FORVM, No. 122
Februar
1964

Wir haben die Lektion gelernt

Zuerst eine Vorbemerkung. Die Ankündigung der Sozialistischen Partei, am 12. Februar eine große Gedenkfeier zu veranstalten, hat die ÖVP veranlaßt, den Sozialisten vorzuwerfen, daß sie mit einer solchen Kundgebung doch nur „Gespenster heraufbeschwöre“, das heißt wohl, daß sie, die Sozialisten, alte Wunden aufreißen und die Haß- und Kampfstimmung von damals in die Gegenwart projizieren. Die Sozialistische Partei hat sich gegen diese Mißdeutung bereits verwahrt. Ich persönlich möchte feststellen: wenn ich mich an der Beantwortung der Rundfrage beteilige, so geschieht es auch nicht, um „Gespenster heraufzubeschwören“, sondern aus einem ganz anderen Grund. Die Entwicklung, die zu den unglückseligen Februar-Ereignissen vor dreißig Jahren geführt hat, liegt weit genug zurück, daß wir aus der Geschichte lernen können, und sie liegt noch immer nahe genug, daß wir die richtigen Erkenntnisse ziehen müssen. Die heutige Generation soll Ursachen und Wirkungen des 12. Februar verstehen, damit sie weiß, wie man es nicht machen soll. In diesem Sinn mögen die folgenden Ausführungen verstanden werden.

I.

An dem Ausbruch des Bürgerkriegs trägt der Dollfuß-Flügel der Christlichsozialen im Verein mit den Heimwehren die Alleinschuld.

Die Regierung Dollfuß brach Anfang März 1933 zum erstenmal die von ihr beschworene Verfassung, als sie mit Gewalt den Zusammentritt des Parlaments verhinderte. Daran reihte sich Verfassungsbruch an Verfassungsbruch, wie die Aufhebung der Presse- und Versammlungsfreiheit, die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes und vieles andere mehr. Das Regime Dollfuß war ein gesetzbrecherisches Regime, ein Regime der Willkür und Gewalt.

Der damalige Obmann der Christlichsozialen Partei, Czermak, gab nach dem 12. Februar zu, daß sich die sozialdemokratischen Führer nach Ausschaltung des Parlaments — also zwischen dem 4. März 1933 und dem Ausbruch des Bürgerkriegs — wiederholt bemüht hatten, eine Verständigung zu erreichen und zu diesem Zweck weitgehende Konzessionen anboten, aber sie wurden immer abgewiesen. [*] Dollfuß weigerte sich sogar, mit ihnen direkt zu verhandeln. Er war eben fest entschlossen, die Sozialdemokratische Partei, die mit 44 Prozent der Parlamentssitze die stärkste Partei war, zu vernichten.

Am 11. Februar 1934 hielt der Vizekanzler der Regierung Dollfuß und Führer der Heimwehren, Fey, eine Rede, in der er betonte, „daß Kanzler Dollfuß der Unsrige ist“. Er setzte fort: „Und ich kann euch noch mehr sagen, wenn auch nur mit kurzen Worten: Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten!“

Fey hat mit dieser „Arbeit“ zweifellos die Waffensuche in Linz gemeint, die die erste Schießerei und damit den blutigen Bürgerkrieg auslöste. Daß in diesem Sinn Fey einer der Hauptschuldigen ist, hat sogar Starhemberg Jahre später in seinen Memoiren zugegeben. [**] Und der vom Dollfuß-Regime eingesetzte Vizebürgermeister von Wien, Ernst Karl Winter, hat die Schuldfrage knapp und eindeutig beantwortet, als er sagte: „Wer nicht blind und taub ist, muß anerkennen, daß der 12. Februar sich nicht ereignet hätte ohne die Ereignisse vom 7. März 1933“ (Beginn der Verfassungsbrüche).

Am 12. Februar holte also die faschistische Gegenrevolution, die schon lange vorbereitet wurde, zum entscheidenden Schlag gegen die österreichische Demokratie aus. Wer den ersten Schuß abfeuerte (was übrigens nie einwandfrei festgestellt werden konnte), ist irrelevant.

