FORVM, No. 143
November
1965

Recht und Logik

(II.)
voriger Teil: Recht und Logik

Die Anwendung der logischen Regel der Schlußfolgerung auf Forderungssätze erfolgt demnach nach Dubislav nach dem folgenden Grundsatz: „Ein Forderungssatz F heißt im weiteren Sinne ableitbar aus einem Forderungssatz E, wenn der zu F gehörende Behauptungssatz wenigstens aus dem zu E gehörenden Behauptungssatz in Verbindung mit wahren Behauptungssätzen ableitbar ist, die mit dem erstgenannten Behauptungssatz verträglich sind“ (S. 341). Auf das gegebene Beispiel angewendet: Der Forderungssatz „Kain soll Abel nicht töten“ ist aus dem Forderungssatz „Menschen sollen Menschen nicht töten“ insofern ableitbar, als der Behauptungssatz „Kain tötet nicht Abel“ aus dem Behauptungssatz „Menschen töten nicht Menschen“ und dem Behauptungssatz „Kain und Abel sind Menschen“ ableitbar ist.

Die Analogie trügt

Eine Analogie zwischen Wahrheit einer Aussage und Befolgung einer Norm scheint in der Tat in bezug auf die Anwendung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch und der Regel der Schlußfolgerung zu bestehen. So wie von zwei miteinander in einem Widerspruch stehenden Aussagen wie: „Alle Menschen sind sterblich — Alle Menschen sind nicht sterblich“, nur eine wahr sein kann, die andere unwahr sein muß, kann von zwei miteinander in Konflikt stehenden Normen wie: „Diebstahl an Verwandten soll bestraft werden — Diebstahl an Verwandten soll nicht bestraft werden“ nur eine befolgt, und dann muß die andere verletzt, d.h. nicht befolgt, werden. Und so, wie aus der Wahrheit der generellen Aussage: „Alle Menschen sind sterblich“ die Wahrheit der individuellen Aussage logisch folgt: „Der Mensch Sokrates ist sterblich“, so folgt aus der Befolgung der generellen Norm: „Alle Diebe sollen bestraft werden“, das heißt daraus, daß alle Diebe bestraft werden, logisch die Befolgung der individuellen Norm: „Der Dieb Schulze soll bestraft werden“, das heißt, daß der Dieb Schulze bestraft wird. Sieht man aber näher zu, liegt die angenommene Analogie nicht oder doch nur in einem sehr beschränkten Maße vor; und hat das, was tatsächlich vorliegt, keinerlei Konsequenz für die Anwendbarkeit logischer Prinzipien auf die befolgten Normen.

Zunächst muß festgestellt werden, daß zwischen Wahrheit und Unwahrheit zweier in Widerspruch stehender genereller Aussagen und Befolgung und Nichtbefolgung zweier in Konflikt stehender genereller Normen ein wesentlicher Unterschied besteht. Die Norm: „Diebstahl an Verwandten soll bestraft werden“, kann von einem Richter befolgt und daher die Norm: „Diebstahl an Verwandten soll nicht bestraft werden“, von diesem Richter nicht befolgt werden; aber von einem anderen Richter kann die zweite Norm befolgt und daher die erste nicht befolgt werden. Ja, ein und derselbe Richter kann das eine Mal die erste Norm befolgen und dabei die zweite nicht befolgen, ein anderes Mal aber umgekehrt die zweite Norm befolgen und dabei die erste nicht befolgen. Jede der beiden in Konflikt stehenden Normen kann also sowohl befolgt als nicht befolgt werden, und beide können daher bis zu einem gewissen Grade wirksam sein. Die Unvereinbarkeit der Befolgung der einen mit der Befolgung der anderen Norm ist auf das Verhalten ein und desselben Menschen und auf die Dauer der Befolgung einer der beiden in Konflikt stehenden Normen beschränkt. Von zwei miteinander in Widerspruch stehenden Aussagen kann aber nicht eine wahr und unwahr sein und nicht für einen Menschen wahr und für einen anderen unwahr sein. Wenn sie wahr ist, ist sie für alle Menschen wahr und die andere für alle Menschen unwahr. Und die Unvereinbarkeit der Wahrheit der einen Aussage mit der Wahrheit der anderen ist nicht auf irgendeine Zeitdauer beschränkt. Wenn die eine wahr ist, ist sie immer wahr und die andere immer unwahr. Von einer wirklichen Analogie zwischen Wahrheit einer Aussage und Befolgung einer Norm kann somit keine Rede sein.

Aussage und Norm

Vor allem aber ist zu beachten, daß Wahrheit und Unwahrheit Eigenschaften einer Aussage sind, Befolgung und Nichtbefolgung aber nicht Eigenschaften einer Norm, sondern Eigenschaften eines bestimmten Verhaltens. Ob eine Norm befolgt oder nicht befolgt wird, sieht man der Norm nicht an. Das weiß man erst, wenn in der Wirklichkeit des Seins ein bestimmtes Verhalten vorliegt, das mit dem in der Norm als gesollt gesetzten Verhalten verglichen werden kann. Das Verhalten des Richters, der einen Diebstahl an Verwandten bestraft, hat die Eigenschaft, Befolgung der Norm zu sein, die vorschreibt, Diebstahl an Verwandten zu bestrafen, und hat die Eigenschaft, Nichtbefolgung der Norm zu sein, die vorschreibt, Diebstahl an Verwandten nicht zu bestrafen. Daß, wenn jemand eine Norm befolgt, er nicht zugleich die mit dieser Norm in Konflikt stehende Norm befolgen, das heißt aber, die erste Norm nicht zugleich befolgen und nicht befolgen kann, ist in der Tat die Anwendung des logischen Prinzips vom ausgeschlossenen Widerspruch. Denn dieses Prinzip bedeutet nichts anderes als: wenn wahr ist, daß ein Mensch sich in bestimmter Weise verhält, kann es nicht wahr sein, daß er sich nicht in dieser Weise verhält. Das aber ist die Anwendung des logischen Prinzips vom ausgeschlossenen Widerspruch auf zwei Aussagen über Seinstatsachen. Daß das logische Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs auf solche Aussagen anwendbar ist, steht aber nicht in Frage. Was in Frage steht, ist, ob dieses Prinzip auf Normen anwendbar ist. Und aus der Antwort auf die erste Frage folgt schlechterdings nichts für die Antwort auf die zweite.

