FORVM, No. 122
Februar
1964

Verzeihen gilt auch in der Politik

Obwohl ich nicht glaube, daß Ihre Umfrage dazu beitragen könnte, die Vergangenheit zu „bewältigen“, will ich sie dennoch beantworten, weil ich dem FORVM den guten Willen, mit dieser Aktion der gemeinsamen Sache aller Österreicher einen Dienst zu erweisen, nicht absprechen möchte.

I.

Ich bin der Meinung, daß die „Bewältigung“ der Vergangenheit nicht eine Frage der rationellen Durchleuchtung jener Ereignisse, sondern eine Frage der moralischen Haltung ist. Auch aus der Politik darf das Wort „verzeihen“ nicht verbannt bleiben. Zu entscheiden, wer die Hauptschuld oder doch den größeren Teil der Schuld an dem tragischen Geschehen des Februar 1934 zu tragen hat, ist meines Erachtens unmöglich und überdies müßig. Vielleicht kommt man der Wahrheit am nächsten, wenn man den Februar 1934 als den Endpunkt einer Tragödie der politischen Irrungen bezeichnet, in der beide Teile subjektiv der Meinung waren, sie, und nur sie, seien im Recht.

Daraus ergibt sich — ohne daß ein Urteil über die Frage, ob die beiden feindlichen Lager damals demokratische Gruppierungen gewesen sind oder nicht, notwendig wäre — der zwingende Schluß, daß eine Vertiefung der Gegensätze oder eine Überbetonung des eigenen Standpunktes und die Weigerung, auch dem politischen Gegner das Recht auf eine ehrliche Überzeugung zuzubilligen, zu nichts Gutem führen können. Demokratie ohne Toleranz ist undenkbar. Wenn dieser Grundsatz außer acht gelassen wird, kann schließlich keiner der Partner mehr aus dem Teufelskreis ausbrechen.

II.

Gewiß ist die Tatsache, daß am 12. Februar 1934 auf beiden Seiten Österreicher ihr Leben für ihre Überzeugung eingesetzt haben, alle Achtung wert. Es kann jedoch nicht Aufgabe der Politik sein, die Menschen in eine so ausweglose Situation hineinzumanövrieren, daß an ihrem Endpunkt die Barrikaden stehen.

III.

Ich halte es nicht für möglich, daß ähnliche Ereignisse sich in Österreich wiederholen könnten. Die Voraussetzungen dafür sind nicht mehr gegeben. Nur ein viele Jahre dauerndes Auseinanderleben der beiden großen politischen Lager in Österreich könnte sie unter Umständen wieder schaffen. Aber selbst wenn eine solche Entwicklung einträte, wären die demokratischen Kräfte auf beiden Seiten stark genug, um eine Explosion zu verhindern.

Die Lehre aus dem Bürgerkrieg des Jahres 1934 kann nur lauten: „Niemals wieder! Fortsetzung der Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte in Österreich, damit die Zukunft in gemeinsamer Arbeit bewältigt werden kann.“

Ich bin überzeugt, daß der weitaus größte Teil aller Österreicher, wo immer er politisch stehen mag, diese Lehre aus den Ereignissen des Februar 1934 gezogen hat. Und ich hoffe sehr, daß diese Überzeugung anläßlich der 30. Wiederkehr des Jahrestages des 12. Februar 1934 bestätigt werden möge, wenngleich verschiedene Äußerungen auf sozialistischer Seite die Befürchtung aufkommen lassen, daß manche Sozialisten noch immer in die falsche Richtung, nämlich rückwärts, schauen. Wenn man sich nach wie vor zu dem Grundsatz bekennt, Demokratie sei wohl der Weg, Sozialismus aber das Ziel, und damit die Demokratie zu einem bloßen Mittel der Politik erniedrigt, dann werden uns, fürchte ich, noch schwere Zeiten bevorstehen. Demokratie muß vielmehr die politische Lebensform sein, zu der alle Österreicher sich uneingeschränkt bekennen. Dann, und nur dann, werden Blut und Tränen am 12. Februar 1934 nicht umsonst geflossen sein.

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