FORVM, No. 319/320
Juli
1980

Burgerfrieden

Rechte, Wahlen, Dialektik
So schaut’s aus,
wenn die NDP um Stimmen wirbt (Mai 1980 in Wien).

140.741 Österreicher wollten ihn am 18. Mai zum Bundespräsidenten haben, den Dr. Norbert Burger aus Kirchberg am Wechsel: 3,2 Prozent der Bevölkerung („Doch? Oder nur?“ fragte höhnisch Thomas Chorherr in der Presse).

Burger warb mit dem Bekenntnis zur Todesstrafe: wenn sich kein Henker finde, werde eben er den Job übernehmen. Hatte er doch schon 1945 in einem kleinen niederösterreichischen Ort, wie er sagt, „als Soldat“ (16jährig!) am Fangen & Hinrichten eines Widerstandskämpfers teilgenommen (Interview im Spiegel vom 17. Juli 1967).

79,9 Prozent bekam der amtierende SPÖ-Kandidat Dr. Rudolf Kirchschläger, seinerzeit Mitglied von Schuschniggs Vaterländischer Front. 17 Prozent erhielt Dr. Willfried Gredler von der FPÖ (vorher ÖVP), der im Wahlkampf mal seine Nazivergangenheit, mal seine Widerstandstätigkeit zu Kriegsende hervorhob. Burger führte den Terno am Wahlzettel an, er hat im Alphabet die Nase vorn.

Burgers 140.741 Wähler hätten bei einer Nationalratswahl für je ein Grundmandat in der Steiermark und in Niederösterreich sowie für ein Reststimmenmandat ausgereicht. „Wenn man weiß, was in Wirtshäusern so geredet wird“, brummte Kreisky, „dann ist das relativ wenig.“ Es ist relativ viel, wenn man bedenkt, daß die NDP Mühe hatte, die 2000 Unterschriften für Burgers Kandidatur zusammenzubetteln, und wenn man sich erinnert, daß die NDP bei der Nationalratswahl im März 1970, als sie zum ersten und bisher einzigen Mal kandidierte, nur 3293 Stimmen bekam — heiße 0,07 Prozent.

Burgers Stimmenzahl ist wiederum relativ klein, wenn man bedenkt, daß das rechtsextreme Potential in Österreich auf 15 Prozent geschätzt wird (auch Kreisky nannte diese Zahl). 150.000 bis 200.000 lesen wöchentlich völkische Zeitschriften. 1946 meinten laut Umfrage 46 Prozent der Österreicher, die Juden sollten nicht zurückkommen. 1969 bejahten 50 Prozent die Behauptung: „Wie sehr sich ein Jude auch an unsere Verhältnisse angepaßt haben mag, er bleibt doch anders als die Österreicher.“ Das Linzer Imas-Institut fand 1973, daß 24 Prozent der Österreicher stark antisemitisch, 46 Prozent schwach antisemitisch und nur 30 Prozent nicht antisemitisch sind. Und das bei 0,1 Prozent jüdisschem Bevölkerungsanteil!

Fremdenhaß und Ordnungsbestie liegen unter einer dünnen demokratischen Decke auf der Lauer. Ein Drittel der Österreicher haßt Neger, die Hälfte haßt Araber, zwei Drittel haßt Gastarbeiter, drei Viertel haßt „Gammler“, vier Fünftel naßt Sexualverbrecher. Gibt’s wirklich nur „zwei bis drei Prozent alte Nazis, die halt bisher nicht wählen gegangen sind“ (Kreisky) bzw. „ein bis vier Prozent Extremisten“ (Mock)? Sind Burgers Ziffern nur ein „Altersheim-Effekt“ (ÖVP-Lanner) oder „ein Protest gegen den Strafvollzug“ (Chorherr)?

Österreichs bürgerliche Demokratie ist ein Oberflächeneffekt. Wenn die Wirtschaft nicht mehr prosperiert und die Politik nicht mehr harmoniert, ist der Lack ab, dann ist Staberl keine Metapher mehr, sondern Regierungsinstrument. Nehmt Krise und ein bißchen Terror, und wir haben die Diktatur. Drei Wochen italienische Zustände genügen.

Kreisky, den das erste Signal der kommenden Dinge mehr getroffen hat als er zugibt, schob die Verantwortung auf die Jungen, die durch Protestdemonstrationen dem Burger erst die nötige Publizität verschafft hätten. Er habe selbst in seiner Jugend diesen Fehler gemacht. Da riß sogar seinem getreuen Paladin Günther Traxler in der Arbeiter-Zeitung die Geduld: „Die Schuldigen waren rasch gefunden: Alte Analphabeten und junge Antifaschisten.“ Traxler denkt diese Logik weiter, ad absurdum: „Adolf Hitler wäre wohl doch nie der große Diktator geworden, hätten ihm nicht instinktlose Demonstrationen von Nazigegnern entsprechende Popularität verschafft.“

Hatten bei der Inkubation von Burgers Stimmenbalg noch alle züchtig weggeschaut, so wollte es nachher keiner gewesen sein. SPÖ-Blecha wies triumphierend darauf hin, daß die Burger-Stimmen sich in den ÖVP-Hochburgen häuften, und was den FPÖ-Anteil betreffe — Gredler hätte in der FPÖ ja keine Mehrheit hinter sich gehabt; worauf FPÖ-Steger die Verantwortung von seinem Lager abwies, indem er herausplatzte, Gredler sei sowieso der Kandidat des rechten FP-Flügels gewesen.