Dasselbe trifft zu für die Regel der Schlußfolgerung. Daß aus der Wahrheit der Aussage: „Die generelle Norm ‚Alle Diebe sollen bestraft werden‘ wird befolgt“, das ist die Wahrheit der Aussage: „Alle Diebe werden bestraft“, die Wahrheit der Aussage logisch folgt: „Die individuelle Norm ‚Der Dieb Schulze soll bestraft werden‘ wird befolgt“, das ist die Wahrheit der Aussage „Der Dieb Schulze wird bestraft“, steht außer Frage. Was nun die Anwendbarkeit der logischen Regel der Schlußfolgerung auf Rechtsnormen betrifft, so steht in Frage, ob aus der Geltung einer generellen Norm wie etwa: „Alle Diebe sollen bestraft werden“ die Geltung einer individuellen Norm wie: „Der Dieb Schulze soll bestraft werden“ logisch ebenso folgt, wie aus der Wahrheit der generellen Aussage: „Alle Menschen sind sterblich“ die Wahrheit der individuellen Aussage: „Der Mensch Sokrates ist sterblich“ logisch folgt. Und diese Frage muß verneint werden, sofern es sich dabei um positive Normen handelt. Und nur um solche kann es sich im Bereich der Rechtswissenschaft als einer Wissenschaft vom positiven Recht handeln.

Recht ist Willensakt

Die individuelle Norm, deren Geltung in Frage steht: „Der Dieb Schulze soll bestraft, das heißt ins Gefängnis gesetzt werden“, kann als positive Norm nur gelten, wenn sie durch einen Willensakt des zuständigen Richters gesetzt wurde. Keine Norm ohne eine diese Norm setzende Autorität, das heißt: Keine Norm ohne einen Willensakt, dessen Sinn diese Norm ist. [11] Nun ist zweifellos möglich, daß die generelle Norm: „Alle Diebe sollen bestraft, d.h. ins Gefängnis gesetzt werden“, weil im Wege der Gesetzgebung erzeugt, gelten und die Aussage: „Schulze ist ein Dieb“ wahr sein, ja selbst durch das zuständige Gericht gemacht sein kann, und daß dennoch die individuelle Norm: „Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“ nicht gilt, weil das zuständige Gericht aus irgendeinem Grunde diese individuelle Norm nicht gesetzt hat; sei es, weil es überhaupt über den Fall eines durch Schulze begangenen und sogar von dem Gericht festgestellten Diebstahls nicht entschieden hat, sei es, weil es — aus irgendeinem Grund — den Dieb Schulze freigesprochen, das heißt entschieden, die individuelle Norm gesetzt hat, daß Schulze, obgleich er gestohlen hat, nicht bestraft, d.h. nicht ins Gefängnis gesetzt werden soll, und diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist. Die individuelle Norm: „Der Dieb Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“ kann nur der Sinn eines Willensaktes sein, und ein solcher Willensakt kann nicht im Wege einer logischen Schlußfolgerung, das ist durch eine Denkoperation, erzielt werden. Wenn es wahr ist, daß alle Menschen sterblich sind, kann nur wahr sein, daß der Mensch Sokrates sterblich ist, nicht aber, daß der Mensch Sokrates nicht sterblich ist. Aber wenn die generelle Norm gilt: „Alle Diebe sollen ins Gefängnis gesetzt werden“, kann dennoch — wie gezeigt — die individuelle Norm gelten: „Der Dieb Schulze soll nicht ins Gefängnis gesetzt werden.“

Durch gerichtliche Entscheidung kann neues Recht in Geltung gesetzt werden, das zur Geltung genereller, durch Gesetzgebung erzeugter Normen nicht nur in einem konkreten Fall, sondern für alle Fälle in Konflikt steht, auf die sich die generelle, durch Gesetzgebung erzeugte Norm bezieht. Das trifft zu, wenn durch richterliche Entscheidungen Gewohnheitsrecht erzeugt wird, das von geltendem Gesetzesrecht abweicht. Etwas Analoges kann es im Bereich der Logik der Aussagen, d.h. der Sinngehalte, die wahr oder unwahr sind, nicht geben. Die Wahrheit einer individuellen Aussage, die die Schlußfolgerung in einem theoretischen Syllogismus ist, kann nicht in einem Widerspruch zu der Wahrheit einer generellen Aussage stehen, die den Obersatz dieses Syllogismus bildet.

