FORVM, No. 198/II/199
Juni
1970

Salzburger Polizeifestspiele

In Salzburg hat’s so etwas noch nicht gegeben. Desto verblüffender, daß die Psychopathologie der demokratischen Öffentlichkeit und der demokratischen Polizei, die beim großen Zapfenstreich am 14. Mai einvernehmlich junge Bürger prügelten, recht genau dem gleicht, was man aus anderen Ländern aus der Anfangsphase der studentischen Bewegung weiß (Österreich, fast stets ein bißchen zurück, ist erst in dieser Anfangsphase, Salzburg natürlich erst recht):

  1. Der Firnis der Toleranz und des Pluralismus ist ganz dünn. Abweichende Minderheiten werden geprügelt, sobald sie sich auch nur ein bißchen rühren (diesfalls ein Schwein beim heiligen Zapfenstreich auslassen). Woher der wütende Haß („Aufhängen!“), die brutale Gewalt, die nur darauf lauern, sich entladen zu dürfen, in dieser friedlichen Gesellschaft? Wer so fragt, ist kein guter Demokrat.
  2. Zwischen der Geringfügigkeit dessen, was die abweichende Minderheit unternimmt, und der Brutalität, mit der die Mehrheit antwortet, besteht ein groteskes Mißverhältnis. Ein Ferkel wird losgelassen, und schon schlagen, knüppeln, treten Polizisten, Militärpolizisten, Zuschauer. Alle unter der Unmenschlichkeit des Alltags dieser Gesellschaft aufgestaute Aggression entlädt sich mit glückseliger Erleichterung. Man kann seine Wut endlich ordentlich loswerden.
  3. Faschistisches Verhalten, faschistischer Wortschatz kommen blitzschnell wieder zum Vorschein. Der Faschismus tickt ganz knapp unter der friedlichen Oberfläche, unentschärft, explodiert sogleich, sobald es wieder Juden gibt, nämlich eine abweichende Minderheit, als Blitzableiter für alles Versagen dieser Gesellschaft wie auch als Blitzableiter für alles höchst private Versagen. „Ihr gehörts ins KZ! Unterm Hitler hätt’s das net geben! Vergast gehörts!“ Ein Ferkel genügt, und der Faschismus ist wieder da. Er war nie weg.
  4. Unter der Tünche des Fremdenverkehrs lauert die Fremdenfeindlichkeit. Wer anders ist, erregt Angst und Wut, die sich nur besänftigen lassen, wenn er zahlender Gast ist. Den jungen Amerikaner hätten dieselben Salzburger, die ihn mit Wonne arretierten, unvergeßlich nett behandelt, wenn er, statt bei den Studenten seine Sympathie, lieber bei ihnen sein Geld gelassen hätte.
  5. Die Polizei, sobald gereizt, schützt nicht das Gesetz, sondern bricht es. Nervenbelastung durch Übertreibung von Demokratie hält sie nicht durch. Ein anständiger Demokrat demonstriert nicht. Der Gebrauch dieses Grundrechtes ist ein Mißbrauch. Die Polizei wird durch Rechtsgebrauch provoziert. Sie kann daher keine formalgesetzliche Amtshandlung durchführen, sondern muß hart durchgreifen; sie fungiert als demokratische SA.
  6. Sobald die Polizei die Nerven verloren hat, wird sie nicht vom Gesetz, sondern von der Tiefenpsychologie regiert. Regenten sind der Sadismus, mit dem rudelweise (immer gehen mehrere Polizisten auf einen Zivilisten los) auf Wehrlose eingeschlagen wird, am Boden Liegende zum Fertigmachen noch mit Stiefeln getreten werden; die sportliche Perfektionierung der Brutalität („wobei ihn ein höherer Offizier mit gekonntem Griff zwischen seinen Beinen wuchtig mit dem Kopf gegen den Boden schlagen läßt“; das hat er in der Nahkampfschule gelernt); die Vorliebe für das Brutalisieren von Mädchen. (in Salzburg suchte sich die losstürmende Polizei ein Mädchen als erstes Opfer aus); die Kompensation kleinbürgerlichen Sexualneides gegenüber den Studenten, von denen man doch in den Illustrierten gelesen hat, wie sie’s treiben, daher die Vorliebe für das Treten in den Unterleib.

Erfreulich ist, daß Bundeskanzler Kreisky dem Salzburger Polizeipräsidenten Hosp persönlich die Leviten las, einem auch unter Polizisten (man soll ja nicht alle über einen Kamm scheren) offenbar besonders unterentwickelten Exemplar.

Aber das ist nur eine Symptomkur. Im wesentlichen hat unsere Gesellschaft genau jene Polizisten, die sie verdient: schlecht bezahlte, mangelhaft ausgebildete, mit geringem Sozialprestige bedachte, in ihrer Berufswahl von Komplexen getriebene und folglich in tieferem Sinn schuldlose, auch dort, wo sie juristisch schuldig (und meist doch nicht bestraft) werden.

Für ihre miese materielle, soziale und seelische Lage werden die Polizisten von unserer Gesellschaft mit dem Freibrief entschädigt, ungestraft prügeln zu dürfen. Die Polizei darf fast alles, solange sie Ruhe, Ordnung, Eigentum und überhaupt jenes System schützt, das die Polizisten genauso unmenschlich behandelt wie die übrigen Lohnabhängigen auch.

Wie schon Frau Pollak sagte, gibt es kein Schlechtes, was nicht hat ein Gutes. Für die biedere Salzburger Studenten- und sogar Assistentenschaft waren die Prügel, die sie beim Zapfenstreich bezogen, wertvoller Unterricht, besser als Dutzende Vorlesungen, Seminare, Bücher über Staatslehre, Politologie, Soziologie, Sozialpsychologie. Die aufklärende Wirkung des Polizeiknüppels ist unübertrefflich.

Literatur:

G. N. Polizeidemokratie (Polizisten prügeln junge Sozialisten am 1. Mai in Wien), NF Juni/Juli 1968

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