FORVM, No. 142
Oktober
1965

Recht und Logik

Über obiges Thema sprach im Frühling dieses Jahres der Schöpfer unserer Verfassungsurkunde vor jungen Wiener Akademikern. FORVM freut sich über die Bereitwilligkeit des Altmeisters der österreichischen Jurisprudenz, die Druckbewilligung zu erteilen. Prof. Kelsen hat, nach Berkeley zurückgekehrt, den ursprünglichen Text auf die gründlichste und interessanteste Weise überarbeitet, erweitert und vertieft. Hans Kelsen publizierte zuletzt im FORVM XI/132 eine Untersuchung „Die Funktion der Verfassung”.

Es ist eine unter Juristen weitverbreitete Ansicht, daß zwischen Recht und Logik — d.i. der traditionellen, zweiwertigen Wahr-Unwahr-Logik — eine besonders enge Beziehung bestehe, daß es eine spezifische Eigenschaft des Rechtes sei, „logisch“ zu sein; das heißt: daß die Normen des Rechtes in ihren gegenseitigen Beziehungen den Prinzipien der Logik entsprechen. Das setzt voraus, daß diese Prinzipien, das ist vor allem der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch und die Regel der Schlußfolgerung, auf Normen im allgemeinen und auf Rechtsnormen im besonderen anwendbar sind.

Das wird von Juristen als selbstverständlich angenommen. [1] Ein Normenkonflikt, das ist eine Situation, in der zwei Normen gelten, von denen die eine ein bestimmtes Verhalten, die andere ein mit diesem unvereinbares Verhalten vorschreibt, wird als ein logischer Widerspruch angesehen. Und so, wie von zwei miteinander in einem kontradiktorischen Widerspruch stehenden Aussagen, wie etwa: Gott existiert — Gott existiert nicht, nur eine wahr sein kann, die andere unwahr sein muß, so kann, dieser Annahme nach, nur eine der beiden in Konflikt stehenden Normen gültig und muß die andere ungültig sein. Dies komme in dem Grundsatz zum Ausdruck: „lex posterior derogat priori“, der als ein rechts-logisches Axiom angesehen wird. Die logische Regel der Schlußfolgerung aber komme immer zur Anwendung, wenn ein konkreter Fall auf Grund des Gesetzes, daher auf Grund einer in Geltung stehenden generellen Norm, durch ein Gericht entschieden werde. Diese Entscheidung, das ist die Geltung der individuellen Norm, etwa „Der Dieb Schulze soll ins Gefängnis gesetzt werden“, folge logisch ganz ebenso aus der Geltung der generellen Norm: „Alle Diebe sollen ins Gefängnis gesetzt werden“, wie die Wahrheit der individuellen Aussage „Der Mensch Sokrates ist sterblich“ aus der Wahrheit der generellen Aussage logisch folgt: „Alle Menschen sind sterblich.“

Die Anwendung logischer Prinzipien, insbesondere des Prinzips des ausgeschlossenen Widerspruchs und der Regel der Schlußfolgerung, auf Normen im allgemeinen und Rechtsnormen im besonderen ist jedoch keineswegs so selbstverständlich, wie dies von Juristen angenommen wird. Denn die beiden logischen Prinzipien sind ihrem Wesen nach nur — oder doch zumindest direkt nur — auf Aussagen anwendbar, sofern diese der Sinn von Denkakten sind und wahr oder unwahr sein können. Daß es nicht die Logik, sondern die materielle Wissenschaft ist, die feststellt, ob eine Aussage wahr oder unwahr ist, versteht sich von selbst. [2] Die beiden logischen Prinzipien des ausgeschlossenen Widerspruchs und der Schlußfolgerung stellen nur fest, unter welchen Bedingungen eine Aussage — als Sinn eines Denkaktes — wahr sein kann und unter welchen Bedingungen eine solche Aussage unwahr sein muß. [3] Normen aber statuieren ein Sollen, und da Sollen ein Korrelat von Wollen ist, [4] sind sie der Sinn von Willensakten und als solche weder wahr noch unwahr. Von einer Norm wie „Liebet Eure Feinde“ oder „Mord soll mit Tod des Mörders bestraft werden“ kann man nicht sagen, daß sie „wahr“ oder „unwahr“ sei. Denn sie will, ihrem Sinne nach, nicht wie eine Aussage, etwa „Alle Menschen sind sterblich“, wahr sein. Sie will, ihrem Sinne nach, gelten. Daß sie „gilt“ heißt: daß sie befolgt werden soll. Eine Norm gilt oder gilt nicht. Diesem Hindernis versucht man dadurch auszuweichen, daß man annimmt, mit dem Wollen sei wesentlich ein Denkakt verbunden. Wer etwas wolle, müsse wissen, was er will. Das Gewollte sei also zugleich ein Gedachtes, dieses jenem immanent, und daher seien die logischen Prinzipien des ausgeschlossenen Widerspruchs und der Schlußfolgerung auf Normen anwendbar.