Die damalige Sozialdemokratische Partei war gemäß Praxis und Theorie eine demokratische Partei. Dem widerspricht keinesfalls die immer wieder als Gegenbeweis (meistens falsch) zitierte Stelle aus dem Linzer Programm 1926, wo es heißt: „... Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird die Staatsmacht in den Formen der Demokratie und unter allen Bürgschaften der Demokratie ausüben ... Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung ... durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.“

Das heißt nichts anderes als: wenn die anderen den Entscheidungen der parlamentarischen Demokratie Gewalt entgegensetzen, dann, und nur dann, werden die Sozialdemokraten mit gleichen Mitteln antworten.

Die „autoritär gesinnte Rechte“ war zweifellos eine faschistische Gruppierung. Jener Teil der Christlichsozialen, der sich seine demokratische Gesinnung bewahrt hatte, verlor im Laufe der Ereignisse immer mehr an Einfluß, während die eindeutig faschistischen Heimwehren immer stärker wurden. Dollfuß selbst entwickelte, zum Teil aus persönlichen Gründen, einen immer stärker werdenden Haß gegen das Parlament und daraus, sowie unter dem Einfluß Mussolinis, entstand bei ihm bald eine echte faschistische Gesinnung.

II.

Die Tatsache, daß die österreichische Sozialdemokratie kämpfend unterging, hat, wie jeder Freiheitskampf, in der ganzen Welt tiefen Eindruck gemacht und ihr viel Sympathien verschafft. Darauf gestützt, konnten österreichische Sozialisten während des Krieges im Ausland für die Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs nach dem Zusammenbruch des Naziregimes erfolgreich eintreten. Die Erinnerung an die Februarkämpfe hat 1945 wesentlich dazu beigetragen, die österreichische Arbeiterbewegung vor einer verhängnisvollen Spaltung zu bewahren. Die Einheit der österreichischen Sozialisten war aber die Voraussetzung für den demokratischen Wiederaufbau der Republik.

Der österreichischen Sozialdemokratie der Ersten Republik ist das weit über die Grenzen des Landes bewunderte „Neue Wien“ zu danken. Und was den Austromarxismus anlangt, so sei gestattet, das Urteil eines ausländischen, objektiven Historikers zu zitieren, „... daß seine (des Austromarxismus) Theorien diktiert waren von einem mutigen Bekenntnis zur Demokratie, zur intellektuellen und geistigen Freiheit, von dem unermüdlichen Bestreben, die Gewalt aus dem politischen und sozialen Leben auszuschalten, und von der tiefen Sympathie mit denen, die leiden und Hilfe suchen ...“ [***]

(„Finden Sie an der damaligen Rechten positive Züge?“) Kaum.

III.

(„Halten Sie eine Wiederholung des Februar 1934 für möglich?“) Nein.

Demokratie ist eine nicht leicht zu erlernende Kunst des Regierens und Verwaltens. Die große Mehrheit der beiden Regierungsparteien beherrscht sie so ziemlich; wollen wir hoffen, daß die Ausnahmen immer seltener werden. Der Beschluß der Regierung, aller Opfer gemeinsam zu gedenken, ist jedenfalls sehr zu begrüßen.

Nach den Ergebnissen der Wahlen zu schließen, haben die Wähler aus den Februar-Ereignissen die Lehre gezogen, daß in Österreich keine der beiden großen, praktisch gleich starken Parteien der anderen ihren Willen aufzwingen soll und kann. Das heißt also Zusammenarbeit, heißt Kompromisse, heißt Verständnis für den Standpunkt des anderen, heißt geben und nehmen. Und heißt vor allem, die Verfassung nicht antasten und das Recht wahren. Die bewußte und absichtliche Verletzung dieses Grundsatzes durch das Dollfuß-Regime hat den 12. Februar 1934 heraufbeschworen.

[*Gulick: Österreich von Habsburg zu Hitler, Band IV, S. 299.

[**Ebenda, S. 301.

[***Gulick, a.a.O., Band V, S. 57.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)