Die Wahrheit der als Schlußfolgerung fungierenden Aussage: „Sokrates ist sterblich“ ist in der Wahrheit der beiden als Prämissen fungierenden Aussagen „Alle Menschen sind sterblich“ und „Sokrates ist ein Mensch“ impliziert. Aber die Geltung der individuellen Norm: „Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“ ist nicht in der Geltung der generellen Norm: „Alle Diebe sollen ins Gefängnis gesetzt werden“ und der Wahrheit der Aussage: „Schulze ist ein Dieb“ impliziert. Denn die individuelle Norm gilt nur, wenn sie durch den Willensakt des zuständigen Gerichtes gesetzt ist. Ihre Geltung ist durch diesen Akt ihrer Setzung bedingt, während die Wahrheit der Aussage „Sokrates ist sterblich“ von der Tatsache, daß sie gemacht, d.h. gedacht und ausgesprochen wird, unabhängig ist. Wenn es wahr ist, daß alle Menschen sterblich sind, dann ist wahr, daß der Mensch Sokrates sterblich ist, auch wenn niemand dies gedacht oder ausgesprochen hat. Etwas muß gedacht und ausgesprochen werden, nicht um wahr zu sein, sondern um als wahr oder unwahr beurteilt werden zu können. Die Logik bezieht sich nicht auf Denkakte, sondern auf deren Sinn; es ist die Psychologie, die sich auf die Denkakte bezieht.

Aussage und Wahrheit

Was die Logik über den theoretischen Syllogismus aussagt, ist dies: wenn ein Sinngehalt als Obersatz und ein Sinngehalt als Untersatz wahr sind, ist ein Sinngehalt, der in den beiden Prämissen impliziert ist, als Schlußsatz wahr. Gleichgültig, ob diese Sinngehalte als solche tatsächlich erfolgender Denkakte auftreten, das heißt, gleichgültig, ob sie von einem Menschen tatsächlich gedacht oder nicht gedacht sind. Da mit dem Wort „Aussage“ nicht nur der Sinn eines Denkaktes, sondern auch der Denk- und Sprechakt selbst bezeichnet wird, wäre es empfehlenswert, nicht von der Anwendung logischer Prinzipien auf Aussagen, sondern von der Anwendung logischer Prinzipien auf Sinngehalte zu sprechen, die wahr oder unwahr sind. Der Aussageakt ist weder wahr noch unwahr, nur sein Sinngehalt kann wahr oder unwahr sein. In der Frage nach der Anwendbarkeit von logischen Prinzipien auf positive Normen der Moral oder des Rechts kann man aber von dem Willensakt, dessen Sinn sie sind, nicht absehen. Denn, wie bemerkt, die Geltung einer Norm ist von dem Willensakt bedingt, dessen Sinn sie ist.

Die individuelle Norm: „Der Dieb Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“, könnte in der generellen Norm: „Alle Diebe sollen ins Gefängnis gesetzt werden“ impliziert sein, nur wenn der Willensakt, dessen Sinn die individuelle Norm ist, in dem Willensakt, dessen Sinn die generelle Norm ist, impliziert wäre. Aber der Gesetzgeber, der will, daß alle Diebe ins Gefängnis gesetzt werden sollen, kann nicht schon wollen, daß Schulze, der dem Meier ein Pferd gestohlen hat, ins Gefängnis gesetzt werden soll, da er nicht wissen kann, daß ein Mensch Schulze existieren und dem Meier ein Pferd stehlen wird. Denn man kann nicht wollen, wovon man nichts weiß, und der Wille, dessen Sinn die Norm ist: „Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“, ist die Bedingung der Geltung dieser Norm als einer positiven Norm. Nur das Gericht, das festgestellt hat, daß Schulze dem Meier ein Pferd gestohlen hat, kann wollen, daß der Dieb Schulze ins Gefängnis gesetzt werden soll. Und der Richter ist ein von dem Gesetzgeber verschiedener Mensch. Sein Willensakt kann nicht in dem Willensakt eines anderen Menschen impliziert sein.

Gesetzgeber und Richter

Aber auch wenn der Gesetzgeber zugleich Richter ist, folgt seine konkrete Entscheidung nicht mit logischer Notwendigkeit aus der angewendeten, von ihm gesetzten generellen Norm, ist die Geltung dieser individuellen Norm nicht in der Geltung der generellen Norm impliziert. Es ist durchaus möglich, daß ein Gesetzgeber als Richter, ohne sein Gesetz abzuändern — was nur durch einen neuen Willensakt erfolgen kann — eine konkrete richterliche Entscheidung trifft, die der von ihm im Gesetz statuierten generellen Norm nicht entspricht. Diese individuelle Entscheidung gilt nur, wenn sie als Sinn eines Willensaktes auftritt, der von dem Willensakt verschieden ist, dessen Sinn die generelle Norm ist. Dies auch dann, wenn der Gesetzgeber als Richter eine der von ihm gesetzten generellen Norm entsprechende richterliche Entscheidung trifft. Von Implikation der individuellen in der generellen Norm, und das heißt: von Implikation des Willensaktes, dessen Sinn die individuelle Norm ist, in dem Willensakt, dessen Sinn die generelle Norm ist, kann keine Rede sein. Daher kann es einen normativen Syllogismus, dessen Obersatz eine generelle Norm ist, und dessen Schlußsatz eine individuelle Norm ist, nicht geben.