Das vorliegende Problem hat der dänische Philosoph Jörgen Jörgensen in seiner Abhandlung „Imperatives and Logic“ („Erkenntnis“, Bd. 7, S. 288-291) in folgender Weise herausgestellt. Er wirft zunächst nur die Frage auf, ob die Regel der Schlußfolgerung auf Imperative — und das heißt auch auf Normen — anwendbar ist. Er kennzeichnet das logische Verfahren der Schlußfolgerung „as a process of thought which, starting from one or more judgments, ends in another judgment whose truth is seen involved in that of the former“. Dann stellt er fest, imperative sentences „can neither be true nor false in any sense in which these words are used in logic, therefore they are not capable of being implied in other sentences and consequently are incapable of being conclusions in logical inferences. Indeed they are even incapable too of being premisses in such inferences because also the premisses must be capable of being either true or false in order to function as premisses.“ Schließlich sagt er: „Imperative sentences ... are unable to function as part of any logical argument at all.“ Andererseits glaubt Jörgensen aber zugeben zu müssen: „It seems ... evident that inferences can be formulated in which the one premisse at least and the conclusion are imperative sentences. For instance: Keep your promises. — This is a promise of yours. — Therefore keep this promise.“ Dies sei ein „Rätsel“ (puzzle) und dieses Rätsel versucht er auf folgende Weise zu lösen: „This puzzle may be dealt with by analyzing the imperative sentences into two factors: an imperative factor and an indicative factor, the first being merely the expression of the speaker’s state of mind, his willing, wishing, commanding, etc., and therefore of no logical consequence, whereas the last may be formulated in an indicative sentence describing the contents of the imperative sentences and therefore being capable of having a meaning and of being governed by the ordinary rules of logic.“ — „Any imperative sentence may therefore be considered as containing two factors which I may call the imperative factor and the indicative factor, the first indicating that something is commanded or wished, and the latter describing what it is, that is commanded or wished.“

Dagegen ist einzuwenden, daß der Imperativ bzw. die Norm nicht einen imperativen, d.h. vorschreibenden, und einen indikativen, d.h. beschreibenden, Faktor enthalten kann. Denn die Vorschreibung ist der Sinn eines Willensaktes, die Beschreibung der Sinn eines Denkaktes. Wollen und Denken sind zwei wesensverschiedene Funktionen, und daher kann dem Wollen kein Denken immanent sein. Daß der Wollende wissen muß, was er will, trifft zu. Aber der das Wissen konstituierende Denkakt geht dem Willensakt, dessen Sinn die Norm ist, voraus, ist ihm nicht immanent. Der dem Willensakt vorausgehende Denkakt macht den Sinn des Willensaktes: die Norm, nicht wahr oder unwahr. Man kann von einer Norm trotz des dem Willensakt vorangehenden Denkaktes nicht sagen, sie sei wahr oder unwahr. Daher können die logischen Prinzipien des ausgeschlossenen Widerspruchs und der Schlußfolgerung auf Normen nicht, zumindest nicht direkt, und wenn überhaupt, so nur per analogiam angewendet werden. Und auch das wäre nur möglich, wenn zwischen der Wahrheit einer Aussage und der Geltung einer Norm eine Analogie bestünde. Eine solche Analogie besteht aber nicht.

Vor allem darum nicht, weil Wahrheit und Unwahrheit Eigenschaften einer Aussage sind, Geltung aber nicht Eigenschaft einer Norm, sondern ihre Existenz, ihre spezifische, ideelle Existenz ist. Daß eine Norm gilt bedeutet, daß sie vorhanden ist. Daß eine Norm nicht gilt, bedeutet, daß sie nicht vorhanden ist. Eine nichtgeltende Norm ist eine nicht existente, also keine Norm. Aber eine unwahre Aussage ist auch eine Aussage; sie ist als Aussage vorhanden, auch wenn sie unwahr ist. Eine Norm tritt in Geltung, d.h. beginnt in der Zeit zu gelten, und tritt außer Geltung, d.h. hört auf, in der Zeit zu gelten, verliert ihre Geltung. Eine Aussage beginnt nicht und hört nicht auf, wahr zu sein. Sie ist, wenn sie wahr ist, immer wahr gewesen und wird immer wahr sein. Sie kann ihre Wahrheit nicht verlieren. Auch die Aussage über eine Tatsache, die zeitlich begrenzt ist, z.B. die Aussage, daß die Erde zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Entfernung von der Sonne ist, ist wahr, sowohl vor als nach diesem Zeitpunkt. Die Aussagen Newtons über die Gravitation, wenn sie wahr waren, waren wahr, längst bevor sie Newton gemacht hat, und werden wahr sein, längst nachdem er sie gemacht hat. Eine Aussage ist der Sinn eines Denkaktes, und die Wahrheit einer Aussage ist unabhängig von diesem Akt, d.i. von der Tatsache, daß sie gemacht, d.h. gedacht und ausgesprochen wird; [5] während die Geltung einer Norm, die der Sinn eines Willens-Aktes ist, durch den Akt bedingt wird, mit dem sie gesetzt wird. Die Norm ist der Sinn eines auf das Verhalten anderer gerichteten Willensaktes; ihr Sinn ist ein Sollen; und dieses Sollen ist — wie schon bemerkt — Korrelat eines Wollens. Kein Sollen, das eine Norm ist, ohne ein Wollen, dessen Sinn dieses Sollen ist. Keine Norm ohne einen normsetzenden Willen, d.h. keine Norm ohne eine normsetzende Autorität. Eine Norm gilt nur, wenn sie durch einen Willensakt gesetzt ist, wenn sie der Sinn eines Willensaktes ist. Darin liegt ihre Positivität. Und nur positive Normen, Normen, die durch menschliche Willensakte, durch Gesetzgebung oder Gewohnheit oder Staatsvertrag gesetzt sind, kommen für eine Ethik als Wissenschaft und für eine Rechtswissenschaft in Betracht.

