FORVM, No. 315/316
März
1980

Straußianer an die Front

Prozesse, Beschlagnahmen in Sachen Rechtsextremismus

Ein Buch wurde zum innenpolitischen Streitobjekt: „Rechtsextremismus in Österreich nach 1945“, herausgegeben vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, erschienen im Österreichischen Bundesverlag, Wien 1979 (590 Seiten, öS 200, DM 33). Die Beschlagnahmen steigerten das Interesse, die ersten drei Auflagen mit insgesamt 4.000 Stück sind verkauft, im Februar erschien die vierte Auflage (1.500 Stück).

Als am 12. Februar nächtlings Polizisten in das altehrwürdige Druckhaus „Vorwärts“ in der Rechten Wienzeile einrückten, um die Arbeiter-Zeitung zu beschlagnahmen, konnten sich nur mehr die ältesten Typografen an die Ereignisse des Jubiläumstags zurückerinnern: Am 12. Februar 1934, auf den Tag genau 46 Jahre zuvor, war die AZ — damals beherbergte sie noch das SP-Hauptquartier — von Polizei und Heimwehr besetzt worden, hatte Dollfuß die Arbeiterbewegung gewaltsam zerschlagen.

Immerhin konnte die Staatsmacht die Arbeiterlokale in dieser Zeit nur unter Anwendung von Waffengewalt betreten, vielerorts stand der „Schutzbund“, der bewaffnete Arm der Sozialdemokratie, mit dem Gewehr in der Hand in (allerdings aussichtsloser) Verteidigungsstellung.

Heutzutage genügt ein Journalrichter, der auf Anforderung eines rechten Schreibers eingreift: eines gewissen Hans Pretterebner, Jahrgang 1944 aus der Steiermark, Macher des Miniblattes Politische Briefe („Konservative Monatsschrift für ein nichtsozialistisches Österreich“), der seine Laufbahn im politischen Gefolge Otto Habsburgs begonnen hatte; er wollte sich nicht „rechtsextrem“ oder „rechtsradikal“ nennen lassen.

Im Herbst 1979, kurz nach Erscheinen des Dokumentationsbands „Rechtsextremismus in Österreich“, erhob der Rechtsanwalt und FPÖ-Abgeordnete Tassilo Broesigke im Auftrag verschiedener Rechter, die in dem Buch vorkamen, Privatklage. Da waren Josef Feldner vom „Kärntner Heimatdienst“, Anton Bergermayer von der „Kameradschaft IV“ (ehem. Waffen-SS), Leute vom Turnerbund, vom „Deutschen Kulturwerk europäischen Geistes“ usw. — sie alle wollten keine Rechtsradikalen sein.

Anfang 1980 stießen dann zwei vom rechten Rand der ÖVP dazu: Karl Steinhauser und Hans Pretterebner. Steinhauser ließ das Buch Mitte Jänner im staatlichen Bundesverlag und im Widerstandsarchiv beschlagnahmen. Steinhauser, Organisator der LKW-Blockade an Österreichs Grenzen im Sommer 1978, sieht sich als Vorkämpfer der Kleinunternehmer gegen Finanzamt und Sozialdemokratie, er will nicht mit Ex- und Neonazis in einem Atem genannt werden. Weil er bei den heurigen Handelskammerwahlen mit einer „Bürgerlichen Protestliste gegen die erfolglose Interessenvertretung der Wirtschaftstreibenden“ gegen die ÖVP kandidierte, schloß diese ihn aus. Auch Pretterebner, der im Juli 1979 eine „Konservativ-Liberale Partei“ gegründet hatte, begab sich von selbst ins rechte ÖVP-Out.

Beide stellen mit ihrer rechtlichen Argumentation den Sinn der seinerzeitigen Anti-NS-Gesetze aus der frühen Nachkriegszeit auf den Kopf. War damals die nationalsozialistische Widerbetätigung unter Strafe gestellt worden, so wird heute die Warnung vor einer Rechtsentwicklung, die wieder zu einem Faschismus führen könnte, privatklägerisch als Beleidigung verfolgt: die Betreffenden würden strafbarer Handlungen bezichtigt. Die Gerichte haben sich bisher dieser Argumentation gebeugt (siehe Kasten) und damit die Empfindlichkeit der Rechten höher eingestuft als die politische Polemik ihrer Gegner.