ÖVP-Lanner hatte einen seiner berühmten Einfälle: die Linksextremen könnten doch zwecks Diskreditierung der österreichischen Demokratie rechtsextrem gewählt haben ... Warum denn die ÖVP, als sie ihren Anhängern die Wahl frei gab, Burger nicht ausgenommen hätte? Lanner, ganz Kreisky: Das wäre Propaganda für Burger gewesen. (Das VP-Organ Volksblatt brachte in der letzten Nummer vor der Wahl sogar eine Porträtgalerie der Wahlmöglichen inklusive Burgers Konterfei ...).

Schließlich noch der Herr Bundespräsident höchstselbst, schon in ganz franzjosefinischer Manier: „Die heute den Herrn Burger gewählt haben, wären morgen sicher überrascht, wenn wir sie als rechtsextrem bezeichnen würden.“

Nachdem das politische Establishment mutwillig die schlafenden Faschistenhunde geweckt hat, muß es ihnen nun dienen wie nach dem Krieg, als alle um die Nazistimmen buhlten. Das Kärntner Ergebnis (nur 74,3 Prozent für Kirchschläger, weil er einige Slowenen begnadigt hatte, die in einem politischen Prozeß angeklagt waren) verheißt nichts Gutes für die slowenische Minderheit.

Die ersten Anzeichen von Konzessionen nach rechts zeigen sich bereits in der wahnsinnigen Rauschgiftorgie, welche die österreichischen Medien seit einigen Wochen erfaßt hat, und die jetzt Politiker und Ämter ansteckt. NDP-Burger fordert die Todesstrafe für Rauschgifthändier, FPÖ-Ofner „nur“ lebenslänglich, ÖVP-Lichal kann sich das bereits vorstellen, während die SPÖ, die bisher noch hinhaltenden Widerstand geleistet hat, nunmehr der Polizei freie Hand für drogenkaufende Geheimagenten gibt.

In ganz Österreich wurde bereits hunderten „Drogenbesitzern“ der Führerschein abgenommen — nicht etwa, weil sie high am Steuer saßen, sondern bloß, weil bei ihnen (nicht notwendigerweise im Fahrzeug!) Drogen gefunden wurden: sie sind nicht mehr „vertrauenswürdig“ (Kronen-Zeitung vom 30. Mai 1980: „Endlich eine ‚Aktion scharf‘ der Sicherheitsbehörden“).

Die Straßenkämpfe von Amsterdam, Bremen und Zürich haben im Establishment die Furcht vor einer neuen Jugendrevolte geweckt. Sogar in Wien hat sich rund um den Burggarten schon was getan ... Die Anheizung der Drogenwelle durch die Medien dient der Vorbereitung eines staatlichen Repressionsterrors, der das Drogenproblem als Vorwand benützt, um generell gegen nonkonforme Jugend vorzugehen. Schon werden ärztliche Kontrollen der Schüler vorgeschlagen. Wie weit ist es noch bis zu Jugend-KZs für „Drogensüchtige“ und „Gewalttäter“?

Angesichts dieser stillen Koalition nach rechts wirken die Appelle von links, die Neonazis zu verbieten, direkt rührend. Steht nicht im § 9 des Staatsvertrags von 1955, „Österreich verpflichtet sich, alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen“? Das ist immerhin Bestandteil unserer Verfassung.

Aber es steht ja auch im § 7 desselben Staatsvertrags, „die Tätigkeit von Organisationen, die darauf abzielen, der kroatischen oder slowenischen Bevölkerung ihre Eigenschaft und ihre Rechte als Minderheit zu nehmen, ist zu verbieten“. Der Kärntner Heimatdienst bleibt aber weiterhin erlaubt, daran hängt die absolute Mehrheit der SPÖ.

Juristisch hätte man die Burger-Kandidatur mit Hinweis auf diese und andere Gesetze zurückweisen können. Man hat aber politisch nach rechts geschielt. Die „Antifaschisten“ wollen das alte Bündnis von links bis zur ÖVP, wie in Hitlers Lagern, im Widerstand erneuern. Das bleibt genauso ein frommer Wunsch wie die Rekonstitution seines außenpolitischen Pendants, der Allianz der Großmächte, deren letzter Ausfluß eben der Staatsvertrag und die erwähnten Paragraphen waren. Die Außenminister der Vier waren sich Mitte Mai in Wien bloß darin einig, daß diese Zeiten vorbei sind.

