FORVM, No. 339-341
Mai
1982

Sozialpartnerstreit

Dallinger & Sallinger im Clinch

Dallinger: Wo bleibt die Basis?

In der Diskussion zu seinem Referat beim Otto-Bauer-Symposium erklärte Alfred Dallinger genauer, wie er die Vorzüge und Nachteile der Sozialpartnerschaft sieht und bewies dabei eine ın Österreich seltene ideologische Ziwilcourage: Man weiß ja, daß es schwer genug ist, sich hier in Österreich im Gewerkschaftsbund darauf zu einigen, daß man überhaupt eine Arbeitszeitverkürzung anstrebt.

Wenn ich gesagt habe, daß das Timing so sein soll: zunächst Urlaub und dann Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, dann nicht sosehr, weil ich glaube, daß das vom Ablauf her richtig ist, sondern weil ich mich in der Frage auf Beschlüsse des letzten ÖGB-Kongresses stützen kann und weil es beim Realisieren dieser Forderung nicht so große Schwierigkeiten gibt wie bei der Verkürzung der täglichen Arbeitszeit.

Es ist aber richtig, daß der europäische Gewerkschaftsbund in einem sehr eindrucksvollen Manifest beschlossen hat, daß er eine Herabsetzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche anstrebt. Ich weiß aber, daß es da Divergenzen gibt, wie wir das realisieren.

Niemand glaubt, daß die Arbeitszeitverkürzung allein die Probleme lösen kann, aber wir müssen gerade im Hinblick auf die technische Entwicklung den Rationalisierungsanstrengungen der Unternehmer mit dem Instrument der Arbeitszeitverkürzung begegnen. Wir müssen früh anfangen, es ist jetzt schon fast zu spät.

Die Gewerkschaften sind in einer Krise, wurde gesagt. Ich glaube, daß wir den Übergang von der Hochkonjunktur zu einer Krise, wie wir sie zuletzt in den dreißiger Jahren hatten, noch nicht verkraftet haben. Wir sind Suchende, wir sind Irrende. Wir haben es mit einer Arbeiterschaft zu tun, die von der Hochkonjunktur geprägt ist, von einer Konsumgesellschaft, wo wir das Leben passiv erleben, es nicht aktiv gestalten. Ich gebe zu, daß das System der Sozialpartnerschaft in Österreich für die Bewußtseinsbildung in der Arbeiterschaft nicht gerade förderlich war.

Einerseits war der Prozeß der Sozialpartnerschaft einer der Befriedung in der Politik. Ich wollte aber auch zum Ausdruck bringen, daß die Sozialpartnerschaft systemimmanent ist, nicht systemsprengend und daß ich — ohne ihren Wert für tagespolitische Fragen zu leugnen — der Meinung bin, daß die Sozialpartnerschaft für Gesellschaftsveränderungen nicht nur keine Hilfe, sondern sogar ein Hindernis darstellt. Deshalb müssen wir ja einen Bewußtseinsbildungsprozeß herbeiführen, wir müssen einen Appell an die Solidarität der Arbeiter, Angestellten und Beamten dieses Landes richten.

Ich habe nämlich das Gefühl, je stärker die krisenhaften Erscheinungen werden, umso stärker wird der Entsolidarisierungsprozeß in der österreichischen Arbeitnehmerschaft — aber nicht nur in der österreichischen. Wir gehen auseinander, anstatt uns für ein gemeinsames Ziel zu finden!

Alle unsere Theorien, liebe Freunde, sind Schall und Rauch, wenn es uns nicht gelingt, die Basis für die Realisierung unserer Ziele zu mobilisieren, wenn es uns nicht gelingt, hier ein harmonisches Miteinander zu erreichen, daß nicht jeder nur seine Position verteidigt, sei es als Individuum oder als Gruppe. Mehr denn je sollten wir den Menschen sagen, daß die klassischen Ziele der Arbeiterbewegung nach wie vor da sind, daß wir sollten zurückkehren zur Moral der Gründer der Bewegung, und zwar sowohl in ethischer wie in politischer Hinsicht.

Machen wir uns keine Illusionen, es sind nicht nur oder nur scheinbar die Bürokraten, die diesem Wollen entgegenstehen. Es gibt Kräfte an der Basis selbst, die das mit verhindern, liebe Freunde! Ihr wißt ja selber, daß die Probleme allein mit der Aufstellung von fortschrittlichen Forderungen nicht gelöst sind, es geht darum, daß sich die Basis in Richtung dieses Fortschritts in Bewegung setzt. Das größte Hemmnis für die Erreichung der Ziele ist zunächst noch die Basis, aus welchen Gründen immer!

Ich möchte euch davor warnen, liebe Freunde, euch selbst in die Isolation zu begeben, ob in der Partei oder in der Gewerkschaft. Es ist weitaus schwieriger, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, als in der Isolation zu leben, wo man unter sich ist. Wenn wir unser gemeinsames Ziel realisieren wollen, müssen wir einen Integrationsprozeß mit der Partei, den Gewerkschaften und den Massen der Bevölkerung anstreben. In diesem Sinne hat uns gerade Otto Bauer hervorragende Orientierungshilfen gegeben. Besinnen wir uns auf diesen Geist, daß wir zusammen mit den Massen das Ziel erreichen: die Befreiung der Arbeiterklasse!

Scharfe Sallinger-Antwort

... übte der Bundeskammerpräsident heftige Kritik an Äußerungen von Sozialminister Dallinger, der auf der Otto-Bauer-Tagung gemeint hatte, die Sozialpartnerschaft wäre manchmal hinderlich.

»Ich stehe zu dieser Sozialpartnerschaft«, unterstrich Sallinger, die Stellungnahme des Sozialministers sei ein »Spiel mit dem Feuer«. Was die Wirtschaft derzeit besonders benötigte, sei ein »gutes Klima«. Dies könnte aber nicht nur durch Maßnahmen herbeigeführt werden, die Geld kosten, es sei auch nötig, daß die Unternehmer nicht durch Aussagen von Regierungsmitgliedern verunsichert werden.

Die Presse
11. März 1982

Falsch zitiert

Scharf reagiert Sozialminister Dallinger auf die harte Kritik, die Bundeskammerpräsident Sallinger anläßlich der Eröffnung der Wiener Messe an ihm geübt hat. Dallinger zur AZ: »Sallinger hat mich bewußt falsch zitiert.« (...)

Rudolf Sallinger verfälschte die Aussagen insofern, als er ihnen unterstellte, die Sozialpartnerschaft sei kein geeignetes Instrument, wirtschaftliche Schwierigkeiten zu meistern. Dallinger dazu zur AZ: »Das ist völliger Unsinn, das ist doch etwas völlig anderes.« Gegensätzliche Ideologien von Kapitalismus und Sozialismus hätten eben ihre natürliche Grenzen, das habe nichts mit der Bewältigung jetzt anstehender konkreter ökonomischer Probleme zu tun.

Dallinger abschließend zur AZ: »Ich werde mir jedenfalls merken, daß der Bundeskammerpräsident mich vor der Rede brüderlich umarmt, mich aber in der Rede — ohne daß ich Gelegenheit zur Richtigstellung hatte — ganz unbrüderlich durch falsches Zitieren attackiert.«

Arbeiter-Zeitung
22. März 1982
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