Widerspruch des Naturrechts

Dem scheint das Naturrecht zu widersprechen; denn was den verschiedenen Definitionen des Naturrechts gemeinsam ist, das Wesentliche dessen, was man „Naturrecht“ nennt, ist die Geltung von Normen, die nicht der Sinn von menschlichen Willensakten sind; daher sind die Werte, die sie konstituieren, keineswegs willkürlich, subjektiv und relativ. Um die Frage zu beantworten, wie sich ein Mensch unter gewissen Umständen verhalten soll, braucht man — der Naturrechtslehre zufolge — nicht nach dem Willensakt eines Menschen zu fragen, der als Moral- oder Rechtsgesetzgeber auftritt, oder nach einer Gewohnheit, durch die die gesuchte Norm gesetzt wurde. Denn die gesuchte Norm ergibt sich aus der Natur der Sache, auf die sich die Norm bezieht. Dies sind entweder die Umstände, unter denen sich ein Mensch in bestimmter Weise verhalten soll, oder der Mensch selbst, dessen Verhalten in Frage steht. Die Umstände sind ein Stück Wirklichkeit und mit dem Ganzen der Wirklichkeit untrennbar verbunden. Die Natur der Sache ist somit die Natur als Totalität der Wirklichkeit oder die Natur des Menschen. Das sind entweder die dem Menschen innewohnenden Triebe oder das, was den Menschen vom Tier unterscheidet: seine Vernunft. Im letzteren Fall tritt das Naturrecht als Vernunftrecht auf. In allen Fällen ist die Naturrechtslehre gekennzeichnet durch die Annahme von der Natur immanenten Normen, und sohin durch die Annahme einer Immanenz der durch diese Normen konstituierten Werte in der Wirklichkeit der Natur im allgemeinen oder der Natur des Menschen im besonderen. Es ist die Immanenz eines Sollens im Sein. Die Natur im allgemeinen oder die Natur des Menschen, insbesondere seine Vernunft, schreibt dem Menschen ein bestimmtes Verhalten vor. Die Natur im allgemeinen oder die Natur des Menschen im besonderen, insbesondere die Vernunft, tritt als normensetzende Autorität auf.

Nun kann man vielleicht zugeben, daß Normen nicht notwendig der Sinn menschlicher Willensakte sein müssen. Keinesfall kann man aber zugeben, daß es Normen gibt, die nicht der Sinn eines Willensaktes, wenn auch nicht gerade eines menschlichen Willensaktes, sind. Einer Natur, der Normen immanent sind, muß auch ein Wille immanent sein, dessen Sinn diese Normen sind. Woher kann aber ein solcher Wille in die Natur kommen, die, vom Standpunkt empirisch-rationaler Erkenntnis, ein Aggregat von als Ursache und Wirkung miteinander verbundenen Seinstatsachen ist? Ein Wille in der Natur ist entweder ein animistischer Aberglaube oder aber es ist der Wille Gottes in der von ihm geschaffenen Natur, die Immanenz des göttlichen Wertes in der Wirklichkeit. Wenn Normen der Natur des Menschen, insbesondere seiner Vernunft, immanent sind, kann die Vernunft, die, von einem rein psychologischen Standpunkt, nur ein Denk- oder Erkenntnisvermögen ist, nicht die empirisch-menschliche Vernunft sein. Denn die normsetzende Vernunft muß zugleich Erkenntnis- und Willensvermögen sein. Das kann es im Bereich der empirischen Wirklichkeit nicht geben, sofern diese ohne logischen Widerspruch beschrieben werden kann. Aber auf eine jenseits aller empirischen Wirklichkeit liegende, transzendente, übermenschliche Sphäre findet, sofern man ihre Existenz voraussetzt, das Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs, als ein Prinzip menschlicher Logik, keine Anwendung. Von der göttlichen Vernunft kann man die für die menschliche Vernunft widerspruchsvolle Aussage machen, daß sie zugleich Erkenntnis- und Willens-Funktion ist; von Gott kann man sagen, daß in ihm Erkennen und Wollen eins sind. So heißt es schon in der Genesis (II, 17; III, 5): Und Gott gebot den Menschen, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht zu essen. Aber die Schlange sagte zum Weibe: Wenn ihr davon esset, werdet ihr sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Indem Gott weiß, was gut und böse ist, will er, daß das Gute getan, das Böse unterlassen werde. Sein Wollen ist in seinem Wissen inbegriffen. Der Widerspruch, der darin liegt, daß Gott will, indem er erkennt, ist von einem religiös-theologischen Standpunkt aus ebenso belanglos wie der Widerspruch, der darin liegt, daß Gott in seiner Allgüte nur das Gute will und in seiner Allmacht doch auch das Böse schafft. Die zugleich erkennende und wollende, das ist die praktische Vernunft des Menschen, ist die göttliche Vernunft im Menschen, den Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hat.