Was man von der Beziehung zwischen der generellen Norm: „Alle Diebe sollen ins Gefängnis gesetzt werden“ und der individuellen Norm: „Der Dieb Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“ sagen kann, ist dies: Wenn die generelle Norm gilt, daß alle Diebe ins Gefängnis gesetzt werden sollen, und wenn das zuständige Gericht festgestellt hat, daß Schulze ein Dieb ist, und wenn das zuständige Gericht einen Akt gesetzt hat, dessen subjektiver Sinn ist, daß Schulze ins Gefängnis gesetzt werden soll, dann entspricht der Sinn des Aktes des Gerichts der von diesem anzuwendenden generellen Norm, dann kann die Geltung der den Sinn dieses Aktes bildenden individuellen Norm mit der Geltung der generellen Norm begründet werden. Daraus ergibt sich, daß die generelle, von dem Gericht anzuwendende Norm nicht richtig formuliert ist in dem Satz: „Alle Diebe sollen bestraft, d.h. ins Gefängnis gesetzt werden.“ Sie lautet richtig formuliert: „Wenn ein zuständiges Gericht festgestellt hat, daß ein Mensch gestohlen hat, soll dieses Gericht einen Akt setzen, dessen subjektiver Sinn ist, daß dieser Mensch ins Gefängnis gesetzt werden soll.“

Das Verfahren der Rechtsanwendung geht gemäß einer technisch fortgeschrittenen Rechtsordnung in drei Stufen vor sich: Zunächst Feststellung des Unrechtstatbestandes, dann ein an ein Vollstreckungsorgan gerichteter Befehl des Gerichtes, den in der generellen Norm bestimmten Zwangsakt, die Sanktion, zu vollstrecken. Dieser Befehl ist die durch die Gerichte zu setzende individuelle Norm. Schließlich die Vollstreckung dieser individuellen Norm durch ein von dem Gericht verschiedenes Vollstreckungsorgan.

Die in der generellen Norm statuierte Bedingung ist nicht ein Unrechtstatbestand an sich, sondern die Feststellung eines Tatbestandes durch ein zuständiges Gericht; und die in der generellen Norm als gesollt gesetzte Folge ist nicht ein bestimmter Zwangsakt, sondern ein Akt des rechtsanwendenden Organs, insbesondere eines zuständigen Gerichtes, dessen subjektiver Sinn ist, daß ein bestimmter Zwangsakt gesetzt werden soll. Was vorliegt, ist somit gar nicht eine unmittelbare Beziehung zwischen der generellen Norm: „Alle Diebe sollen ins Gefängnis gesetzt werden“ und der individuellen Norm: „Der Dieb Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“, sondern eine Beziehung zwischen der Geltung der generellen Norm und einem Akt des Gerichtes, dessen subjektiver Sinn der generellen Norm entsprechen, aber auch der generellen Norm nicht entsprechen kann. Entspricht die von dem Gericht gesetzte individuelle Norm der von dem Gericht anzuwendenden generellen Norm, kann die Geltung der individuellen Norm durch die Geltung der generellen Norm begründet werden. Das bedeutet aber nicht, daß die Geltung der individuellen, von dem rechtsanwendenden Organ zu setzenden Norm logisch aus der Geltung der anzuwendenden generellen Norm folgt. Wenn das Gericht, trotz seiner Feststellung, daß ein bestimmter Mensch gestohlen hat, diesen Menschen freispricht, das heißt, wenn der subjektive Sinn seines Aktes nicht ist, daß dieser Mensch ins Gefängnis gesetzt werden soll, sondern daß er nicht ins Gefängnis gesetzt werden soll, kann die Geltung dieser individuellen Norm durch die Geltung der generellen Norm betreffend Diebstahl nicht begründet werden. Daß sie durch die Geltung der generellen Norm betreffend die Rechtskraft richterlicher Entscheidungen begründet werden kann, kommt hier nicht in Frage.

Räuber und Richter

Der Gerichtsakt ist, wie bemerkt, ein auf das Verhalten eines anderen Organs, des Vollstreckungsorgans, gerichteter Willensakt, das heißt ein Befehlsakt. Der subjektive Sinn jedes Befehlsaktes ist ein Sollen; auch des Aktes, mit dem ein Straßenräuber jemandem befiehlt, er solle ihm sein Geld ausliefern. Aber der subjektive Sinn eines Befehlsaktes ist nur dann auch sein objektiver Sinn, und das heißt eine verbindliche Norm, wenn der Akt durch eine als gültig vorausgesetzte Norm ermächtigt ist. Wer den Befehl eines Straßenräubers nicht befolgt, verletzt keine Norm, ist nicht verpflichtet zu gehorchen wie derjenige, der den gesetzmäßigen Befehl eines Verwaltungs- oder Gerichts-Organs nicht befolgt. Das ist der Unterschied zwischen dem Befehl eines Straßenräubers und dem Befehl eines Rechtsorgans. Daß die Geltung der durch das Gericht gesetzten individuellen Norm mit der Geltung der generellen durch den Gesetzgeber gesetzten Norm begründet werden kann, bedeutet, daß der subjektive Sinn des Gerichtsaktes auch sein objektiver, d.h. eine gültige Norm, ist, weil der Gerichtsakt durch eine als gültig vorausgesetzte Norm ermächtigt ist. [12]

Dieser Sachverhalt kann in dem folgenden Syllogismus dargestellt werden:

Obersatz: Der subjektive Sinn eines auf das Verhalten eines anderen gerichteten Willensaktes, d.i. eines Befehlsaktes, ist auch sein objektiver Sinn, das heißt eine gültige Norm, wenn der Akt durch eine als gültig vorausgesetzte Norm ermächtigt ist.

Untersatz: a) Eine generelle Norm gilt: Wenn ein zuständiges Gericht festgestellt hat, daß ein Mensch gestohlen hat, soll das Gericht einen Akt setzen, dessen subjektiver Sinn ist, daß dieser Mensch durch ein Vollstreckungsorgan ins Gefängnis gesetzt werden soll.

b) Ein zuständiges Gericht hat festgestellt, daß Schulze gestohlen hat, und hat einen Akt gesetzt, dessen subjektiver Sinn ist, daß der Dieb Schulze ins Gefängnis gesetzt werden soll.

