FORVM, No. 176-177
August
1968

Sanfte Anfrage

Interview im Fernsehen am 29. Juni
Kreuzer: Herr Doktor Nenning, ist es in der gestrigen Sitzung Ihres Herausgeberkomitees zu weiteren Protestaustritten gekommen, ist Ihr umstrittener Artikel [1] weiter kritisiert worden, oder haben Sie Zustimmung gefunden?

Nenning: Es ging weder um Zustimmung noch um Protest. Bei uns wird immer sehr scharf kritisiert, sozusagen alles. Zustimmung interessiert uns gar nicht so sehr. Weitere Austritte hat es in dieser Sitzung nicht gegeben. [2] Unser Firmenname ist FORVM, das heißt: ein breites Spektrum von Meinungen. Unter anderem darf auch der Herausgeber seine Meinung äußern.

Kreuzer: Von sozialistischer Seite ist Ihnen besonders übelgenommen worden, daß Sie in Ihrem Artikel die Sozialistische Partei kritisiert haben, weil sie sich von linksradikalen Strömungen distanzierte — obwohl Sie doch seinerzeit im Wahlkampf 1966 und nach diesem Wahlkampf Ihrer Partei vor allem vorgeworfen haben, daß sie sich nicht distanziert hatte. Sehen Sie darin einen Widerspruch? Wie klären Sie das auf?

Nenning: Ich bleibe bei meinem Vorurteil, daß ich eine Linie habe. Meine Kritik seinerzeit war ja: ich bin dagegen, sich Stimmen schenken zu lassen von einem stalinistischen Apparat; ich bin dagegen, daß man sagt: „Da kann man nichts machen, die Stalinisten schenken uns eben Stimmen.“ Ich forderte statt dessen: geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Und ich behaupte, es ist konsequent, wenn ich auch jetzt verlange: keine administrativen Maßnahmen gegen die junge Neue Linke, sondern intensive geistige Auseinandersetzung mit ihr.

Kreuzer: Eine eher praktische Frage in diesem Zusammenhang. Die Sozialistische Partei hat zwei große Lager: das eher traditionalistische, das in Wien beheimatet ist, und das eher reformistische, das in den Bundesländern seinen Rückhalt hat. Sie haben niemals einem dieser Lager angehört, aber Sie haben Ihre Rückendeckung eher vom reformistischen Lager bekommen, das zur Zeit die Parteitagsmajorität stellt und den Parteiobmann. Fürchten Sie nicht, daß Sie, indem Sie nun beide Lager in einen Topf werfen, sich zwischen zwei Sessel setzen? Glauben Sie, daß die Neue Linke Ihre neue Heimat sein wird?

Nenning: Aber nein, ich brauche keine neue Heimat, ich sitze sehr gut zwischen allen Sesseln, auf einem Stockerl sozusagen. Unangenehm wird’s nur, wenn auf meine Kritik an der Partei damit geantwortet wird, daß in einem für meine Zeitschrift fast tödlichen Ausmaß Inseratenaufträge storniert werden.

Kreuzer: Ist das geschehen?

Nenning: Das ist geschehen. Und das geht natürlich ein bißchen weg von der geistigen Auseinandersetzung. Ansonst: ich bin ein Kreisky-Fan, ich war immer für Kreisky und gegen Pittermann, ich bin auch jetzt für Kreisky. Er ist der beste Bruno, den wir haben, aber Kritik muß man vertragen, meines Erachtens. Wenn man in einer Zeitschrift kritisiert wird, so muß man das hinnehmen in einer Demokratie. Nicht nur hinnehmen, man kann sogar antworten, wenn’s besonders schön demokratisch zugeht.

Kreuzer: Was Ihre Affinität zur Neuen Linken anlangt: glauben Sie, daß Sie ein österreichischer Cohn-Bendit werden könnten oder vielleicht eher, Ihrer Generation gemäßer, ein österreichischer Marcuse?

Nenning: Na, siebzig bin ich noch nicht so rasch.

Kreuzer: Weder siebzig noch zwanzig, aber vielleicht sozusagen beides zugleich.

Nenning: Um mein ideales Alter geht’s hier gar nicht. Ich glaube an eine weit über die Parteipolitik hinausreichende allgemeine Funktion meiner Zeitschrift. Was mich dort an der jungen Neuen Linken interessiert, ist die grundlegende Reform unserer Demokratie, die sie verlangt. Wenn sich die Parteien — hier geht es nicht nur um die sozialistische — dem nicht stellen, werden sie verkalken und vergreisen, die Demokratie wird erstarren. Was mich interessiert, ist: Wie wollen die Jungen diese Demokratie umbauen? In diesem Sinn gehöre ich dazu, und in diesem Sinn will ich dazu gehören. Hingegen will ich Parteigänger weder auf der „traditionalistischen“ noch auf der „reformistischen“ Seite sein. Sondern ich bin Sozialist; und zwar Sozialist in der Partei, solange man mich dort läßt. Das ist meine Geschichte, also eine österreichische Geschichte.

Es geht um Integration der jungen Menschen in die Demokratie zwecks Verbesserung dieser Demokratie. Und daher meine Frage an Kreisky, der der Beste ist, den wir in unserer Preislage haben: Was willst du tun, um das zu erreichen?

[1„Polizeisozialismus“, Juni/Juli-Heft, S. 421 ff.

[2Vgl. jedoch die gesamte Verlustliste zu Beginn dieses Heftes.

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