Die im Vorhergehenden erwähnte Annahme, daß dem Wollen, dessen Sinn eine Norm ist, ein Denken immanent ist und der damit verwandte Begriff der praktischen Vernunft, die ein wollendes Denken ist, sind religiös-theologischen Ursprungs. [6]

Da zwischen der Wahrheit einer Aussage, sofern sie der Sinn eines Denkaktes ist, und der Geltung einer Norm, die der Sinn eines Willensaktes ist, keine Analogie besteht, kann ein Normenkonflikt kein logischer Widerspruch und auch nichts einem logischen Widerspruch Analoges sein; und kann daher auch nicht nach dem logischen Grundsatz vom ausgeschlossenen Widerspruch oder einem diesem analogen Grundsatz gelöst werden. [7]

Moral und Recht

Daß es echte Normenkonflikte, d.h. Situationen, gibt, in denen zwei Normen gelten, von denen die eine ein bestimmtes Verhalten, die andere ein mit diesem Verhalten unvereinbares Verhalten als gesollt setzt, kann nicht geleugnet werden. Konflikte zwischen Normen einer Moral und Normen eines Rechtes sind jedermann geläufig. Beispiel: Eine Moral-Norm gebietet, Menschen nicht zu töten. Eine Rechts-Norm gebietet, Menschen in Vollstreckung einer Todesstrafe und Feinde im Krieg zu töten. Wer die eine Norm befolgt, verletzt die andere. Er hat die Wahl, welche der beiden Normen er befolgen, und daher, welche er verletzen will. Aber er hat nicht die Macht, die Geltung der Norm aufzuheben, die er nicht befolgen will. Aber auch innerhalb einer und derselben Rechtsordnung sind Normenkonflikte möglich und gar nicht selten: Konflikte zwischen einer Rechtsnorm höherer und einer Rechtsnorm niederer Stufe, wie zwischen der Verfassung, die jede Einschränkung der religiösen Freiheit verbietet, und einem Gesetz, das die öffentliche Ausübung einer bestimmten Religion verbietet, d.i. der Fall des sogenannten „verfassungswidrigen“ Gesetzes; Konflikte zwischen Normen derselben Stufe, wie der Konflikt zwischen einem Gesetz, demzufolge ein bestimmter Tatbestand, etwa Ehebruch, bestraft wird, und einem anderen Gesetz, demzufolge dieser Tatbestand nicht bestraft werden soll. Aber auch zwischen Normen ein und desselben Gesetzes kann es Konflikte geben. Für sie alle ist wesentlich, daß beide in Konflikt stehende Normen gelten, so daß, wenn die eine befolgt wird, die andere verletzt werden muß; und sie kann nur verletzt werden, wenn auch sie in Geltung steht. [8]

Von zwei miteinander in einem logischen Widerspruch stehenden Aussagen kann aber nur eine wahr sein, oder wie man in diesem Falle sagt: kann nur eine „gelten“, muß die andere unwahr sein, d.h. kann nicht „gelten“. Ein Normenkonflikt kann nur in der Weise gelöst werden, daß eine der beiden Normen ihre Geltung verliert oder daß beide ihre Geltung verlieren. Dieser Geltungsverlust kann nur auf zwei Wegen erfolgen. Entweder dadurch, daß eine der in Konflikt stehenden Normen ihre Geltung verliert, weil sie ihre Wirksamkeit verloren hat; denn ein Minimum an Wirksamkeit ist Bedingung ihrer Geltung; oder durch Derogation.