Schlußsatz: Der subjektive Sinn des Gerichtsaktes, daß Schulze ins Gefängnis gesetzt werden soll, ist auch sein objektiver Sinn, d.h. eine gültige Norm. Mit dem Schlußsatz wird die Geltung der von dem Gericht gesetzten individuellen Norm mit der Geltung der von dem Gericht anzuwendenden generellen Norm begründet. Diese Begründung erfolgt aber nicht in einem normativen, sondern in einem theoretischen Syllogismus, da weder Obersatz noch Schlußsatz Normen, sondern Aussagen, und zwar Aussagen über die Geltung von Normen, sind. In diesem Syllogismus wird ausgesagt: Wenn es wahr ist, was der Obersatz besagt, und wenn es wahr ist, was die beiden Untersätze besagen, dann ist wahr, was der Schlußsatz besagt. Die Geltung der individuellen durch das Gericht zu setzenden Norm wird nicht logisch gefolgert, sondern die Aussage über ihre Geltung wird als Prämisse vorausgesetzt.

In dem gegebenen Beispiel sind Obersatz, Untersatz und Schlußsatz des Syllogismus nicht Normen, sondern Aussagen über Normen. Auf Aussagen über Normen ist nicht nur die Regel der Schlußfolgerung, sondern auch der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch anwendbar. Die beiden Aussagen: „In der Rechtsordnung R gilt die Norm: ‚Ehebruch soll bestraft werden‘“, und: „In der Rechtsordnung R gilt die Norm nicht: ‚Ehebruch soll bestraft werden‘“ stehen in einem logischen Widerspruch; nur die eine oder die andere kann wahr sein. Daß die beiden logischen Prinzipien auf Aussagen über Normen anwendbar sind, ist selbstverständlich, weil die Logik auf alle Aussagen anwendbar ist.

Gesetzbuch und Lehrbuch

Der Irrtum, daß die beiden in Frage stehenden Prinzipien auf Rechtsnormen anwendbar sind, rührt zum Teil daher, daß man Rechtsnormen und Aussagen über Rechtsnormen nicht deutlich auseinanderhält. Diese sehr häufige Vermengung der Norm mit der Aussage über die Norm ist darum bis zu einem gewissen Grade erklärlich — aber nicht entschuldbar —, weil sowohl die Norm wie die Aussage über die Norm in einem Soll-Satz formuliert wird und beide Sätze gleich lauten können, aber doch verschiedenen Sinn haben. Von dem Gesetzgeber statuiert, ist der Satz: „Diebe sollen mit Gefängnis bestraft werden“ eine Norm. Das Sollen hat hier eine vorschreibende Bedeutung. In einem Lehrbuch des Strafrechts kann die Aussage über diese Norm in dem Satz formuliert werden: „Diebe sollen mit Gefängnis bestraft werden“, also mit dem Satz des Gesetzgebers gleichlautend sein. Und der Satz des Lehrbuchs muß ein Soll-Satz und kann kein Seins-Satz sein. Denn wenn er lautete: „Diebe werden mit Gefängnis bestraft“, wäre er unwahr, da Diebe sehr häufig tatsächlich nicht bestraft werden. Aber in dem Satz des Lehrbuchs, der ein Satz über eine Rechtsnorm ist, hat das Sollen keine vorschreibende Bedeutung; denn der Verfasser des Lehrbuchs ist nicht zuständig, etwas vorzuschreiben; sondern hat eine beschreibende Bedeutung. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die in meiner Reinen Rechtslehre (2. Aufl., 1960), S. 77, zitierten Ausführungen Sigwarts (Logik, S. 17ff.) betreffend die doppelte Bedeutung des Sollens.

Aus dem bisher Dargestellten ergibt sich, daß die beiden wichtigsten logischen Prinzipien, der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch und die Regel der Schlußfolgerung auf die Beziehungen zwischen Normen eines positiven Rechts, weder direkt noch — wie ich allerdings noch in meiner Schrift Reine Rechtslehre (2. Aufl., 1960) angenommen habe — indirekt anwendbar sind. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß zwischen Normen überhaupt keine logischen Beziehungen bestehen. So z.B. die Beziehung zwischen zwei generellen Normen, die sich nur durch den Grad ihres generellen Charakters unterscheiden, eine Beziehung, die von der Beziehung zwischen einer generellen und der ihr entsprechenden individuellen Norm unterschieden werden muß. Aber auch in dem Verhältnis zwischen einer generellen Norm und der ihr entsprechenden, von dem rechtsanwendenden Organ gesetzten individuellen Norm besteht eine logische Beziehung insoferne, als der von dem Gericht in concreto festgestellte Tatbestand unter den in der generellen Norm in abstracto bestimmten Tatbestand subsumiert werden kann.