Ist bei den Staatsvertragsfeiern am Vorabend der Präsidentenwahl nicht bis zum Erbrechen jenes gewisse Geröhre „Österreich ist frei“ wieder und wieder abgespielt worden, und hat es mehr gebracht als die Bekundung: „Frei zu einer neofaschistischen Provokation“? Die Außenminister haben die Wiener Regierung für ihre Politik gelobt und damit die diversen Brüche des Staatsvertrags sanktioniert. Selbst die Jugoslawen steigen nicht für ihre Konationalen auf die Barrikaden, gute Beziehungen zum Ballhausplatz sind ihnen wichtiger.

Die Staatspolitik wird sich also nicht in eine antifaschistische Front verwandeln. Soll man überhaupt das Verbot der NDP verlangen? Ich finde: nein. Einige Organisationen sind ja schon verboten worden, der BHJ (1959), der BNS (1968), die Burschenschaft „Olympia“ (1961) — was tut’s, ihr früherer Fuchsmajor Burger treibt weiterhin sein Wesen, und Bier gesoffen wird halt jetzt in der „Vandalia“. Die Honsik, Plessl und Witt wird’s weiterhin geben.

Am 16. Mai, zwei Tage vor der Wahl, wurde der Z-Klub von „Babenbergern““ überfallen, die vis-à-vis ihr Kellerlokal haben. Der Geschäftsführer des Z-Klubs blieb blutig verletzt beim Eingang liegen. Im Kinosaal lief der Film „Der Präsident im Exil“ über den Sudetenführer und Straußfreund Walter Becher, ein Typ wie Burger. Die „Kameradschaft Babenberg“ ist übrigens polizeilich verboten. Soll man ihre Mitglieder „verbieten“? Etwa in Sicherungsverwahrung nehmen? Wen noch?

Der bürgerliche Staat versteht nicht links und rechts, er steht über den Parteien, er versteht nur „Extremismus“. Wenn wir zu ihm kommen und das Verbot der NDP verlangen, antwortet er: „Gut, ich verbiete alle Extremgruppen, linke und rechte!“ In der Praxis wird er dann die Linken verfolgen und die Faschisten in Ruhe lassen. Ich habe die KPÖ, welche die Verbotslosung vor allem auf ihre Fahnen geschrieben hat, in Verdacht, daß sie eben das anstrebt: wäre sie doch dann mit einem Schlag ihre Konkurrenten linksaußen los, die ihr schon über den Kopf gewachsen sind.

Man soll den Staat nicht in einen Kampf einspannen, der eigentlich ein politischer ist. Die Verkäufer in den linken Buchläden, die Leiter der linken Klubs wissen, mit wem sie es zu tun haben und wie groß oder klein die Gefahr ist. Sie sind es zunächst, die auf die Drohungen und Anschläge reagieren müssen. Den linken Gruppen in Wien ist es schon mehrmals gelungen, Neonaziwellen zum Abebben zu bringen.

Wie schafften sie das? Man muß den Nazischlägern das Recht auf die Straße streitig machen, ihre Manifestationen kontestieren, ihnen überhaupt das Gefühl vermitteln, daß sie sich nicht breitmachen können. Die Polizei wirkt da eher hinderlich, siehe Präsidentenwahlkampf, wo sie Burgerveranstaltungen ermöglicht hat, hinter denen praktisch nichts war.

Es gibt zu jeder Zeit einen Spannungszustand zwischen Antifaschisten und Neonazis, den Beteiligten fühlbar, sichtbar: traun sie sich heraus, können wir sie zurückweisen oder ziehen wir den Schwanz ein und überlassen wir ihnen den Platz dann sind wir bald in der Defensive und werden dauernd überfallen.

Was hilft da das grobe Geschütz des Verbotsgesetzes, was hilft das Gestotter einer autoritär-antifaschistischen Erziehung, die die Schulkinder in die KZs schleift und das ödipale Aufbegehren gerade der Besten womöglich in neofaschistische Bahnen drängt? Ein Antifaschismus, der vom Kapitalismus schweigt, muß versagen. Bei uns ist ja sogar noch der Austro-Faschismus tabu, denn die ÖVP trägt das Grün wieder in der Parteifahne. Der offiziöse Antifaschismus verkümmert so zu einem nationalpatriotischen Gewäsch von innerer Konfliktfreiheit, das sich die Verachtung aller engagierten Jugendlichen redlich verdient hat.

Demnächst kommt, angefeuert vom Gewerkschaftsbund, ein Volksbegehren pro Atom. Industrielle widernatürlicherweise Hand in Hand mit Arbeitern. Werden wir Linke widernatürlicherweise, wie schon so oft, gegen’s Atom zusammen mit Frau Schmitz demonstrieren, die zusammen mit Herrn Burger gegen die Fristenlösung demonstriert, wo wir sie schon oft über den Polizeikordon hinweg beschimpften, oder wird die Linke da einen Weg finden, gleichzeitig gegen’s Atom zu demonstrieren und sich von der Rechten abzugrenzen? Sonst hätten wir kaum das Recht, Kreisky für seinen Burgerfrieden zu kritisieren.

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