Derogieren ist — neben gebieten, erlauben, ermächtigen — die spezifische Funktion einer Norm. Eine derogierende Norm, das ist eine Norm, deren Funktion darin besteht, daß sie die Geltung einer anderen Norm aufhebt, unterscheidet sich von den anderen, den ein bestimmtes Verhalten gebietenden, erlaubenden oder ermächtigenden Normen, dadurch, daß sie sich nicht, wie diese, auf ein bestimmtes Verhalten, sondern auf die Geltung einer anderen Norm, der Norm, deren Geltung sie aufhebt, bezieht. Beispiel einer derogierenden Norm: Eine von dem Gesetzgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzte Norm „Ehebruch soll bestraft werden“ gilt. Später findet der Gesetzgeber — vielleicht ein anderer Mensch oder ein Kollegium, das aus anderen Menschen zusammengesetzt ist als jenen, die diese Norm gesetzt haben —, daß deren Geltung unerwünscht ist. Der Gesetzgeber setzt daher die Norm: „Die Geltung der Norm ‚Ehebruch soll bestraft werden‘ wird hiemit aufgehoben.“ Diese derogierende Norm bezieht sich auf die Geltung einer ihr vorangehenden Norm, nicht auf ein bestimmtes Verhalten, sie schreibt kein Verhalten vor. Daher ist die derogierende Norm eine unselbständige Norm. Sie setzt die Geltung einer anderen Norm voraus.

Beispiel eines Normenkonfliktes: Eine Norm gilt: „Mord soll mit Tod des Mörders bestraft werden.“ Eine spätere Norm schreibt vor: „Mord soll mit lebenslänglichem Kerker bestraft werden.“ Diese Norm, die mit der ersten in Konflikt ist, bezieht sich auf ein bestimmtes Verhalten; sie schreibt ein bestimmtes Bestrafen vor. Sie bezieht sich nicht auf die Geltung der ersten Norm. Sie ist keine unselbständige Norm, sie kann gelten, auch wenn die erste Norm nicht gilt.

Derogation kann, wie diese Beispiele zeigen, stattfinden, ohne daß ein Normenkonflikt vorliegt, wenn der Gesetzgeber die Geltung einer vorher gesetzten Norm für unerwünscht hält. Derogation kann aber auch — muß aber nicht — im Fall eines Normenkonfliktes stattfinden. Dann kann Derogation nicht die Funktion einer der beiden in Konflikt stehenden Normen, sondern muß die Funktion einer dritten, von den beiden in Konflikt stehenden Normen verschiedenen Norm sein. Denn die beiden in Konflikt stehenden Normen beziehen sich jede auf ein Verhalten: die eine auf ein bestimmtes Verhalten, die andere auf ein mit diesem unvereinbares Verhalten, und die eine bezieht sich nicht auf die Geltung der anderen; während die derogierende Norm sich nicht auf ein Verhalten, sondern auf die Geltung einer der beiden oder beider in Konflikt stehenden Normen beziehen muß.

Völlig anders ist die Situation im Falle eines logischen Widerspruchs zwischen zwei Aussagen. Denn im Bereich der Logik der Aussagen gibt es nichts, was der Wirksamkeit einer Norm oder der Derogation der Geltung einer Norm analog ist. Von den beiden in einem Widerspruch stehenden Aussagen wie „Gott existiert — Gott existiert nicht“ verliert nicht eine der beiden ihre Wahrheit, weil sie aufhört, wirksam zu sein, oder weil sie durch eine darauf zielende Aussage aufhört, wahr zu sein. Wenn eine der beiden Aussagen wahr ist, ist die andere unwahr, ist sie immer unwahr gewesen und wird immer unwahr sein. Hat durch Verlust der Wirksamkeit oder durch Derogation eine der beiden in Konflikt stehenden Normen ihre Geltung verloren, bleibt nur eine in Geltung; das heißt: ist nur mehr eine vorhanden. Die beiden in einem Widerspruch stehenden Aussagen bleiben aber beide als Aussagen bestehen, nur daß eben die eine wahr, die andere unwahr ist. Daß von zwei zueinander in einem Widerspruch stehenden Aussagen beide wahr sind, ist unmöglich; daß von zwei miteinander in Konflikt stehenden Normen beide gelten, ist möglich. Und dieser Konflikt kann nicht — wie ein logischer Widerspruch — im Wege der Erkenntnis, also etwa durch die Rechtswissenschaft, gelöst werden. Die Rechtswissenschaft kann nur die Existenz dieses Konfliktes feststellen und muß seine Lösung dem Willensakt der Rechtsautorität oder der gewohnheitsmäßigen Nichtbefolgung überlassen. [9]

Trübung durch römisches Recht

Ein Normenkonflikt ist also etwas von einem logischen Widerspruch völlig Verschiedenes. Wenn er mit irgend etwas überhaupt verglichen werden kann, so nicht mit einem logischen Widerspruch, sondern, da die Geltung einer Norm ihre spezifische Existenz ist, mit zwei in entgegengesetzter Richtung auf denselben Punkt wirkenden Kräften. Beide Situationen, ein Normenkonflikt und ein Kräftekonflikt, können ohne jeden Widerspruch beschrieben werden. Daß ein Kräftekonflikt einen logischen Widerspruch darstelle, daß es in der Wirklichkeit der Natur oder Gesellschaft logische Widersprüche gebe, ist die verhängnisvolle Irrlehre der Hegelschen Dialektik.