Diese Subsumtion ist logisch von der gleichen Art wie die Subsumtion einer konkreten Vorstellung unter einen abstrakten Begriff. Der Richter subsumiert den von ihm in einem konkreten Falle festgestellten Tatbestand: Meier hat absichtlich durch Erschießen den Tod des Schulze herbeigeführt, unter den in der generellen Norm enthaltenen Begriff des Mordes. Sieht die generelle Norm für Mord als Strafe Tod durch Erhängen vor und verurteilt der Richter den Meier zum Tod durch Erhängen, entspricht die individuelle Norm der generellen Norm. Diese Beziehung der Entsprechung ist eine Subsumtions-Beziehung, und insofern die hier vorliegende Subsumtion eine logische Beziehung ist, besteht zwischen der generellen Norm und der individuellen Norm, in der die generelle Norm auf einen konkreten Tatbestand angewendet wird, eine logische Beziehung. Aber das bedeutet nicht, daß die Geltung der individuellen Norm logisch aus der Geltung der generellen Norm folgt. Und das ist die entscheidende Frage, wenn es sich um die Anwendung der Regel der Schlußfolgerung im Rechtsverfahren handelt. Auch ist die richterliche Feststellung, daß in concreto ein Tatbestand gegeben ist, der in abstracto in der von dem Richter anzuwendenden generellen Norm (als Begriff eines Tatbestandes) bestimmt ist, nicht nur logisch eine Subsumtion, sondern hat rechtlich konstitutiven Charakter. Sie schafft die Voraussetzung für die Setzung der individuellen Norm des Richters. Sie ist somit ein wesentlicher Bestandteil des Rechtserzeugungsverfahrens; also keine bloße Erkenntnisfunktion, sondern, als Bestandteil des Rechtserzeugungsverfahrens, auch eine Willensfunktion.

Natur- und Rechtswissenschaft

Es läge nahe, in bezug auf die Anwendbarkeit logischer Prinzipien das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und ihrem Gegenstand, die Wirklichkeit der Natur, mit dem Verhältnis der Rechtswissenschaft und ihrem Gegenstand, die positiven Rechtsnormen, in Parallele zu setzen und zu argumentieren: So wie die Logik auf die Naturwissenschaft, nicht aber auf ihren Gegenstand, die Naturwirklichkeit, anwendbar ist, so ist die Logik auf die Rechtswissenschaft, aber nicht auf ihren Gegenstand, die Rechtsnormen, anwendbar. Diese Parallele besteht aber nicht oder nur bis zu einem gewissen Grade. Der entscheidende Unterschied liegt darin, daß der Gegenstand der Rechtswissenschaft, die Rechtsnormen, sich in Sätzen darstellen, in denen abstrakte Begriffe und konkrete Vorstellungen zum Ausdruck kommen können; und daher im Verhältnis zwischen Normen die Beziehungen zwischen mehr oder weniger abstrakten Begriffen und die Beziehungen zwischen abstrakten Begriffen und konkreten Vorstellungen auftreten. Diese Beziehungen sind aber logischer Natur.

Schließlich wäre noch die Frage zu beantworten, ob es eine spezifisch „juristische“ Logik gibt. In der juristischen Literatur wird mitunter die Ansicht vertreten, daß die in der Rechtswissenschaft insbesondere auf die Rechtsnormen angewendete Logik nicht die allgemeine formale Logik, sondern eine von dieser verschiedene spezifische „juristische“ Logik sei. Für die Existenz einer spezifisch juristischen Logik werden vor allem der von Juristen angewendete sogenannte Analogieschluß und das von ihnen immer wieder verwendete argumentum a maiore ad minus ins Feld geführt.

Der Analogieschluß, das argumentum a simile, tritt vor allem in gerichtlichen Entscheidungen auf, wenn es gilt, eine generelle Rechtsnorm auf einen konkreten Fall anzuwenden. Sein Wesen besteht darin, daß der Richter eine geltende generelle Rechtsnorm auf einen Tatbestand anwendet, der dem in der generellen Rechtsnorm in abstracto bestimmten Tatbestand zwar nicht gleich, aber nach Ansicht des Richters ähnlich ist oder — wie das mitunter formuliert wird — mit dem in der angewendeten Rechtsnorm bestimmten Tatbestand im wesentlichen übereinstimmt. Daß eine solche „Ähnlichkeit“ oder „wesentliche Übereinstimmung“ vorliegt, ist ein höchst subjektives Urteil, und was dem einen Richter als „ähnlich“ oder „wesentliche Übereinstimmung“ erscheint, mag einem anderen Richter nicht so erscheinen.

Vom Geist der Gesetze

Indem die Rechtsordnung das rechtsanwendende Organ ermächtigt, geltende generelle Rechtsnormen per analogiam anzuwenden, gewährt sie dem rechtsanwendenden Organ einen weiten Spielraum freien Ermessens, innerhalb dessen dieses Organ neues Recht für den ihm vorliegenden Fall schaffen kann. Man sucht daher in der juristischen Theorie dieses Ermessen des Richters als eingeschränkt nachzuweisen, indem man behauptet, der Richter müsse, wenn er den ihm vorliegenden Tatbestand als mit dem in der anzuwendenden Norm bestimmten Tatbestand als ähnlich oder im wesentlichen übereinstimmend annimmt, sich an den „Geist des Gesetzes“ halten. Was der „Geist des Gesetzes“ ist, kann natürlich nur der Richter selbst bestimmen, und diese Bestimmung kann in verschiedenen, von verschiedenen Richtern zu entscheidenden Fällen sehr verschieden ausfallen.

Der „Geist des Gesetzes“ ist — im Grunde — eine Fiktion, die dazu dient, den Schein aufrechtzuerhalten, daß der Richter, auch in Fällen einer sogenannten Analogieentscheidung, nur geltendes Recht anwendet, während er in Wahrheit für den konkreten Fall neues Recht schafft. Dazu muß er von der Rechtsordnung ermächtigt sein. Das geht daraus hervor, daß eine Entscheidung per analogiam in gewissen Fällen, nämlich für strafgerichtliche Entscheidungen, verboten ist. Ein solches Verbot setzt aber voraus, daß solche Entscheidungen in anderen Fällen — wenn auch nicht ausdrücklich, so doch stillschweigend — erlaubt sind. Was tatsächlich vorliegt, wenn die traditionelle Jurisprudenz von einer richterlichen Entscheidung per analogiam spricht, ist keineswegs ein Schluß, in dem aus der Geltung einer positiven generellen Norm die Geltung der individuellen Norm der richterlichen Entscheidung logisch folgt, sondern die durch die geltende Rechtsordnung ermächtigte Setzung einer individuellen Norm, die keiner materiellen, inhaltlich bestimmten generellen Rechtsnorm entspricht.