Wie stets in der österreichischen Innenpolitik geht es bei diesen Positionskämpfen am Rand eigentlich nicht um den Neonazismus als solchen (der ist hier relativ schwach, und natürlich muß man alles tun, daß er es bleibt), sondern um die Frage der kleinen Koalition, ob also eine der beiden Großparteien mit der FPÖ eine Regierung bilden darf.

Rechtskonservativismus in Österreich:
Habt acht, Hochwürden, Helm ab zum Gebet!
Bild: P. & J. Hametter

Das war schon so bei den „Habsburger“-Kämpfen 1963 und in der Olah-Affäre 1964; damals wollte die SPÖ mit der FPÖ — es diente zuerst „Unser Motto: keinen Otto“ dazu, sich vom Koalitionspartner ÖVP freizuspielen, und die Absägung Franz Olahs, des sozialdemokratischen Partners der FPÖ, war im Gegenschlag das Mittel der FPÖ-Feinde in der SPÖ, um die rotblaue Koalition zu verhindern.

Das galt auch für die Borodajkewycz-Affäre 1965, als beiden Parteien von den Antifaschisten aller Lager signalisiert wurde, daß man mit alten Nazis nichts zu tun haben soll.

Die Affäre um Steinhauser und Pretterebner gehört zu den Nachwehen der vor den Nationalratswahlen 1979 von Taus & Götz geplanten ÖVP-FPÖ-Koalition.

Dr. Wolfgang Neugebauer, Mitarbeiter der Rechtsextremismus-Dokumentation des Widerstandsarchivs, hatte im Zuge des Wahlkampfs im Februar 1979 beim Rennerinstitut der SPÖ eine Broschüre mit dem Titel „Gefahr von rechts“ erscheinen lassen, die in der Warnung vor dem Bürgerblock gipfelte. Ein Jahr später, Anfang Februar 1980, ließ Pretterebner die Broschüre gerichtlich einziehen; die Polizisten drangen im SPÖ-Hauptquartier bis zur Tür des Parteivorsitzenden Kreisky vor. Die AZ-Berichterstattung über diesen in der 2. Republik bisher einmaligen Vorfall führte dann zu deren eigener Beschlagnahme am 12. und 14.Februar.

Die Aktionen der ÖVP-Rechtsaußen zielten sichtbar auf den ÖVP-Parteitag Ende Februar. Dort sollte der Schlußstrich unter das Bürgerblockabenteuer von 1979 gezogen werden, das der SPÖ am 6. Mai 1979 eine Verstärkung ihrer absoluten Majorität beschert hatte. Die beiden beteiligten Parteiobmänner Taus und Götz waren längst abgetreten, in der ÖVP ging es nun darum, ob der rechte Flügel (Lanner, Bergmann) weiter gestutzt werden sollte. Steinhauser und Pretterebner wollten demonstrieren, daß sie mehr Wirbel erzeugen können als die ganze ÖVP, und Mocks gemäßigte Politik damit abwerten (bemerkenswert, daß die Wiener ÖVP den Ausschluß von Pretterebner und Steinhauser erst nach dem Parteitag bekanntgab).

Wie ging die Schlacht aus? Lanner bekam zwar ein Drittel Gegenstimmen, bleibt aber Generalsekretär. Bundesgeschäftsführer Kurt Bergmann wird „Politdirektor“ der ÖVP im Parlament, soll als de facto stellvertretender Fraktionschef für aggressivere Stimmung im Nationalrat sorgen. Seine schiefgegangene Wahlkampagne war in Pretterebners Blättchen freundschaftlich verteidigt worden: „Bergmanns Blumen waren nicht schuld!“ (Juli 1979).

Die Entscheidung über die zukünftige Richtung der ÖVP bleibt also weiterhin offen. Alois Mock, dessen Gesicht aussieht als wäre es von einer Tarnkappe überzogen und dessen Sprachduktus die Aufmerksamkeit der Zuhörer von ihm abzuleiten scheint, ist der typische Übergangskandidat. Sein Nachfolger könnte entweder ein gemäßigter Großkoalitionär wie Erhard Busek oder ein Scharfmacher à la Bergmann sein.