Die Einsicht in das Wesen eines Normenkonfliktes und der Derogation wird durch den aus der altrömischen Jurisprudenz übernommenen, von der traditionellen Rechtswissenschaft ganz allgemein anerkannten Lehrsatz „lex posterior derogat priori“ sehr erheblich getrübt. Dazu ist zunächst zu bemerken, daß dieser Grundsatz nicht für Konflikte zwischen den Normen einer Rechtsordnung und anderen Normen, insbesondere nicht zwischen Normen eines Rechts und Normen einer Moral, sondern nur für Konflikte zwischen Normen ein und derselben Rechtsordnung anwendbar ist; und auch dies nur zwischen Normen derselben Stufe, die zu verschiedenen Zeiten gesetzt wurden. Im Falle eines Konfliktes einer Rechtsnorm höherer und einer Rechtsnorm niederer Stufe, wie zwischen der Verfassung und einem Gesetz, verliert in der Regel nicht die Verfassung ihre Geltung, sondern es kann — muß nicht — die Geltung des sogenannten verfassungswidrigen Gesetzes in einem besonderen, von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren aufgehoben werden. Dann wird nicht der lex prior, sondern der lex posterior derogiert. Auch im Fall zweier in Konflikt stehender Normen, die nicht im Verhältnis einer früheren zu einer späteren Norm stehen, sondern im selben Zeitpunkt in Geltung getreten sind — weil sie etwa in demselben Gesetz enthalten sind —, kann das Prinzip „lex posterior derogat priori“ nicht angewendet werden; auch nicht per analogiam, das ist auf Grund der Annahme, jede der beiden Normen hebe die Geltung der anderen auf.

Der Haupteinwand gegen die Formel „lex posterior derogat priori“ ist, daß nach ihr Derogation die Funktion einer der beiden in Konflikt stehenden Normen ist, und zwar gemäß einer spezifischen, dem Recht sozusagen immanenten Logik. Das ist aber darum nicht möglich, weil die zwei Normen, die in Konflikt stehen, sich beide auf dasselbe Verhalten beziehen, wie in dem Falle: „Ehebruch soll bestraft werden — Ehebruch soll nicht bestraft werden“ auf: „Ehebruch bestrafen“, oder in dem Falle: „Mord soll mit Tod bestraft werden — Mord soll mit lebenslänglichem Kerker bestraft werden“, auf: „Mord bestrafen“. Eine die Geltung einer anderen aufhebende, eine derogierende Norm bezieht sich aber nicht auf ein Verhalten, sondern auf die Geltung einer anderen Norm. Daß im Falle eines Konfliktes zwischen Normen derselben Stufe eine der beiden in Geltung stehenden Normen, und zwar die ältere, ihre Geltung verliert, ist kein logisches und auch kein rechtslogisches und daher auch kein von der Rechtswissenschaft anwendbares Prinzip, sondern — wie schon Adolf Merkl („Die Rechtseinheit des österreichischen Staates“, Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 37, Heft 1, S. 75) gezeigt hat — die Funktion einer positiven derogierenden Rechtsnorm, die von der Rechtsautorität gesetzt oder als gültig vorausgesetzt wird.

Die Aufhebung der Geltung einer ein bestimmtes Verhalten vorschreibenden Norm, wie die Norm: „Die Geltung der Norm ‚Ehebruch soll bestraft werden‘ wird hiemit aufgehoben“, und die Vorschreibung des gegenteiligen Verhaltens, wie die Norm: „Ehebruch soll nicht bestraft werden“, sind zwei voneinander wesentlich verschiedene Funktionen. Steht eine ein bestimmtes Verhalten vorschreibende Norm in Geltung und setzt der Gesetzgeber eine Norm, die ein mit diesem Verhalten unvereinbares Verhalten vorschreibt, mag er wohl die frühere Norm aufheben wollen. Aber dieser Wille kommt in der späteren Norm, die auf ein bestimmtes Verhalten, nicht auf die Geltung einer anderen Norm gerichtet ist, nicht zum Ausdruck. Und dieser Wille muß in einer Norm zum Ausdruck kommen, die von der ein bestimmtes Verhalten vorschreibenden Norm verschieden ist; ganz ebenso, wie wenn die Geltung einer Norm durch eine derogierende Norm aufgehoben wird, ohne daß eine neue Regelung des Gegenstandes erfolgt, der durch die aufgehobene Norm geregelt war. Daß im Falle einer Neuregelung die derogierende Norm von dem Gesetzgeber nicht ausdrücklich formuliert wird, kommt daher, daß der Gesetzgeber für selbstverständlich hält, daß, wenn er eine Norm setzt, die mit einer älteren in Konflikt steht, er die Geltung dieser älteren Norm aufhebt; dies insbesondere unter dem Einfluß der von der traditionellen Jurisprudenz vertretenen Lehre: die jüngere Norm derogiere der älteren Norm. Aber auch eine Norm, die der Gesetzgeber für selbstverständlich hält und daher nicht ausdrücklich formuliert, sondern stillschweigend voraussetzt, ist eine gesetzte, positive Norm.