Das zeigt sich sehr deutlich in dem Beispiel, das Ulrich Klug (a.a.O., S. 125) von einem juristischen Analogieschluß gibt. Die Vorschriften der §§ 433 ff. BGB, die nur entgeltliche Eigentumsübertragung von Sachen regeln, werden im Wege der Analogie auf die entgeltliche Übertragung von Handelsgeschäften im ganzen — einschließlich der Kundschaft — angewendet. Die entgeltliche Übertragung eines Handelsgeschäftes samt Kundschaft ist offenbar nicht die entgeltliche Übertragung einer Sache. Der Richter, der auf den ersteren Sachverhalt die Vorschriften anwendet, die das Gesetz nur für den zweiten Sachverhalt statuiert, setzt eine individuelle Norm, die keiner generellen Norm entspricht. Er schafft neues Recht. Und die Geltung dieser individuellen Norm kann nicht nur darum nicht im Wege einer logischen Schlußfolgerung erzielt werden, weil es an der als Obersatz fungierenden generellen Norm fehlt, sondern auch — und vor allem — darum, weil, wie im Vorhergehenden schon mit Nachdruck betont wurde, die Geltung jeder positiven Norm, und so auch der die richterliche Entscheidung darstellenden individuellen Norm, durch einen Willensakt bedingt ist, dessen Sinn sie ist; und dieser Willensakt nicht im Wege einer logischen, d.h. einer Denkoperation produziert werden kann.

Logik und Psychologie

Dazu muß noch bemerkt werden, daß die Frage, ob der sogenannte Analogieschluß überhaupt in der Logik Platz hat, bestritten ist. Der Analogieschluß ist ein Wahrscheinlichkeitsschluß, d.h. dem Satz, den man als Schlußsatz darstellt, kommt nicht strikte Wahrheit, sondern nur ein größerer oder geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit zu. Ernst Mach hat in seinem Werk Erkenntnis und Irrtum, 4. Aufl., 1920, S. 225, behauptet, daß Analogieschlüsse kein Gegenstand der Logik, sondern der Psychologie seien. Stellt das, was man einen Analogieschluß nennt, überhaupt kein logisches Verfahren dar, trifft dies auf den sogenannten juristischen Analogieschluß noch viel mehr zu. Denn die Setzung der individuellen Norm durch das rechtsanwendende Organ erfolgt — wie gezeigt — sogar in dem Falle, in dem diese individuelle Norm einer schon geltenden generellen Norm entspricht, die an einen von ihr generell bestimmten Tatbestand eine von ihr generell bestimmte Rechtsfolge knüpft und daher nicht — wie im Falle des sogenannten juristischen Analogieschlusses — neues Recht schafft, nicht im Wege eines logischen Denkverfahrens.

Das argumentum a maiore ad minus wird in der Weise angewendet, daß — wie Klug (S. 137) formuliert — „von der Gültigkeit eines Rechtssatzes für eine allgemeine Klasse von Fällen auf die Gültigkeit dieses Rechtssatzes für spezielle Fälle geschlossen“ wird. Als Beispiel führt er an: Gemäß § 49b Abs. III StGB bleibt „derjenige Teilnehmer an einer Verbindung, die Verbrechen wider das Leben bezweckt oder als Mittel für andere Zwecke in Aussicht nimmt, straffrei, welcher der Behörde oder dem Bedrohten so rechtzeitig Nachricht gibt, daß ein in Verfolgung der Bestrebungen der Verbindung beabsichtigtes Verbrechen wider das Leben verhindert werden kann“. Daraus schließt man auf die Geltung der Norm, daß die tatsächliche Verhinderung straffrei ist. Das heißt: aus der Geltung der positiv gesetzten generellen Norm, die vorschreibt, daß der Nachrichtengeber nicht bestraft werden soll, folgt logisch die Geltung einer nicht positiv gesetzten generellen Norm, die vorschreibt, daß derjenige, der das Verbrechen tatsächlich verhindert, nicht bestraft werden soll. Hier liege, sagt Klug, das Schema der klassischen Logik vor:

  • Alle S sind P (propositio subalternans).
  • Einige S sind P (propositio subalternata).

Dieses Schema läge aber nur vor, wenn man schließen würde:

  • Alle Nachrichtengeber sind straffrei.
  • Einige Nachrichtengeber sind straffrei.

Allerdings bemerkt Klug später, daß bei dem angegebenen Beispiel „vorausgesetzt wurde, daß die gesetzliche Regelung die Klasse der von ihr betroffenen Fälle so allgemein festgelegt hat, daß die zunächst zweifelhaft erscheinenden Fälle als Spezialfälle in die allgemeine Klasse mit hinein gehören“. Das heißt aber: man interpretiert die generelle Rechtsnorm, die vorschreibt, daß der Nachrichtengeber nicht bestraft werden soll, dahin, daß sie auch vorschreibt, daß derjenige, der das Verbrechen tatsächlich verhindert, nicht bestraft werden soll, da man annimmt, daß, wenn der Gesetzgeber an den Fall der tatsächlichen Verhinderung gedacht hätte, er vorgeschrieben hätte, daß auch derjenige, der das Verbrechen tatsächlich verhindert, nicht bestraft werden soll. Das heißt aber, daß man nicht von der Geltung der einen generellen Norm auf die Geltung der anderen generellen Norm logisch schließt, sondern auf Grund einer teleologischen Erwägung die Geltung der nicht positiv gesetzten Norm als schon vorhanden annimmt. Das mag von einem teleologischen Standpunkt aus gerechtfertigt sein. Aber eine logische Schlußfolgerung kommt nicht in Betracht.