Bei der FPÖ hat der Attersee-Kreis der rechtsliberalen Jungtürken um Norbert Steger auf dem März-Parteitag einen Umsturz bewirkt. Das muß früher oder später zu einer Spaltung der FPÖ führen. Die Altnazis werden sich zu Burgers NDP verkrümeln, die Parteirechten der oberen Etagen zur ÖVP (Götz), der „liberale“ Rest wird unweigerlich eine grüne Umweltpartei gründen und dabei die rechten Umweltschützer anziehen. Ein Alptraum für alle Linken am Rande oder links von der SPÖ, die insgeheim auf eine linksorientierte Umweltpartei nach italienischem oder deutschem Muster hoffen, um endlich aus dem außerparlamentarischen Abseits herauszukommen ...

Wir sind natürlich ehrenwerte Demokraten, wie wir hier stehen
(klimper, klimper macht der Hitlerorden mit dem Hakenkreuz).
Bild: P. & J. Hametter

Eindeutiger Zusammenhang

Rechtsextremismus = Nationalsozialismus = Beleidigung

Die Herren Steinhauser und Pretterebner fühlten sich durch ihre Erwähnung in dem Buch „Rechtsextremismus in Österreich nach 1945“ beleidigt, klagten und ließen beschlagnahmen. Das „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ als Herausgeber beschwerte sich bei Gericht, wurde aber abgewiesen. Auszug aus der Begründung der Ratskammer des Wiener Landesgerichts:

Am 11.1.1980 brachte Dr. Karl Steinhauser einen Antrag auf Beschlagnahme des Druckwerkes „Rechtsextremismus in Österreich nach 1945“ ein. Er erachtete sich durch die Bezeichnung als Rechtsextremist in der auf Seite 198 des Buches befindlichen Textstelle:

Die von dem Rechtsextremisten Karl Steinhauser und seiner Gemeinschaft freier Selbständiger organisierte LKW-Blockade führt an Österreichs Grenzen zu schweren Verkehrsbeeinträchtigungen und zu wirtschaftlichen Schäden in der Höhe von mindestens 500 Millionen Schilling

in seiner Ehre verletzt und sah darin den Tatbestand der üblen Nachrede verwirklicht.

Mit Beschluß vom 15.1.1980 wurde gemäß § 38 PresseG die Beschlagnahme der noch zur Verbreitung bestimmten Exemplare des genannten Buches beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und beim Österreichischen Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, angeordnet.

Dr. Peter Lalics, der Direktor des Österreichischen Bundesverlages, und der Verein „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ wandten sich mit Beschwerde vom 22.1.1980 gegen diese Beschlagnahme und führten dazu aus, daß es vor allem am objektiven Tatbild eines Presseinhaltsdeliktes gemangelt habe, da durch die Behauptung, jemand sei ein Rechtsextremist, lediglich eine politische Qualifikation vorgenommen werde, die sich jeder, der im politischen Leben wirke, gefallen lassen müsse.

(...)

Den Ausführungen der Beschwerdeführer kommt keine Berechtigung zu.

In dem angefochtenen Beschluß wird zutreffend auf den Zusammenhang verwiesen, der im gegenständlichen Druckwerk zwischen Rechtsextremismus und Nationalsozialismus, Neofaschismus und dergleichen hergestellt wird.

Im Vorwort (des Herausgebers), das eben als solches dem Buch eine gewisse Richtung gibt, heißt es:

Die zweite Republik entstand 1945 auf den Trümmern des nationalsozialistischen Deutschen Reiches, das unermeßliche Leiden über Österreich und andere Völker Europas gebracht hatte. Am Beginn der demokratischen Entwicklung 1945 stand daher die Entschlossenheit der neugebildeten demokratischen Parteien, niemals wieder faschistische Kräfte in unserem Land zu dulden und allen Anfängen zu wehren. Trotzdem war es im Zuge des Kalten Krieges und aufgrund der sich wandelnden innenpolitischen Verhältnisse möglich, daß sich ab 1949 allmählich, aber zunehmend offene deutschnationale und rechtsextreme Gruppen formieren und in ihren Organisationen einen schon totgeglaubten Geist verbreiten konnten.