Kein Imperativ ohne Imperator

Mitunter wird die Anwendbarkeit logischer Prinzipien auf Normen auf eine Analogie gegründet, die man zwar nicht zwischen Wahrheit einer Aussage und Geltung einer Norm, aber zwischen Wahrheit einer Aussage und Befolgung einer Norm annehmen zu können glaubt. Als Beispiel verweise ich auf die Abhandlung von Walter Dubislav, „Zur Unbegründbarkeit der Forderungssätze“ („Theoria“, vol. III, 1937), in der er die Frage der Schlußfolgerung von der Geltung einer generellen auf die Geltung einer individuellen Norm untersucht. Dubislav stellt fest, daß kein Imperativ ohne einen Imperator möglich, daß ein Imperativ ohne Imperator ein „Unbegriff“ ist und daß zwischen Behauptungs- und Forderungssätzen der fundamentale Unterschied besteht, daß Forderungssätze der Alternative wahr—falsch nicht unterstellt sind. Daher sei die logische Regel der Schlußfolgerung auf Forderungssätze nicht anwendbar. Aber er führt aus: Wenn man dennoch aus einem Forderungssatz, wie „Menschen sollen Menschen nicht töten“, einen anderen Forderungssatz, wie: „Kain soll Abel nicht töten“, folgert (S. 339), so ist dies nur insofern möglich, als man eine „Umformung“ der Forderungssätze vornimmt (S. 340), und zwar in einer Weise, daß man die Forderungssätze in Behauptungssätze umformt, die der Alternative wahr-falsch unterstellt sind. Der Forderungssatz: „Menschen sollen Menschen nicht töten“ wird in einen Behauptungssatz umgeformt, den Dubislav folgendermaßen formuliert: „Die Forderungsinstanz fordert von den Menschen einen Zustand zu verwirklichen, der folgendermaßen zu beschreiben ist: wenn X ein Mensch ist, dann gibt es keinen Menschen, den er tötet.“ — „Dieser ‚Wenndann-Satz‘ heißt der zu dem Forderungssatz gehörende Behauptungssatz.“ Er kann, viel einfacher, auch formuliert werden: „Menschen töten nicht Menschen.“ Den Behauptungssatz, der zu dem Forderungssatz gehört: „Kain soll den Abel nicht töten“, formuliert Dubislav nicht. Er müßte aber nach dem, was Dubislav von der Umformung sagt, lauten: „Kain tötet den Abel nicht.“ Der zu dem Forderungssatz „gehörende“ Behauptungssatz ist somit eine Aussage, in der die Befolgung der Forderung behauptet wird. Daraus, daß aus der Aussage über die Befolgung einer generellen Norm die Aussage über die Befolgung einer der generellen entsprechenden individuellen Norm logisch folgt, folgt aber nicht, daß aus der Geltung der generellen Norm die Geltung der individuellen Norm logisch folgt. [10]

nächster Teil: Recht und Logik

[1Oliver Wendell Holmes’ vielzitierter Ausspruch: „The life of the law has not been logic; it has been experience“ (The Common Law, 1881, p. 1) scheint die Meinung auszudrücken, daß Logik auf das Recht keine Anwendung findet. Aber andere Äußerungen Holmes’ sprechen dagegen. So sagt er in einer Abhandlung „The Path of the Law“ (Collected Legal Papers, 1920, p. 180): „The fallacy to which I refer is the notion that the only force at work in the development of the law is logic.“ Das heißt: Logik ist nicht das alleinige Prinzip, das die Geltung des Rechts bestimmt. Im übrigen besteht kein Gegensatz zwischen Erfahrung und Logik.

[2Daraus folgt nicht, daß die Logik mit Wahrheit oder. Unwahrheit nichts zu tun hat, oder, wie Ulrich Klug, Juristische Logik, 2. Aufl., Berlin—Göttingen—Heidelberg 1958, S. 23, sagt, „daß es für die Regeln der Logik gleichgültig ist, ob man von wahren oder richtigen Aussagen spricht“, denn die Regeln der Logik können auch auf unwahre Sätze angewendet werden. Das letztere trifft zu, aber die Logik sagt von den in Frage stehenden Prinzipien: Von zwei miteinander in Widerspruch stehenden Aussagen kann nur eine wahr sein und wenn die eine wahr ist, muß die andere unwahr sein; und: wenn die Prämissen wahr sind, dann ist der in ihnen implizierte Satz als Schlußfolgerung wahr. So kann die Logik sagen: Wenn es wahr ist, daß alle Menschen unsterblich sind, ist es unwahr, daß der Mensch Sokrates sterblich ist. Oder: Wenn es wahr ist, daß alle Menschen unsterblich sind, ist es wahr, daß der Mensch Sokrates unsterblich ist. Nur in der Weise, unter Vorausstellung der Worte: „Wenn es wahr ist, daß ...“, kann die Logik auch auf Sätze angewendet werden, von denen die Wissenschaft feststellt, daß sie unwahr sind. Man kann doch nicht ignorieren, daß die Logik der Wissenschaft zu dienen hat und daß die Wissenschaft auf wahre Erkenntnis zielt.