„Juristische Logik“

Klug bemerkt auch: „Man darf sich allerdings nicht verhehlen, daß der Gebrauch des Ausdrucks argumentum a maiore ad minus in der juristischen Praxis außerordentlich ungenau ist. Es fehlt an einem präzisen Hinweis auf die logische Struktur des Schlusses. Die Vermutung liegt nahe, daß mancher Autor von der Verwendung dieses der klassischen Logiktheorie entliehenen Terminus Abstand nehmen würde, wenn ihm die genaue Struktur dieses Subalternationsschlusses zumindest im Sinne der konventionellen Logik, geschweige denn im Sinne der modernen Theorie bekannt wäre.“ Wenn man die Struktur des Subalternationsschlusses in Betracht zieht, kann das, was man in der traditionellen Jurisprudenz ein argumentum a maiori ad minus nennt, überhaupt nicht als ein logischer Schluß angesehen werden. Was vorliegt ist, was Klug als „Interpretationsargumente“ bezeichnet, von denen er sagt, daß sie keine besonderen logischen Operationen darstellen, sondern der Feststellung rechtlicher Thesen dienen. Von einer spezifisch „juristischen“ Logik kann also keine Rede sein. Es ist die allgemeine Logik, die sowohl auf die beschreibenden Sätze der Rechtswissenschaft als auch — soweit die Logik hier überhaupt anwendbar ist — auf die vorschreibenden Normen des Rechts zur Anwendung kommt.

[11Vgl. dazu Walter Dubislav, a.a.O., S. 330 ff. Dubislav betont auf S. 331: „Kein Imperativ ohne Imperator.“

[12O. C. Jensen, The Nature of Legal Argument, Oxford 1957, sagt in dem Vorwort (S. XIII: „The aim of this book is to show that one reason for the law’s delays and uncertainties is the inconclusiveness of the arguments which are given in support of legal decisions, or which are advanced by counsel on behalf of their clients, and that this inconclusiveness is due to the nature of the concepts and modes of thought used.“ Aber Jensen leugnet nicht, daß es eine Logik der Normen gibt. Er sagt S. 19: „The logic of norms and kindred utterances such as injunctions, commands, requirements, commendations, etc. is still a very controversial topic. It is therefore inadvisable to become involved in it here.“ Und in einem Abschnitt unter der Überschrift „Formal or Logical Deduction“ (S. 21) sagt er: „Formal deduction occurs rarely in legal cases“ (S. 25). Selten, aber doch.

H. L. A. Hart, „The Ascription of Responsibility and Rights“ in: Logic and Language, edited by Antony Flew, Oxford 1963, S. 156, sagt: „But sometimes the law is cited as an example of a deductive system at work. „‚Given the existing law,‘ it will be said, ‚the statement of facts found by the judge entails the legal conclusion.‘ Of course, this could only be said in the simplest possible cases where no issue is raised at the trial except what common sense would call one of fact, i.e. where the parties are agreed that if the facts go one way the case falls within some legal rule and if they go another way it does not, and no question is raised about the meaning or interpretation of the legal rule. But even here it would be quite wrong to say that the judge was making a deductive inference; for the timeless conclusion of law (Smith is guilty of murder) is not entailed by the statements of temporal fact (Smith put arsenic in his wife’s coffee on May 1st, 1944) which support it: and rules of law even when embodied in statutes are not linguistic or logical rules, but to a great extent rules for deciding.“ Wenn Hart mit dem letzten Satz meint — was er freilich nicht sehr klar ausdrückt —, daß die logische Regel der Schlußfolgerung auf Rechtsnormen nicht anwendbar ist, ist ihm zuzustimmen.

Der schwedische Rechtsphilosoph H. Vilhelm Lundstedt, Legal Thinking Revised, Stockholm 1956, lehnt den normativen Syllogismus ab. Aber er geht dabei — in der Gefolgschaft eines anderen schwedischen Rechtsphilosophen, Axel Haegerstroem — von der Annahme aus, daß Gegenstand der Rechtswissenschaft nicht Normen (S. 23), sondern Werturteile (judgments of value) sind, die weder wahr noch unwahr sein können (S. 45), und nimmt an, daß in der von ihm als logisch unmöglich angesehenen Schlußfolgerung die Prämissen und der Schlußsatz Werturteile sind (S. 48). Vgl. dazu die Abhandlung eines seiner Anhänger, Karl Olivecrona, „The Legal Theories of Axel Haegerstroem and Vilhelm Lundstedt“ in: Scandinavian Studies in Law, vol. III, 1959, p. 136 ff.; und Leonard G. Boonin, „The Logic of Legal Decisions“ in: Ethics. An International Journal of Social, Political, and Legal Philosophy, vol. LXXV, No. 3, April 1965, p. 179 ff.

Auch Arthur Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Schriftenreihe, Heft 65/66, Karlsruhe 1965, leugnet auf S. 8, daß die Rechtsfindung ein „rein deduktives Verfahren“ ist, und behauptet auf S. 29, daß Rechtsfindung als „Subsumtion“ „nicht durch einfachen Syllogismus möglich ist“.

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