haben. Obwohl wir damals noch nichts von den Transaktionen wußten. Aus prinzipiellen Erwägungen sagten wir uns, daß Olah nicht beide wichtigen Funktionen haben dürfe. Es wäre zuviel Macht in einer Hand gewesen. Olah schimpfte über die „Zweigleisigkeit“, aber er setzte seinen Willen nicht durch. Damit begann sein Abstieg. Seine Macht hatte den Höhepunkt überschritten — einerseits. Andererseits verstärkte sich sein Streben nach noch mehr politischer Macht außerhalb des ÖGB. Ich hatte immer mehr den Eindruck, daß ihn der ÖGB nicht mehr recht freute.
Hillegeist: Nein! Der überparteiliche Gewerkschaftsbund würde seinen Sinn verlieren, wenn die Fraktionen nichts anderes wären als verlängerte Arme der Parteien. Eine große politische Partei muß alle Kreise ansprechen, auch die SPÖ ist heute schon Volkspartei. Aber in den Gewerkschaftsbelangen ist die Partei sozusagen Vollzugsorgan.
Hillegeist: Es ist problematisch, wenn die Partei mit etwas vorprellt, nur weil sie jetzt einen Propagandaerfolg für die Wahl braucht. Durch dieses Vorprellen der Partei erschwert man es der Fraktion christlicher Gewerkschafter im ÖGB, in dieser Frage eine gemeinsame Linie mit der sozialistischen Fraktion zu beziehen. Denn die „Christlichen“ müssen doch auch auf ihre Partei eine gewisse Rücksicht nehmen.
Hillegeist: Natürlich, das hat es immer gegeben. Schon unter Böhm. Böhm hat dann oftmals bremsen müssen, weil es zuviel gewesen wäre. Denn da ist dann ja gleich der Altenburger gekommen, damit auch er etwas bekommt für seinen Bereich.
Hillegeist: Dazu möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts sagen. Ich bin mit Benya so gut, ich halte ihn für so fähig, es würde sich nicht gehören, wenn ich öffentlich dem ÖGB Ratschläge erteilte ... Na ja, jedenfalls wurde der ÖGB zum Nachdenken über manches gebracht.
Hillegeist: (mit Bitterkeit): Nur wär’s mir lieber, es hätte nie eines Olah bedurft, den ÖGB zum Nachdenken zu bringen.