[3Christian Sigwart, Logik, 3. Aufl., 1904, I, S. 1, führt aus, daß unser Denken den Zweck verfolgt, zu Sätzen zu gelangen, „welche gewiß und allgemeingültig sind“, und daß die Logik die Kunstlehre ist, die hiezu die Anleitung gibt. Auf S. 8 sagt er, daß der Begriff des notwendigen und allgemeingültigen Denkens derjenige ist, „der das Wesen der ‚Wahrheit‘ erschöpft“. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn man Logik — wie Alois Höfler, Logik (2. Aufl., 1922, S. 63 ff.) — als „Lehre vom richtigen Denken“ kennzeichnet und betont, daß „richtig“ und „wahr“ synonym sind (S. 59), daß „die höchste Forderung, die an das Denken gestellt werden kann und soll, die der „Wahrheit“ ist (S. 57).

[4Sigwart, a.a.O., I, S. 18, sagt: „Sollen ist das Korrelat von Wollen.“

[5Höfler, a.a.O., S. 86, bemerkt: „Es bedarf, um die Richtigkeit eines Gedankens, die Berechtigung einer Denkform einzusehen, nicht eines Abwartens, ob von irgend jemandem dieser Gedanke wirklich vollzogen, ob überhaupt jemals in dieser Denkform wirklich gedacht wurde oder werde ...“

[6Vgl. Alf Ross, Kritik der sogenannten Praktischen Erkenntnis, Kopenhagen 1933, insbesondere S. 433 f.

[7Vgl. zum Folgenden meine Abhandlung „Derogation“ in: Essays in Jurisprudence in Honor of Roscoe Pound, Editor: Ralph A. Newman, Indianapolis-New York 1962, S. 339 ff. In bezug auf die Anwendbarkeit logischer Prinzipien im allgemeinen auf Rechtsnormen: Paul Amselek, Méthode Phénoménologique et Théorie du Droit, Bibliothèque de Philosophie de Droit, vol. II, Paris 1964. Amselek bekämpft den „logicisme“ meiner Reinen Rechtslehre, kennt aber nicht meine oben zitierte Abhandlung „Derogation“, in der — in Abänderung meiner noch in meiner Reinen Rechtslehre (1960) vertretenen Ansicht — gezeigt wird, daß ein Normenkonflikt nicht ein logischer Widerspruch ist und daß auf ihn auch nicht per analogiam der Satz der Logik vom ausgeschlossenen Widerspruch anwendbar ist.

[8Rupert Schreiber, Logik des Rechts, Berlin- Göttingen-Heidelberg 1962, behauptet S. 87 — und ich habe selbst noch in meiner Reinen Rechtslehre (1960), S. 211, ähnliches behauptet: „Ergeben sich Widersprüche zwischen Rechtsnormen, so müssen alle Normen, die miteinander in Widerspruch stehen, rechtsungültig sein. Denn widerspruchsvolle Normen sind rechtsungültig.“ Das trifft nicht zu. Miteinander in Konflikt stehende Normen können gelten. Dann liegt eben ein Normenkonflikt, und sofern die Normen Pflichten konstituieren, ein Pflichtenkonflikt vor. Schreiber setzt fort: „Wäre für diesen Konfliktsfall keine Regelung getroffen, dann könnten erhebliche Bereiche der Rechtsordnung durch Widersprüche außer Funktion gesetzt werden.“ Im Falle eines Normenkonfliktes wird aber der betreffende Bereich der Rechtsordnung nicht außer Funktion gesetzt, sondern es liegt nur eine Situation vor, die dadurch gekennzeichnet ist, daß, wenn die eine Norm befolgt wird, die andere verletzt wird. Aber jede der beiden Normen kann befolgt werden, da jede der beiden gilt.

[9Auch darin liegt ein Unterschied zwischen Aussagen und Rechtsnormen. Die Frage, ob eine Aussage wahr oder unwahr ist, wird durch die zuständige Wissenschaft beantwortet; die Frage, ob eine Rechtsnorm gilt oder nicht gilt, durch die zuständige Rechtsautorität, die die Norm anzuwenden hat, insbesondere durch das Gericht.

[10Wenn man — wie z.B. Ulrich Klug, a.a.O., S. 1 — Logik als Lehre von der korrekten Schlußfolgerung kennzeichnet, hat der Satz vom Widerspruch in der Logik keinen Platz. Aber wohin gehört er dann, wenn nicht in die Logik? Sigwart, wohl einer der bedeutendsten deutschen Logiker, widmet dem Satz des Widerspruchs einen umfangreichen Paragraphen (23) in Band I seiner Logik.

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