Schon aus dieser Formulierung, die von einer Wiederbelebung des totgeglaubten Geistes von vor 1945 spricht, geht hervor, daß in diesem Buch als rechtsextrem aufscheinende Organisationen und Personen ihrer politischen Einstellung und Gesinnung nach mit dem Nationalsozialismüs gleichgestellt werden, der in ihren Reihen wiederum belebt werde.

Es heißt dann weiter, daß die verantwortlichen politischen Kräfte sich aus falsch verstandener demokratischer Toleranz oder aus kurzsichtigen tagespolitischen Rücksichten mit der Existenz eines „politischen Lagers rechts von der Demokratie“ abgefunden hätten. Nur gelegentlich — im Falle unübersehbarer Provokationen — kämen Rechtsextremisten ins Blickfeld der Öffentlichkeit und rufen Gegenaktionen demokratischer Kräfte hervor. Es erhellt, daß Sinngehalt dieser Ausführungen der ist, daß die Rechtsextremisten als Demokratiegegner definiert werden, gegen die sich demokratisch Gesinnte wehren müssen. In weiteren Ausführungen ist dann die Rede von den Aktivitäten rechtsextremer Gruppen, wie neonazistischen und antisemitischen Schmieraktionen und dergleichen mehr.

Es wird weder im Vorwort noch in dem den Privatankläger nennenden Kapitel eine klare oder auch nur irgendeine Differenzierung getroffen, aus der erhellen würde, daß der bisher dargestellte Zusammenhang für den ebenfalls als Rechtsextremisten bezeichneten Privatankläger nicht gilt. In dem Kapitel wird vielmehr ein eindeutiger Zusammenhang mit der NS-Zeit und den Aktionen des Privatanklägers als Rechtsextremist hergestellt.

(...)

Die aufgezeigte undifferenzierte Darstellungsweise beinhaltet den Vorwurf einer nationalsozialistischen Gesinnung an den Rechtsextremismus insgesamt und damit an alle, die als Rechtsextremisten bezeichnet werden.

(...)

Die Ratskammer
des Landesgerichts für Strafsachen
Wien
am 25.1.1980
Präsident Dr. Matouschek

Komitee gegen Burger

Unter dem Schirm der Österreichischen Hochschülerschaft, des öffentlich-rechtlichen Vertretungskörpers der Studenten, wurde im Jänner 1980 ein Personenkomitee mit dem Namen „Antifaschistische Plattform“ gegründet. Beteiligt sind verschiedene Gruppen von ganz links bis zur ÖVP-nahen ÖSU sowie ethnische Minderheiten (slowenischer, kroatischer Studentenverein). Ziel ist, zu verhindern, daß der NDP-Gründer und in Italien rechtskräftig verurteilte frühere Südtirol-Bomber Norbert Burger als Kandidat zur Bundespräsidentenwahl zugelassen wird.

Burger muß bis zum 27. April 1980 2.000 Unterschriften vorlegen, wenn er zur Wahl am 18. Mai zugelassen werden will. Für ihn wirbt ein Unterstützungskomitee mit Flugblättern, auf denen sich u.a. der Satz findet: „Die wirksamste Maßnahme gegen Kapitalverbrechen wie Rauschgifthandel und Mord ist die Todesstrafe, weshalb sie von Dr. Burger mit steigender Erbitterung gefordert wird.“

Die ‚„Antifaschistische Plattform“ will auch die Rechte der nationalen Minderheiten in Österreich verfechten.

Adresse: c/o Österreichische Hochschülerschaft, Liechtensteinstraße 13, A-1090 Wien, Telefon 34 65 18.

Die beiden Bücher können bei den respektiven Herausgebern bezogen werden: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Wipplingerstraße 8, A-1010 Wien; Dr.-Karl-Renner-Institut, Khleslplatz 12, A-1120 Wien.

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